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Roy L.

JAN DUKES DE GREY: Mice And Rats ...

Folkmusik 1964-1984 | Teil XX


JAN DUKES DE GREY: Mice And Rats ...
Kategorie: Spezial
Wörter: 1392
Erstellt: 21.05.2008
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JAN DUKES DE GREY - Mice And Rats In The Loft
(1971, UK, Transatlantic)



Als sich Pitchfork und Brainwashed vor dreieinhalb Jahren etwa gleichzeitig auf die Neuauflage von „Mice And Rats In The Loft“ stürzten, konnten Besserwisser und andere edle Seelen nicht umhin, einen typischen Fall von 'was Tibet gut findet, finden wir schon lange gut' zu attestieren. 'Unser' David Michael durfte damals die Linernotes verfassen, apokalyptische this-ain't-the-summer-of-love Theorien spinnen und bedankte sich bei Gelegenheit bei Prophet Qa' Spel für Bekehrung und Erleuchtung, wohingegen Kollege Stapleton überraschenderweise leer ausging, obwohl der die Platte ja schon über zwanzig Jahre zuvor heilig gesprochen hatte.

Nun, worum geht es eigentlich? JAN DUKES DE GREY. Ein britisches Folk Rock-Trio, das kam und ging, wie so viele andere Folk Rock-Trios Anfang der Siebziger. Ihr zweites und letztes Album, ein beklemmend neurotisches Psych-Folk-Melodram, erschien 1971 beim konservativen TRANSATLANTIC-Label, das in den Jahren zuvor mit PENTANGLE und RALPH McTELL anscheinend genügend Geld eingefahren hatte, um solche kommerziellen Fehltritte halbwegs verschmerzen zu können. Allein das ist kurios genug, seltsamer noch mutet die musikalische Wandlung an, die sich vollzogen hatte, als sich Schlagzeuger DENIS CONLAN kurz nach Veröffentlichung des ersten Albums „Sorcerers“ dem Duo DEREK NOY und MICHAEL BAIRSTOW angeschlossen hatte. Alles, was über die Bandgeschichte bekannt ist, beschränkt sich darauf, dass Derek und Michael gegen Ende 1968 angefangen haben, Songs zu komponieren und in der Folkszene ihrer Heimatstadt Leeds aufzutreten. Ein Jahr später hatten die beiden bereits einen Plattenvertrag mit dem angesehenen DECCA-Label und nahmen ihr Debüt innerhalb von drei Tagen auf. Kein visionäres Werk, achtzehn schlichte und kurze Akustik-Folk-Nummern, die irgendwo zwischen MARC BOLAN und SYD BARRETT ihren eigenen, recht harmlosen Weg suchten und immer wieder unterwegs auf die exotischen Inkarnationen der STRING BAND trafen. Immerhin wurde alles selbst eingespielt und das Instrumentarium bestand nicht nur aus der unvermeidlichen Klampfe und Bongos, sondern auch aus einer großen Auswahl an Blasinstrumenten, die das Repertoire von JAN DUKES DE GREY schon in dieser Frühphase melodisch 'interessant' machten. Für Songwriter Derek muss es ohnehin eine kreative Zeit gewesen sein, er schrieb in den zwei Jahren der Bandgeschichte über achtzig Songs. Ein Jammer, dass nur ein Viertel davon aufgenommen wurde.
Als „Sorcerers“ 1969 auf den Markt kam – und sich nicht verkaufte – war die Band schon auf dem Weg, sich aus dem naiven Songwriter-Folk-Kosmos zu entfernen und dunklere, schrägere Pfade einzuschlagen. Mit Conlan am Schlagzeug wurden die Songs länger, die Kompositionen komplexer und der Sound rockiger und psychedelischer. DECCA hatte offensichtlich kein Interesse an einem zweiten Reinfall und TRANSATLANTIC begannen sich ohnehin gerade für Prog und härtere Rockgeschichten zu interessieren. So hatten JAN DUKES DE GREY zumindest mit dem Labelwechsel keine allzu schlechte Karte gezogen.

„Mice And Rats In The Loft“ besteht aus nur drei Stücken, dem 19-minütigen Epos „Sun Symphonica“, das die gesamte A-Seite für sich beansprucht und zwei weniger interessanten Titeln auf der B-Seite.          
1970 aufgenommen, bildet „Sun Symphonica“ den späterhin nicht mehr übertroffenen Gipfelpunkt des riesigen, unüberschaubaren Psychedelic- und Progressive-Folk-Berges, der sich innerhalb von vier wilden Jahren über Großbritannien aufgetürmt hatte. Dennoch standen JAN DUKES DE GREY mit diesem eigenartigen Monster eher zwischen den Stühlen. Das ganze ist einerseits in sich zu sinfonisch, zu gut arrangiert und strukturiert, um noch als bewusstseinserweiternde „Freeform“-Session durchzugehen. Auf der anderen Seite wirkt alles zu schizophren, zu bedrohlich, zu apokalyptisch und manchmal auch zu schmutzig, um wirklich nahtlosen Anschluss an die unsäglichen JETHRO TULL, an YES oder MAGNA CARTA finden zu können, von einigen Verspielern und handwerklichen Ungenauigkeiten einmal ganz zu schweigen.
Was noch wie ein leichtsinniger, beschwingter DONOVAN-Song mit viel Sonnenschein und strahlenden Gesichtern anhebt, entwickelt sich schnell zu einer hektischen, nervösen Treibjagd, die nicht still hält und immer wieder mit zuckenden Akkorden nach allen Seiten hin ausschlägt. Furchteinflößende Tröten und Saxophongewitter, seriöse Streichquartette und verdrogte Schlagzeuger tauchen am Wegesrand auf und veranstalten ein Festival der epileptischen Anfälle. Nach etwa acht, neun Minuten haben sich die einzelnen Stränge soweit entwirrt, dass sie langsam eine deutliche Richtung anzuzeigen imstande sind. Jetzt wird alles wieder gut, glaubt man für einen Moment und irrt sich dabei fatal. Immer mehr gestaltet sich „Sun Symphonica“ von hier an zu einem abgrundtief düsteren Höllentrip und plötzlich merkt man, dass all die herzflimmernde Gaukelei der Bläser und Streicher in Wirklichkeit todernst ist und hier einiges auf dem Spiel steht.
In ihrer regelrecht pathologischen Gewalttätigkeit und Geistesgestörtheit sind JAN DUKES DE GREY durchaus ihren Zeitgenossen COMUS artverwandt. Doch bei COMUS hat alles noch einen eher chthonischen, bacchantischen Hintergrund, mit anderen Worten, es gibt überhaupt ein Dahinter, eine Ursache, eine Quelle des Wahnsinns. Bei dem jungen Trio aus Leeds, das sich für die Covergestaltung ihres zweiten Albums als mordlüsterne Waldräuber und finstere Anti-Hippies inszenierte, weiß man nicht, woher ihre Verrücktheit stammt und wo sie damit hin möchten. Spekulationen übersteigen sich ins Kosmische.
Bei der Dreizehn- bis Vierzehn-Minutenmarke angelangt, entspinnt sich in der Musik etwas, für das Worte nicht mehr ausreichen. Hier ist alles nur noch reine Intensität, reines Gipfelstürmen, ein Orgasmus von Streichern, der die Schwelle zum Meta-physischen überschreitet. Vielleicht hört sich so die Geburt einer Sonne an oder ein ritueller Massenselbstmord irgendwo im Dschungel zwischen Hybris und Todestrieb.
Wer sich „Mice And Rats In The Loft“ auf Vinyl anhört, wird sicher einige Zeit brauchen, um die Platte zu wenden. Nach einem Epos wie „Sun Symphonica“ ist man wie gelähmt und erschlagen. In einer solchen Gemütslage wirken die beiden Titel der B-Seite auch fast enttäuschend und unwichtig. Bei „Call Of The Wild“ handelt es sich um einen zwölfminütigen archaischen Hymnus mit exorbitanten und beinahe dissonanten Schraddelorgien, der erst in den letzten Augenblicken auf eine leichter verdauliche Prog-Folk-Schiene findet. Der eigenartige Gitarrensound, den JAN DUKES DE GREY für diese Platte 'erfunden' haben und der vor allem nach leicht verzerrten und übersteuerten Stahlsaiten klingt, erscheint bei diesem Stück dann auch weniger visionär als nervtötend.
Die letzten acht Minuten des Albums gehören einer derben, säurehaltigen Psych-Rock-Eruption, die aber wiederum zu sehr an etwas unbenennbar Schwerfälligem und Psychopathischem leidet, um wirklich kalifornisch 'befreiend' und 'far out' wirken zu können. Auch das Titelstück ist von hektischen Verfolgungsjagden, von Paranoia, Furcht und Schrecken gekennzeichnet. Songtext und Plattencover lassen sich sicher mit einer psychoanalytischen Lesart interpretieren. An die drängende Dramatik und Intensität der A-Seite reicht „Mice And Rats In The Loft“ jedoch nicht mehr heran. Ab einem bestimmten Punkt ist es einfach unmöglich, noch höher zu steigen.

Wie kaum anders zu erwarten, verkaufte sich die LP nicht besser als der Vorgänger „Sorcerers“. Über Konzerte und Auftritte der Band ist nichts dokumentiert. Wie so viele andere kurzlebige, semi-populäre Gruppen zu Beginn der Siebziger, verschwanden JAN DUKES DE GREY so plötzlich wie sie gekommen waren. „Mice And Rats In The Loft“ wurde Anfang des neuen Jahrtausends, auch auf Initiative DAVID TIBETs hin, in mehreren Auflagen auf Vinyl und CD gepresst. Ihr erstes Album „Sorcerers“ ist derzeit auf CD nur als Bootleg erhältlich.
„Mice And Rats In The Loft“ wurde in letzter Zeit recht häufig und gern als der große, verschollen geglaubte 'heilige Gral' der psychedelischen Ära bezeichnet. Man muss die Platte nicht bis ins kleinste Detail verinnerlicht haben, um zu wissen, dass hier einige Geister etwas zu leichtfertig mit den großen Worten umgehen. JAN DUKES DE GREY waren im Wesentlichen verrückte junge Leute mit schrägen, interessanten Ideen, aber keine echten Genies, die den Schlüssel zur letzten Psych-Folk-Wahrheit gefunden haben. Einen nachhaltigen musikalischen Einfluss haben sie weder auf ihre Zeit, noch auf nachfolgende Generationen ausüben können, von TIBETs liebenswerten Hirngespinsten einmal abgesehen. Die Platte ist im Grunde eine unter vielen Kuriositäten, die zwischen „5000 Spirits...“ und „Hard Rope & Silken Twine“ nur halb und halb ans Tageslicht gekommen sind.
Trotz alledem haben JAN DUKES DE GREY, wie eingangs schon erwähnt mit „Sun Symphonica“ aus heutiger Sicht sicher einen der markantesten Momente im britischen Folkkosmos platzieren können. Und diese neunzehnminütige Sinfonie ist fürwahr ein musikalisches Ereignis, das nur schwer zu kopieren und einzuordnen ist und auch fünfunddreißig Jahre später nichts von seiner abenteuerlichen, faszinierend dunklen Sogkraft eingebüßt hat.


Titel:
A
Sun Symphonica

B
Call Of The Wild
Mice And Rats In The Loft

40min


Erstauflage:
Transatlantic TRA 234 | 1971

Re-Releases:
2003: Earmark | EAR 42016 | LP
2005: Breathless | 52001 | CD

 
Roy L. für nonpop.de


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