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Michael We.

ATOM™ - Kunstlieder aus Chile

Ein Interview mit UWE SCHMIDT


ATOM™ - Kunstlieder aus Chile
Kategorie: Spezial
Wörter: 2043
Erstellt: 17.04.2012
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Dieser Lebenslauf scheint einer der spannenderen in der elektronischen Musik zu sein. Mindestens 30 verschiedene Künstler- und Projektnamen trug der gebürtige Frankfurter UWE SCHMIDT bislang, vielen bekannt dürfte er wohl als SEÑOR COCONUT, als Ex-Mitglied von LASSIGUE BENDTHAUS und neuerdings als ATOM™ sein. Ende der 1990er-Jahre wanderte der 43jährige nach Chile aus, wo er bis heute lebt. Dort zerlegte er unter anderem Originale von KRAFTWERK, DEEP PURPLE oder gar MICHAEL JACKSON und baute sie als lateinamerikanische Interpretationen wieder zusammen. Vor allem aber veröffentlichte er als ATOM™ – ein wichtiger, zukunftsträchtiger Name, wie wir gleich hören werden – die beiden auch auf NONPOP besprochenen Alben "Liedgut" (Artikel) und – Anfang des Jahres – "Winterreise" (Artikel). Zwei rein elektronische Werke, die das romantische Kunstlied, Ambient, Noise, Wissenschaft, Lyrik und anderes sehr gekonnt verweben.
In einem Wohnzimmer in Santiago, eingerichtet im Biedermeier-Stil – so stelle ich mir das zumindest vor – beantwortete UWE SCHMIDT viele Fragen, vor allem zu ATOM™. Im Text finden sich zum Anhören zwei Lieder von ATOM™ und eine umwerfende COCONUT-Version von "Smoke On The Water".



Guten Tag Herr SCHMIDT! Oder soll ich Sie anders ansprechen – bei so vielen Pseudonymen und Aliasen?

'Liebes Atom' wäre mir recht!

Da denke ich noch einen Augenblick drüber nach. Haben Sie denn einen Lieblings-Moniker? Mir gefällt ja ERIK SATIN ziemlich gut ...

Die Sache mit den so genannten Monikern habe ich vor circa fünf Jahren eingestellt. Davon abgesehen habe ich selbige nie als Moniker oder Aliase betrachtet. Im Prinzip waren es nichts anderes als Arbeitstitel oder Titel, unter welchen sich bestimmte Ideen ansammeln ließen. Das Ganze hatte immer ausschließlich praktische Wurzeln, und nie eine Art 'Überbau', weshalb ich zu den Monikern recht wenig Bezug hergestellt habe, sondern eher zu den musikalischen Ideen, welche sich darin befanden.

Lassen Sie uns ein wenig über die Arbeit von und an ATOM™ sprechen. Schon "Liedgut" verwies auf das romantische Kunstlied, mit "Winterreise" haben sie gleich den Titel des wohl bedeutendsten Kunstlied-Zyklus für Ihr neues Album gewählt. Was mögen Sie an dieser Liedform? Vielleicht die wortwörtliche 'Künstlichkeit', das Repetitive in der Komposition?

Komposition ist immer Künstlichkeit, eine fast schon banale Feststellung. Jedoch habe ich in der Tat einen besonderen Bezug zum 'Lied', da es der Grundstein der musikalischen Popkultur ist. Dazu ließe sich viel sagen, insbesondere bezüglich der Entwicklung hin zum Lied, das heißt der langsamen Mutation des musikalischen Codes hin zur Einfachheit. Sowohl bei "Liedgut" als auch bei "Winterreise" faszinierte mich allerdings vielmehr just der historische Moment, in welchem das Lied dann wirklich als solches auftauchte, und die 'Aura', welche dieser Moment hat.

Eines der begleitenden Fotos zu "Liedgut" zeigt sie im Geburtshaus der Familie SCHUMANN in Zwickau, sitzend am Klavier von CLARA SCHUMANN (siehe Artikelbild). War das ein besonderer Moment, oder nur ein schönes Fotomotiv?

Selbstverständlich war das ein besonderer Moment! Zumal man uns verboten hatte, sich auf den (circa 150 Jahre alten) Originalteppich zu stellen ... Nur ging es nicht anders, da der Teppich nun mal unter dem Klavier lag.

Ist damit auch die Frage nach Ihrem(r) Lieblingskomponisten(in) beantwortet, oder ist es doch eher SCHUBERT, dessen Harmonien sie ja schon auf "Liedgut" neu zusammengesetzt haben?

Ganz 'unromantisch' wäre das JOHANN SEBASTIAN BACH.

Über Ihr Verhältnis zu KRAFTWERK habe ich ganz unterschiedliche Sachen gehört – wobei Sie ab und zu auch gerne mal ein bisschen zu flunkern scheinen. :-) Zwischen "großes Vorbild" und "ziemlich an mir vorbei gegangen" war alles dabei. Was stimmt denn nun?

Gerne flunkert auch der Schreiber, muss ich zu meiner Verteidigung einfügen! Da vermutlich ein paar Jahre zu jung, gingen damals KRAFTWERK bei meiner musikalischen Sozialisierung mehr oder weniger vorüber, muss ich gestehen. Erst Mitte / Ende der 80er-Jahre fing ich an, 'die gute' elektronische Musik zu hören, und da war "Electric Café" gerade erschienen. Jedoch zum 'KRAFTWERK-Fan' reichte es nicht, ebenso wenig zum 'großen Vorbild'. Ich befasste mich damals eher mit Industrial, EBM und dann Acid und dem späteren Techno. Natürlich kannte ich das KRAFTWERK-Oeuvre, denn es war und ist natürlich so was wie ein Standard innerhalb der Elektronik, was auch der Grund dafür war, es mit SEÑOR COCONUT zu bearbeiten.

Wie haben KRAFTWERK auf die Latin-Puzzelei ihrer Songs durch SEÑOR COCONUT reagiert?

Ich habe eine schriftliche Erlaubnis von ihnen bekommen, die COCONUT-Versionen veröffentlichen zu dürfen.

Und wie kam die Zusammenarbeit mit KRAFTWERK-Mitbegründer FLORIAN SCHNEIDER zustande, der seine Stimme ja auf "Liedgut" für "Es klappert die Mühle ..." zur Verfügung gestellt hat?

Ich hatte ihm das fertige Album zum Anhören zugeschickt und gefragt, ob er sich ein Nachwort vorstellen könne.

Täusche ich mich, oder ähneln Ihre ATOM™-Auftritte denen von KRAFTWERK ein wenig?

Sie täuschen sich. :-)

Und wenn Sie mit SEÑOR COCONUT auf der Bühne stehen, sind Sie dann ein anderer Mensch? Mit Limbo und allem Drum und Dran?

Ein anderer Mensch auf keinen Fall. Es sind immer jeweils andere Aspekte des 'Musik Machens', in diesem Falle des 'Musik Spielens', die bei verschiedenen Projekten oder Kollaborationen zum Tragen kommen. Wenn ich alleine auftrete, das heißt als ATOM™, geht es um andere Musik und eine andere Art, sie aufzuführen. Bei SEÑOR COCONUT ist das genauso, das heißt, da stehen neun Leute auf der Bühne und spielen zusammen. Musik lässt sich auf viele Arten kommunizieren und spricht unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weisen an, und dies ist just das spannende an Musik für mich.



Ich habe in einem Interview gelesen, dass Sie technische Optik gar nicht leiden können, also wenn ein Studio nur nach Studio aussieht, mit den ganzen Kabeln. Stattdessen bevorzugen Sie alte, erhabene Möbel. Wie sieht es denn dann in Ihrem Wohnzimmer aus? Sind die Kabel hinter einem Wiener Biedermeier-Sessel drapiert?

Ich habe es vermutlich anders gesagt: Ich mag die typischen 'Studio-Looks' einfach nicht, und finde sie fast immer einfallslos und uninspirierend. Meist sind Studios pseudofunktional eingerichtet, mit der Absicht, mögliche Klienten oder sein soziales Umfeld damit zu beeindrucken. Da ich sehr viel Zeit im Studio verbringe, kam ich zu dem Schluss, dass ich mich in erster Linie darin wohl fühlen muss. Des Weiteren interessiert mich die Vorstellung, das Studio als kreativer Ort sei räumlich und zeitlich vom Rest der Welt abgetrennt, also eine Art 'Orbit'. Daher begann ich irgendwann damit, mein Studio dieser Idee gemäß einzurichten. Die Maschinen sind in der Tat, so weit es geht, in 'klassische' Möbel verbaut, und es überwiegt bei Weitem das dekorative Moment gegenüber dem Funktionalen.

Wäre Biedermeier Ihre Zeit gewesen, diese Mischung aus Schlichtheit und Eleganz?

Das ist mir eine zu abstrakte Frage, auf welche ich so nicht antworten kann. Generell gilt für mich das NIETZSCHE-Zitat: "Zwischen sich und seine Zeit mindestens 30 Jahre bringen!". In welche Richtung, hat er nicht explizit gesagt, weshalb ich mich in permanenter Oszillation zwischen Vergangenheit und Zukunft befinde.
Wenn wir von Geschichte sprechen, gar von definierten Abschnitten selbiger, so bleibt uns logischerweise nur die Vorstellung davon, als auch ein Haufen meist verzerrter Fakten. Geschichte, besser im englischen 'history', nämlich als 'his story' zu verstehen, ist ein machtorientiertes Zurechtlegen von Phänomenen. Es gibt immer die 'offizielle' Version, aber auch eine Menge 'inoffizieller'. Das gilt auch für die deutsche Romantik. Hierbei interessiert mich eher die oben schon erwähnte 'Aura' dieser Zeit als konkrete Fakten oder Referenzen.

Ist es eine ähnliche Kombination wie in Ihrem Studio, die auch ATOM™ ausmacht; wissenschaftliche Kühle und Präzision versus Romantik?

Was mich an der Romantik interessiert, ist, dass dies ein historischer Moment war, in dem gerade Kunst und Wissenschaft, diese beiden heute als 'Extreme' verstandenen Bereiche, noch stark vermischt waren. Die Wissenschaft operierte noch mit ästhetischen Elementen, während die Kunst sich unter Umständen stark mit wissenschaftlichen Ansätzen befasste. Einerseits gab / gibt es die Theorie der Elektrizität, welche mit Begriffen wie dem 'Feld' operiert; Definitionen, die noch aus einer Art vorwissenschaftlichem 'Glauben' stammen. Während auf der anderen Seite Strömungen wie zum Beispiel der Futurismus schon in den Startlöchern steckten.
Physiker schrieben damals theoretische Abhandlungen zum Weltbild, welche nicht selten in ästhetische Bereiche drifteten, und Musiker versuchten, mechanische Musik zu schreiben. Je mehr ich mich mit dieser Phase der Geschichte beschäftigte, umso faszinierender wurde diese Zeit für mich. Daraus wiederum generierte sich ein Netz von Elementen, das heißt Klängen, Zitaten, Worten und so weiter, aus welchem sich sowohl "Liedgut" als auch "Winterreise" destillieren ließ.



Welche Technik steht denn nun in Ihrem Wohnzimmer (oder im Keller...)?

Ich habe keinen Keller. Im Wohnzimmer steht ein Telefon. Das wäre alles an Technik.

Sie haben es schon angedeutet, aber noch mal die Nachfrage: Ist die Wahrnehmung richtig, dass die Pseudonyme weniger geworden sind und es im Wesentlichen noch um ATOM™ und SEÑOR COCONUT geht? Wie groß ist die Rolle, die ATOM™ in Ihrem musikalischen Kosmos spielt?

Das ist richtig. Wie oben erwähnt, habe ich vor circa fünf Jahren alle meine Aktivitäten auf ATOM™ reduziert. SEÑOR COCONUT ist als einzig noch funktionierender Moniker in einem Paralleluniversum aktiv. Neben Kollaborationen, von denen es immer ein paar aktive gibt, nimmt ATOM™ zur Zeit 100 Prozent meines musikalischen Kosmos in Anspruch.

Könnte man als gemeinsames Element von ATOM™ und SEÑOR COCONUT feststellen, dass Sie Sich mit beiden durch die Musikgeschichte puzzeln?

Ich würde eher sagen, wir alle purzeln durch unser Unterbewusstsein... manche mehr, manche weniger. Meine Theorie ist, dass wir alle, das heißt jeder Mensch für sich, ein Produkt aus 'edits' sind, also Informationen, welche auf verschiedenste Art und Weise im Laufe des Lebens aufgenommen werden, und aus welchen wir 'uns' definieren. Jedes 'ich' und dessen Weltbild ist eine riesige Ansammlung von Informationen, Bildern und so weiter. Von welchen wir glauben, sie seien spezifisch und speziell mit uns verhaftet, während sie in Wahrheit von außen kommend, mehr oder weniger zufällig, häufig aber sehr kontrolliert zu uns gelangten. 'Geschichte' (Zeit) ebenso wie der Raum (Länder, Kulturen und so weiter) sind die beiden Achsen, auf welchen diese Informationen angelegt werden. Somit könnte man SEÑOR COCONUT als ein Sezieren von bestimmten Orten und Zeiten betrachten, während sich "Liedgut" oder "Winterreise" mit anderen Orten und Zeiten befassen.

Sie sind ja nach Chile 'geflüchtet', weil Ihnen einiges in Europa nicht gefallen hat, zum Beispiel der Medienhype, der um jeden neuen sogenannten Trend gemacht wird. Inzwischen gibt es hier aber viele Entwicklungen ganz abseits von Trends und Hypes, gerade in der elektronischen Musik. Zahlreiche junge elektroakustische Komponisten zum Beispiel. Verfolgen Sie solche Entwicklungen noch?

Ich sehe, Sie stehen auf polemische Auslegung von Fakten. ;-) 'Geflüchtet' bin ich ganz und gar nicht, denn es klingt doch etwas sehr dramatisch für das, was wirklich passiert war damals, nämlich ein sehr ungeplanter, fast schon experimenteller Schritt, Deutschland zu verlassen. Dies richtig gestellt zu haben: Nein, ich verfolge keine Trends, Hypes oder sonstige – auch untrendy / unhippe – Entwicklungen.

Off Topic: Bei DISCOGS kann der Besucher ein skurriles Foto von Ihnen erblättern: Sie in einer offenbar echten Ritterrüstung mit riesigem Schwert und wallendem Haar. Sieht eher nach "World Of Warcraft" als nach Kunstlied aus. Wie kam es denn dazu?

Hahaha ... Also, zehn Jahre später kann man mit der Wahrheit rausrücken: Es ist jemand anders auf dem Foto! Ich hatte damals eine Bekannte, welche beruflich bedingt täglich Tonnen von Zeitungen und Zeitschriften durchsehen musste. Im Laufe der Jahre entwickelte sie eine 'Parallel-Beschäftigung' und begann, Bilder zu suchen, auf welchen Leute zu sehen waren, welche ihren Freunden ähnlich sahen. Sie schnitt diese Fotos aus und schenkte sie den jeweiligen Freunden.
Ich bekam eben dieses Bild eines Mannes in einer Ritterrüstung geschenkt, und stellte es online. Wie es nun mal so ist mit dem Internet, bleibt dort auch der letzte Unsinn für immer kleben, und somit taucht es auch heute noch auf. Kleine Geschichte noch am Rande: Nach Jahren schaffte es ein Hardcore-Fan von mir, mich endlich mal persönlich zu treffen. Er holte irgendwann einen riesigen Ausdruck aus seinem Rucksack, mit der Bitte, ich solle unterschreiben: Natürlich war es das Foto mit der Ritterrüstung. Ich unterschrieb, ohne die Geschichte hinter dem Foto kund zu tun.

Liebes Atom, vielen Dank für das Interview!



 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» UWE SCHMIDT @ discogs
» UWE SCHMIDT @ Wiki
» ATOM™ @ myspace
» Steckbrief ATOM™
» Fotoblog ATOM™
» Video-Interview mit UWE SCHMIDT
» noch inaktive ATOM™-Homepage
» ATOM™-Label RASTER-NOTON

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