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Dominik T.

Industrial Culture - FACTRIX-Interview


Industrial Culture - FACTRIX-Interview
Kategorie: Spezial
Wörter: 1418
Erstellt: 08.03.2009
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(aus ZINNOBER # 6 (2004), ergänzt und überarbeitet) 


Wenn von den Ursprüngen der „Industrial Culture“ die Rede ist, denkt man zunächst eher weniger an San Francisco, jene Metropole im Norden Kaliforniens, der die Popkultur so viel zu verdanken hat und die schon immer die „bessere Seite der USA“ präsentierte. Beim Stichwort „San Francisco“ denkt man an den „Summer Of Love“, den mit dieser Stadt untrennbar verbundenen psychedelischen Sound solcher Gruppen wie JEFFERSON AIRPLANE, GRATEFUL DEAD oder 13TH FLOOR ELEVATORS usw. oder an Bewegungen, Ereignisse und Persönlichkeiten wie TIMOTHY LEARY, ANTON LAVEY, die MANSON-FAMILY, die Anti-Vietnam- oder die Bioregionalismus-Bewegung, die – so unterschiedlich sie sich zueinander verhalten – doch alle irgendwie zusammen das Bild einer Gegenkultur ergeben, die von San Francisco aus in die Welt hinaus wirkte. Der Boden für künstlerische Avantgarde ist dort also seit jeher fruchtbar, und so wäre es bei genauerem Hinsehen erstaunlich, wenn diese Stadt keine eigenen Beiträge in punkto Industrial zu bieten hätte… Und in der Tat, es gibt sie gleich reichlich. Zu nennen wären hier in erster Linie TG-Kollaborateur MONTE CAZAZZA, der Okkultmusiker Z'EV, Oberzerstörer JUPITTER_LARSEN (THE HATERS), der moderne Prometheus MARK PAULINE (SURVIVAL RESEARCH LABORATORIES), und auch BOYD RICE lebte in kreativen Hochzeiten in San Francisco. Nicht zu vergessen, dass mit RE/SEARCH und UNSOUND die vielleicht unwidersprochen besten Industrial-Publikationen aus San Francisco stammten.
FACTRIX ist nun eine Industrial-Band, die ebenfalls untrennbar in diese Zusammenhänge gehört. Bestehend aus BOND BERGLAND (Gitarre), dem tatsächlich mit OLOF PALME (schwedischer, sozialdemokratischer Ministerpräsident, der 1986 unter mysteriösen Umständen ermordet wurde) verwandte COLE PALME (sonstige Elektronik, Stimme) und JOSEPH JACOBS (Bass) veröffentlichten sie 1981 ihre LP „Scheintot“, die, obwohl sie im Gegensatz zu den ersten Werken anderer Industrialheroen recht günstig zu haben ist, mit zu den faszinierendsten Tonträgern der frühen Industrialszene gehört. 2003, über zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung auf LP, macht uns MICHAEL MOYNIHAN (BLOOD AXIS), der uns ja schon CHANGES schenkte, dieses Dokument, zusammen mit Archivmaterial und digital überarbeitet, auf CD wieder zugänglich.
Den FACTRIX-Sound kann man sich durchaus eng angelehnt an frühe CABARET VOLTAIRE-, SPK- und TG-Scheiben vorstellen, vor allem zum TG-Vermächtnis (ungeachtet ihrer Neugründung), der Live-Aufnahme des letzten Konzertes in San Francisco „Mission Of Dead Souls“, könnte man aufgrund des rituellen Charakters einen atmosphärischen Vergleich ziehen. FACTRIX besaßen dennoch etwas Ureigenes. Sie kreierten einen im wahrsten Sinne magischen, psychedelischen Sound, denn, mit oder ohne Droge (Ursprünglich sollte jeder CD-Edition ein rosafarbenes Löschblatt beiliegen.), etwas an der Wahrnehmung verändert sich beim intensiven Hören ihrer Klänge. Wir sprachen mit Gründungsmitglied JOSEPH JACOBS (Der E-Mail-Kontakt bestand auch zu allen anderen FACTRIX-Mitgliedern, doch die inzwischen aufgelöste Band entschied sich basisdemokratisch für JOSEPH JACOBS als ihren „Sprecher“, die Antworten scheinen aber mit allen abgestimmt gewesen zu sein.):




Was für eine Bedeutung hat der Name FACTRIX?
Das Oxford Englisch-Wörterbuch klärt auf: Es ist ein seltsames, englisches Wort für Frauen, die in einer Fabrik arbeiten.

Mir scheint, FACTRIX benutzten viele „ungewöhnliche“ Instrumente und technische Hilfsmittel, um diesen Sound zu kreieren. Was wurde benutzt?
Das könnte eine recht lange Antwort werden. Um es einfach zu sagen, wir benutzten alles, was wir in die Finger bekamen. Unser Hauptinstrument war vielleicht eine Magnettonbandkassette. Ich besaß ein Doppelkassettendeck, das in verschiedenen Geschwindigkeiten Kassetten abspielen und auch von Kassette zu Kassette mixen konnte. Mit diesem Ding haben wir ständig aufgenommen, mit der Geschwindigkeit herumexperimentiert…
Manchmal haben sich Klangquellen ganz zufällig ergeben. Einmal probten wir in einem Keller, und eine große, rechteckige Blechdose (von der Art, wie man sie zur Lagerung von billigem Pflanzenöl verwendet) fing an, zum Klang der von mir gespielten Bassgitarre zu vibrieren. Ich hängte die Dose dann an einen Mikrofonständer, steckte ein Mikrofon hinein und stellte das Ganze vor meinen Verstärker. Die Rückkopplung war unglaublich: Einfach dieses rauschende Metallgeräusch. Man kann diesen Effekt am Schluss von „Empire of Passion“ hören. Es klingt wie ein gewaltiger, von Metall umwundener Wal oder Elefant – wie eine schmetternde Industrial-Trompete oder -Posaune. Eine Zeit lang benutzten wir ein sehr billiges „Radiomikrofon“ namens „Mr. Microphone“, das seine Signale über FM-Radiofrequenzen übertrug. Dann nahmen wir ein billiges Transistorradio, stellten es auf merkwürdigen Krach und Funksignale ein, verbanden die Gitarre mit dem Radiomikrofon und verstärkten dann den Klang der Gitarre, der zusammen mit den ganzen sonderbaren Funk- und Sendesignalen durch das billige Radio kam. Cole amputierte eine brandneue Bassgitarre, die wir von ADOLESCENT RECORDS geliehen bekommen hatten; er nahm den Hals und die Saiten ab. Sie hatte einen sehr billigen mikrofonischen Tonabnehmer, der ständig heulende Rückkopplungen erzeugte. Cole spielte obskure Aufnahmen von einem von Hand gehaltenen Kassettenspieler durch diesen Tonabnehmer der Bassgitarre und verstärkte das dann. Eine Weile schlug Cole einfach mit der Faust auf diesen funky verstärkten Bass ohne Hals, als wäre es ein Schlaginstrument. Wir benutzten eine tragbare elektrische Bohrmaschine wegen der bedrohlichen, hohen Jammergeräusche. Bei einem Auftritt im „Deaf Club“ hatten wir ein verstärktes Banjo dabei. Es gab mehrere gefundene Metallgegenstände – die besten bestanden aus komplexen Legierungen. Wenn man darauf schlägt, erzeugen sie sehr vielschichtige Obertöne, und es dauert Ewigkeiten, bis der Nachhall verklingt, wie bei einem teueren Orchestergong. Wir benutzten Pluto Pedals, ADA Flangers, Signalverdichter, Sustainers, einen MiniMoog und viele andere Gitarren-Hilfsmittel, die ständig kaputt gingen. Unsere beste Musik entstand, wenn ein Großteil der Elektronik den Geist aufgab und nur das Magnettonband, die Gitarren, Stimme und ein paar Blasinstrumente (wie bei „Obsession“) übrig blieben. Wir haben ziemlich häufig mit „Detuning“ gearbeitet – das lässt den Geist langsamer werden.


Wie viel eurer Musik war improvisiert, wie viel geplant?
Eigentlich war die gesamte Musik von uns geplant. Wenn wir nicht gerade in Restaurants, Kinos oder Kunsthäusern unseren Jobs nachgehen mussten, widmeten wir jede freie Minute unserer Musik. Jedes Konzert, das wir gaben, bedeutete für uns Wochen der Vorbereitung. Wir arbeiteten an Stücken, bis sie anfingen zu leben, dann beließen wir es dabei bis zum Auftritt. Wenn das Stück live funktionierte und wir das Gefühl hatten, man kann aus dem Stück noch mehr herausholen, spielten wir es vielleicht wieder bei unserem nächsten Auftritt. So kann man sagen, dass wir meistens eine Grundstruktur und verschiedene Themen erarbeiteten oder auch eine bestimmte Länge durch die Spielzeit der Kassette vorgegeben war, aber bei Auftritten fing dann das große Improvisieren an. Unsere späteren Stücke entstanden von Mal zu Mal immer weniger geplant, aber für uns war die Richtung immer klar.

Kannst Du uns noch ein bisschen mehr über den Entstehungsprozess eines FACTRIX-Stückes erzählen, wart ihr alle gleichermaßen am Songwriting beteiligt?
Jeder von uns werkelte gleichermaßen an unseren Stücken herum. Entweder an den begleitenden Worten oder der Musik. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, Schüler der Alchemie des Klanges in einem schlecht ausgerüsteten Schullaboratorium. Wir arbeiteten oft individuell, getrennt, jeder für sich zu Hause oder in unserem Proberaum, aber wenn wir alle beisammen waren, um zu „proben“, spielten wir uns unsere allein erschaffenen Klangexperimente vor. Es war ein ständiges „Zeig mal!“, „Erzähl' mal!“. Die jeweils Anderen versuchten dann immer in die musikalische Idee des Einen einzutauchen und einfach zu spielen. Manchmal klappte es, manchmal nicht. Wir arbeiteten jedenfalls niemals in dem Sinne zusammen, dass meinetwegen Bond die Musik schrieb und ich die Texte oder so.
Meistens ließen wir uns alle gemeinsam treiben.


„Psychedelisch“ ist ein Begriff, der gerne im Zusammenhang mit FACTRIX benutzt wird. Was verstehst Du unter „psychedelisch“, und wie psychedelisch ist FACTRIX dann? Spielten Drogen eine wichtige Rolle im kreativen Prozess des Erschaffens?
„Psychedelisch“ heißt für mich soviel wie „bewusstseinserweiternd“, insofern ist alles psychedelisch, was eben zu einer Erweiterung und/oder Intensivierung der Sinneseindrücke führt. Unsere Heimat San Francisco war natürlich das Zentrum der Hippie-Drogen-Kultur, und dieses Erbe ist auch heute noch sehr spürbar in dieser Stadt. Dennoch werden die Drogen, die illegal sind, auch etwas überschätzt in ihrer Bedeutung. Unsere Musik wirkte zeitdehnend, als ob sich von einem auf den anderen Augenblick alles in Zeitlupe bewegt, d.h. wir veränderten bei unseren Hörern das Bewusstsein von Zeit. Alles wurde auf einmal recht träge, während wir spielten; manche schienen wirklich in eine Art Gedankenstille zu fallen.
Wir waren finanziell verdammt arm, teilweise hatten wir Schwierigkeiten, uns Essen, etwas zu trinken und, na ja, Zigaretten zu besorgen. Wir hatten kein Geld für weitere Drogen. Gut, manchmal kifften wir schon oder tranken Bier oder Whisky, aber eigentlich war die Musik unsere Droge. Ein netter Freund gab uns manchmal ein paar „Zauberpilze“ (Psilocybin), einmal nahmen wir das in Kombination mit recht viel Jameson's Irish Whiskey. Anscheinend war unser Konzert sehr gut, aber ansonsten war es wirklich ein Horrortrip.



 
Dominik T. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» FACTRIX Myspace-Fanpage


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