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Roy L.

SUBWAY: s/t

Folkmusik 1964-1984 | Teil XVII


SUBWAY: s/t
Kategorie: Spezial
Wörter: 1466
Erstellt: 30.04.2008
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SUBWAY - s/t
(1972, USA/UK/Frankreich, Epic Records)



Es hört sich an wie irgendein abgedroschenes Hollywoodmärchen. Aber eins mit lang hinausgeschobenem Happy End. Zwei musikalische Genies treffen sich mitten in einer Großstadt auf der Straße, spielen zusammen ein paar Songs, werden von einem Produzenten aufgegabelt und nehmen in einem hochmodernen Tonstudio ein wahnsinnig erfolgloses und rares Album auf, das dreißig Jahre später in keinem einschlägigen 60er/70er Psych-Folk Kanon mehr fehlen dürfte.

Die Geschichte von SUBWAY ist im Wesentlichen die Geschichte von IRVIN MOWREY und MALCOLM WATSON, zwei Aussteiger und mehr oder weniger unfreiwillige Straßenmusiker. Der eine ist Amerikaner, schlägt sich als Songwriter mit seiner zwölfsaitigen Akustikgitarre durchs Leben und siedelt Ende der Sechziger nach Großbritannien über, um ein wenig von der großen blühenden Folkrockszene im Swinging London mitzubekommen. Der Andere stammt aus England, ein Wunderkind, das schon die Saiten strich, als andere Kinder noch nicht einmal das Wort 'Violine' buchstabieren konnten, und im Alter von 16 Jahren erfolgreich das Konservatorium besucht. Beide sind auf ihre Weise mit göttlichem Talent gesegnet, haben innerlich aber irgendwie den Anschluss ans 'Musikgeschäft' verpasst. Als Watson von einem Engagement an der Elfenbeinküste zurückkehrt, möchte der junge, verrückte Violinist vor allem aus dem engen Rahmen der klassischen Musik ausbrechen und ein wenig auf eigenen Füßen stehend experimentieren. Es scheint dabei tatsächlich eine äußerst günstige Fügung gewesen zu sein, dass er gerade zu dieser Zeit in London auf Irvin trifft, der dagegen endlich einmal mit ernsthaften Musikern zusammenarbeiten wollte. Die Chemie zwischen den beiden stimmte vom ersten Moment an und schnell entwickelt sich aus der spontanen Jam Session ein längerfristiges Duo, das schon bald in verschiedenen europäischen Städten in eine Reihe glücklicher Zufälle tapsen wird.
Der Bandname SUBWAY wurde für ihr erstes Album, das 1972 in Frankreich erschien, nicht so ohne weiteres ausgewählt. Denn alle Ereignisse, die sich für die Karriere des Duos als wichtig erwiesen, hatten in irgendeiner Hinsicht immer mit U-Bahn Stationen zu tun. Als Irv und Malcolm einander zum ersten Mal begegnetet waren, studierten sie sofort drei Songs ein und 'probierten' diese anschließend im Londoner Underground aus. Nicht ganz eine Viertelstunde soll es gedauert haben, bis sie zu einem Auftritt im Radio eingeladen wurden und den Moderator am nächsten Abend mit der Tatsache verblüfften, dass sie ihm nur diese drei gerade eingeprobten Stücke würden anbieten können. Nach dem Radio-Intermezzo zogen die beiden für eine kurze Weile zusammen, und arbeiteten daran, die von Irv geschriebenen Songs nun für Gitarre und Geige neu zu arrangieren.
Das ganze geriet einen Augenblick lang ins Stocken, als Irvins Visum auslief und dieser – vielleicht auf den Spuren DAEVID ALLENs – nach Paris flüchten musste. Als inzwischen erfahrener Straßenmusiker fand sich Mowry jedoch schnell zurecht, organisierte sich binnen kürzester Zeit ein paar Auftritte und lud Watson ein, ebenfalls nach Frankreich zu kommen. Die beiden verdienten sich ihren Unterhalt damit, wo sonst als in Pariser U-Bahn Stationen aufzutreten, mal gemeinsam und mal jeder für sich. Es wird wiederum nicht allzu viel Zeit verstrichen sein, bis die Schwester von Produzent ALAIN WISNIAK sie dort spielen hörte und das Märchen Anlauf nahm, immer süßer und zuckriger zu werden. WISNIAK handelte mit der französischen Abteilung des Majorlabels EPIC RECORDS einen Deal aus und das Duo durfte ihre erste gemeinsame Platte im Studio von CLAUDE DENJEAN unter verhältnismäßig professionellen Umständen einspielen.

Zwischen Straßenmusik und Studiomusik liegen im Grunde Welten. Im Studio verliert der Klang seine Flüchtigkeit – indem ihr die Möglichkeit zur Reproduktion gegeben ist, erhält die Musik eine visuelle Komponente und die Lieder wachsen sich zu Bildern aus, die eher an den Raum als an die Zeit gebunden scheinen. Hinter SUBWAYs namenlosem Album steckt dabei eine relativ aufwändige Produktion: zahlreiche Overdubs, Soundeffekte, Verfremdungen und in manchen Passagen wurde zudem die ursprünglich recht schlichte Instrumentierung mit einem Rock-Schlagzeug, Bass und E-Gitarren ausstaffiert.
So haben Irvin und Malcolm sicher nicht geklungen, als sie zu zweit in der Metro spielten. Nur die Songs selbst sind die gleichen geblieben und hier liegt auch die Essenz ihrer Musik. Es ist die Art des Songwritings und der Arrangements, die ziemlich eigenbrötlerisch wirkt und wenig mit dem Folk, Blues und Rock ihrer Zeit gemein hat. Man muss unweigerlich an Zigeunermusik denken, auch an Troubadourlieder, Musik, die unter freiem Himmel entsteht. Nur die beiden mehr oder weniger 'naturbelassenen' Stücke „I Am A Child“ und „Arizona Sands“ geben Aufschluss darüber, wie SUBWAY in Wirklichkeit geklungen haben könnten. Es sind dies sehr schlichte Lieder mit schlichten Akkorden, die viel Raum für Malcolms traurigschöne Violinenimprovisationen lassen und Akustik-Folkern und Wandergitarristen leicht ins Blut gehen dürften.
Die anderen sechs Titel bewegen sich dagegen ganz leichtfüßig und virtuos zwischen softpsychedelischen Kompositionen, die über eine beachtliche Räumlichkeit verfügen und elektrischen Folk-Rock Nummern, die an die vorwärtstreibenden PRETTY THINGS des „S.F. Sorrow“-Albums denken lassen, im Herzen aber viel naiver und unschuldiger sind. Immer ist es Malcolms klassisches bis experimentelles Geigenspiel, das, auf mehrere Tonspuren verteilt, die Songs in ihre jeweiligen Bahnen lenkt und manchmal auch die Gleise wechseln lässt. Das Instrumental „Enturbulation – Free Form“ hört sich dann auch, o Wunder, genauso an, wie es heißt: eine leicht funkige Jam-Session, bei der die elektrisch verstärkten Saiten teilweise etwas härter zupacken, aber auch wie zahme Löwen stets dem Dompteurbogen des Violinisten folgen. In etwa so, als hätte man die frühen GRATEFUL DEAD zu Prog-Rock Übungsstunden verdonnert und nach fünf Minuten das Tonband abgestellt. Denn länger durfte die Befreiung aus den Fesseln der Form wohl nicht dauern, sie macht einen etwas abgewürgten Eindruck, zeigt aber auch die ganze Klasse von Malcolm Watson, der sicher, wenn er sich nicht ständig in den U-Bahnen diverser europäischer Metropolen herumgetrieben hätte, auf die ein oder andere Canterbury-Band angesetzt worden wäre.
Interessant sind SUBWAY jedoch vor allem ihrer beinahe völligen Ortlosigkeit wegen. Die Musik der beiden modernen Troubadoure steht in keiner Tradition und hat keinen anderen Platz auf Erden als ständig wechselnde Straßenecken in immer anderen Städten. Obwohl in einem richtigen Tonstudio entstanden, setzt sich dies bis in die Aufnahmen der vorliegenden Platte fort. Es fällt insgesamt auch schwer, die Songs in irgendeine Linie mit anderen Bands, nationalen oder regionalen Szenen zu stellen. Auch wenn man Mowrey eine typisch amerikanische Songwriter-Prägung immer noch anmerkt, so hat sich sein Repertoire auf dem Weg nach London und Paris doch entscheidend deterritorialisiert. Es sind nomadische Lieder für das Jahrhundert der Nomaden. SUBWAY ist so sehr ein Produkt glücklicher Zufälle. Und man hört es in der Musik, dass hier nichts aus einer bestimmten Erde gewachsen ist, sondern dass Atome kollidierten, die selbst schon heimatlos und ungebunden umher schwirrten. Alles nur eine Frage des Augenblicks, der Wetterverhältnisse. Mowrey und Watson trafen sich in einem höheren Reich als dem der Geographie. Ihr 1972 erschienenes Album ist ein naturschönes Liebeskind, das zwischen Musik als Lebensunterhalt und Musik als Studioexperiment geboren wurde.

Eigentlich war das große EPIC-Label nicht allzu interessiert an dem Projekt. Vermutlich war es eine Sache der Finanzierung, dass tatsächlich nur 200 Exemplare der Platte gepresst wurden, die sich übrigens auch nur mühselig verkauften. SUBWAY geriet schnell in Vergessenheit. Mowrey und Watson tourten zwar für das Album, spielten danach jedoch wieder auf der Straße, zogen weiter nach San Francisco, wurden wieder 'entdeckt' und nahmen 1976 wieder eine Platte auf, diesmal unter ihren eigenen Namen und mit dem treffenden Titel „Busker“. Von IRVIN MOWREY, der Ende der Siebziger im Umfeld der Prog-Rocker BACHDENKEL zugegen ist und als Gastsänger auf deren zweiten Album „Stalingrad“ auftaucht, ist außerdem noch ein 1979 veröffentlichtes Soloalbum namens „Continental Drift“ bekannt. MALCOLM WATSON dagegen packte seine Geige, bald nachdem er und Mowrey getrennte Wege gingen, aus Enttäuschung über die starrsinnigen Gesetzmäßigkeiten des Musikgeschäfts zurück in den Schrank und gab sich für über ein Jahrzehnt intellektuellen Kontemplationen hin. Seit Mitte der 90er ist er wieder als virtuoser Jazz-Violinist aktiv, tourt  viel und häufig, erhält einige Fernsehauftritte und unterhält mit dem Gitarristen COLIN MCALLISTER derzeit das Projekt WATSON & COMPANY.

Die Platte der beiden Straßenmusiker zeigt im Grunde nicht mehr und nicht weniger als eine Reaktion von Elementen aus dem Niemandsland zwischen Songwriter-Folk und Klassik, eine Reaktion, die dazu in einem Labor stattfindet, in dem Psychedelia und Prog gerade furchtbar in Mode waren. SUBWAY hätte dabei gar nicht viel länger existieren können. Wovon die heute legendäre Platte lebt, das ist in erster Linie ein Gefühl, unterwegs zu sein, in Europa, Anfang der Siebziger. Schon damals ohne Grenzen und ohne Namen – Zuflucht für rastlose Wanderer.


Titel:
A
I Am A Child
Song For Sinking Shelters
Warm You Are
All The Good Things

B
Enturbulation – Free Form
Arizona Sands
Rosanna Of The Roses
Can I Trade With You My Mind

36min


Erstauflage:

Epic 64541 | 1972

Re-Releases:

2005: Amber Soundroom | ASLP 049 | LP
2006: Guerssen | GUESS 007 | CD

 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Subway @ MySpace

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