SEKTOR 304 ist eine mittlerweile vierköpfige Band aus Portugal, die sich dem originären Ansatz von Industrial verschrieben hat: Metall-Schrott, Trommeln aber auch Saiteninstrumente werden hier gegenüber der etwas zurückstehenden Elektronik bevorzugt. Die musikalische Bandbreite erstreckt sich dann auch zwischen rauem Industrial mit Tribal- und Metal-Einflüssen bis hin zu düsteren und kantigen Ambient-Collagen. Angesichts der Split-Veröffentlichung von SEKTOR 304 mit NYODENE D war es für NONPOP an der Zeit, von ANDRÉ COELHO, einem der beiden Gründer des Projekts, Näheres zu erfahren. Auf dem neuen Split-Album (Besprechung) mit NYODENE D hat jede Band Soundquellen vom jeweils anderen benutzt, um neue Stücke zu kreieren. Wie habt ihr das Material genutzt? Was war das kreative Ziel dieser Veröffentlichung – immerhin scheinen die Stücke ja keine Remixe zu sein. Nun, die Kollaboration mit NYODENE D begann, bevor wir über eine Split-Veröffentlichung nachdachten. SEKTOR 304 war dazu eingeladen, am Sound Festival SONORES teilzunehmen, das auch ein Radio betreibt. Neben dem Live-Spielen hatten wir die Möglichkeit, einige Sendungen für das Radio zu machen, so dass wir über Kollaborationen mit einigen Projekten nachdachten, die wir mögen. Also sprachen wir mit MARTIN BLADH (SKIN AREA, IRM - Anm. d. Übersetzers), LE SYNDICAT, DISSECTING TABLE and NYODENE D und stellten ihnen ein Paket an Sounds zur Verfügung, um damit zu arbeiten und ihre eigene Interpretation von SEKTOR 304 zu erstellen. Nach dem Festival kamen NYODENE D und SEKTOR 304 gemeinsam auf die Idee, dieses Material auf einem Split-Album zu veröffentlichen. Also schickten uns NYODENE D ihre eigenen Soundquellen und wir begannen damit, daraus neue Stücke zu machen. Obwohl wir Soundquellen von „Edenfall“ (Besprechung)benutzten, ist es aber tatsächlich so, dass wir bis zum Ende der Arbeiten an dem Split das Album von NYODENE D überhaupt noch nicht gehört hatten. Somit hast du Recht, wenn du sagst, dass sich das Ergebnis nicht wie ein Remix anhört, denn das ist es auch nicht. Die Idee war, eine neue Platte zu kreieren, die als Ganzes funktioniert, die aber zeigt, wie beide Bands arbeiten und wie sie zu einer Arbeitseinheit verschmelzen können. Ihr habt einen ziemlich grundsätzlichen Ansatz, Industrial zu machen – viel Metall und Schrott, sehr rhythmisch. Man kann aber genauso Metal-Einflüsse aus der Musik heraushören. Was sind also eure Einflüsse? Dieser Ansatz ergab sich eigentlich recht natürlich. Es war eine normale Evolution von den ersten CD-R-Veröffentlichungen bis dahin, wo wir heute stehen. Schrott hat immer eine Rolle für SEKTOR 304 gespielt, da es das primäre Element in den meisten Kompositionen ist. Wir wollen natürlich die Idee der Nutzung von Trümmerteilen und gefundenen Objekten erkunden, wie es die frühen Industrial-Projekte wie EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, SPK, TEST DEPT. etc. taten. Es ist ein Ansatz, der heutzutage etwas in Vergessenheit geraten ist. SWANS sind ein großer Einfluss genauso wie die frühen GODFLESH oder SKIN CHAMBER. Neben diesen logischen und grundsätzlichen Einflüssen haben ich und JOAO – die beiden originären Bandmitglieder – musikalische Präferenzen, die über das Feld der Industrial-Musik hinausgehen. Somit ist es klar, dass auch Stile wie Metal, Dub oder Kraut neben anderen Einflüssen in unseren Kompositionen zum Vorschein kommen. Gibt es eine bestimmte Position, für die SEKTOR 304 steht? Gibt es spezielle Inhalte, die ihr transportieren wollt – also politischer, sozio-kultureller oder ökonomischer Natur? Ich würde nicht sagen, dass direkte politische oder soziale Statements in unserer Musik zu finden sind. Es ist vermutlich eine Geisteshaltung wahrnehmbar, die durch unsere Umgebung beeinflusst wird, durch die Stimmung, die Architektur erzeugt, durch das Weltall, die technologische Landschaft, die Medien etc. und wie dies unsere Wahrnehmung der Realität beeinflusst oder wie wir unsere eigenen Mythologien erschaffen, um uns mit der Welt zu verbinden. Der Name der Band steht mit dem Ort im Zusammenhang, an dem wir damit begannen diese Ideen zu entwickeln; ein altes, baufälliges Einkaufszentrum, das nicht mehr seinem eigentlichen Zweck diente und das in der Mitte von unserer Stadt stand. Und dies war eine wirre, monolithische Betonruine, obwohl sie tatsächlich voll mit Leben und Bewegung der zahllosen Bands und Projekte war, die die einzelnen Läden übernommen hatten. Im Moment scheint Portugal mit anderen Ländern ja im Zentrum der europäischen Finanzkrise zu stehen. Hat das Einflüsse auf euch persönlich und auf eure Arbeit als Musiker? Persönlich gibt es da natürlich einen Einfluss. Jeden Tag sehen wir Nachrichten über die Krise und über die erlittenen Einschränkungen der Mittelklasse aufgrund des Austeritätsplans. Portugal war in erster Linie ein Opfer von schlechter Politik und einer kulturell akzeptierten Korruption. Fast täglich sehen wir Geschichten über große Korruptionsszenarien, skandalöse Entlohnungen und Vergünstigungen für ohnehin schon reiche und mächtige Individuen, das Sozialwesen zersetzende Politik, obszöne Geschäfte und Verbindungen zwischen Regierungsangehörigen und privaten Unternehmen und sogar Zensur und Druck gegenüber Journalisten und den Medien und am Ende passiert gar nichts. Niemand wird eingesperrt, niemand wird vor Gericht gestellt oder wenn es passiert, dann ziehen sich die Fälle endlos und niemand bezahlt für das, was er getan hat. Man sieht Ex-Politiker, die von großen Pensionsfonds profitieren, die sich in gut bezahlten Verwaltungsjobs bei Unternehmen mit dubiosen Verbindungen zur Regierung wiederfinden, während die Mittelklasse ernsthafte Einschnitte in ihrem monatlichen Budget erfährt oder Rentner, die 50 Jahre gearbeitet haben, zusehen müssen wie ihre Rechte beschnitten werden, um für schlechte Entscheidungen von Arschlöchern zu bezahlen. Das schlimmste ist, dass diese Maßnahmen sich nur auf Statistiken und die Ökonomie fokussieren, aber nicht auf die Menschen. Aber wir dürfen eins nicht vergessen: Diese Krisensituation ist nicht unser Fehler, noch ist es allein ein griechisches oder irisches Problem. Wir waren die Länder, die es zuerst getroffen hat, aber das wird auch in größeren Ländern passieren. Diese Idee von „Europa“ wird nur funktionieren, wenn einige Vorurteile innerhalb und außerhalb der nationalen Grenzen abgebaut werden. Es ist dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das mich am meisten trifft und das zeitweise auch meine Wut anheizt. Wie ich schon vorher festgestellt habe, sind wir keine politische Band und wir vertreten auch keinen ökonomischen Standpunkt, aber bei der Beschäftigung mit dem, was um uns herum vorgeht, sind wir vielleicht durch die Empörung über die soziale Ungerechtigkeit, die momentan in unserem Land vorherrscht, etwas aufgeheizt. Wie wichtig ist es für euch live zu spielen und wie weit weg ist das eigentlich von eurem organisch wirkenden Kreativprozess entfernt? Gibt es Pläne auch mal in Deutschland zu spielen? Live-Spielen ist sehr wichtig, weil es der beste Weg ist, die eigene Arbeit zu testen. Beim Live-Spielen oder -Proben kann man die Dynamik der Stücke fühlen, man kann Variationen innerhalb der bestehenden Ideen und Strukturen ausprobieren und man kann alles etwas natürlicher klingen lassen. Zudem kann man einen gut ausgewogenen Mix aus vorbereiteten Klängen und improvisierten Sektionen kreieren. Im Ganzen ist es der beste Weg, sich selbst zu verstehen und etwas über seine eigenen Methoden zu lernen. Manchmal müssen Stücke neu arrangiert werden, damit sie in ein Live-Format passen. Sie müssen packender und direkter ausfallen, damit die Intensität nicht leidet. Die Live-Shows sind für gewöhnlich sehr intensiv und mit einem gewissen Grad an Unvorhersehbarkeit versehen, mit Verstärkern, die kaputt gehen oder mit Schrott, der am Ende komplett zerstört wird etc. Für die nächste Zeit gibt es keine Pläne, außerhalb von Portugal live zu spielen, aber wenn uns jemand buchen möchte, sind wir natürlich dabei! Das wäre großartig!
Tony F. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » SEKTOR 304 @ Facebook Themenbezogene Artikel: » NYODENE D/SEKTOR 304 - Split » SEKTOR 304: Subliminal Actions
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