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Roy L.

GARY HIGGINS: Red Hash

Folkmusik 1964-1984 | Teil XV


GARY HIGGINS: Red Hash
Kategorie: Spezial
Wörter: 1525
Erstellt: 13.04.2008
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GARY HIGGINS - Red Hash
(1973, USA, Nufusmoon)



Mal überlegen, aus welchen Gründen könnte sich eine musikalisch eigentlich ziemlich ambitionierte LP einfach so in Nichts auflösen und für Jahrzehnte in Vergessenheit geraten? Zu futuristisch für den Zeitgeist? Eigentlich nur selten vorstellbar. Zu wenig Exemplare im Umlauf? Gut möglich, aber kein unüberwindbares Problem. Zu wenig Promotion, weil der Sänger für ein bisschen Haschisch im Knast sitzt, anstatt Konzerte zu geben? Aha! Das klingt doch überzeugend. Und geradeso als hätte der rotbärtige Barde GARY HIGGINS damals schon gewusst, dass man in dreißig Jahren mit so einer Geschichte für ziemlich viel Aufsehen sorgen kann. Zumindest wenn man das Glück hat, von irgendeinem musikalischen Amateurdetektiv aufgespürt zu werden.

Als 2005 das SIX ORGANS OF ADMITTANCE-Album „The School Of Flowers“ erschien, war auf dem Inlay der Platte folgende Notiz zu lesen: „if anyone has any information on the whereabouts or fate of Gary Higgins, please contact us at Drag City“. Warum? Nun, BEN CHASNY hatte auf demselben Album den „Red Hash“-Opener „Thicker Than A Smokey“ gecovert, nachdem er von Bandkollegen ETHAN MILLER (COMETS ON FIRE) ein Tape des verschollenen Folk-Klassikers von 1973 bekommen hatte. Das Märchen ging natürlich für alle Beteiligten mit einem schönen amerikanischen Happy End aus. CHASNY und DRAG CITY-Mitarbeiter ZACH COWIE konnten den inzwischen reifen Althippie früher oder später ausfindig machen, nachdem sie nahezu jeden in Connecticut verzeichneten GARY HIGGINS kontaktiert hatten, und DRAG CITY war, dank der Masterbänder, letztendlich in der Lage die LP ins digitale Zeitalter zu retten.
Seitdem ist die Geschichte von „Red Hash“ und seinem Schöpfer schon von unzähligen Journalisten und Pseudo-Journalisten nacherzählt und abgepaust worden. Der Vollständigkeit halber möchten wir, in diesen geistreichen Choral uns einzureihen, nicht missen.
Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Neuengland, zieht es Higgins schon früh zur Musik. Mit fünf anderen pubertären Hipstern aus der Gegend gründet er 1963 die Band RANDOM CONCEPT, die Mitte der Sechziger ein ausschweifendes Rock'n'Roll-Leben in der New Yorker Szene führt, das den Provinzjungs jedoch gar nicht gut bekommt. Nur Bandleader und spätere Elektro-Rock Legende SIMEON COXE fühlt sich in der Großstadt ausgesprochen wohl und steigt bei RANDOM CONCEPT aus, um ein paar Jahre später mit dem Projekt SILVER APPLES selbst Musikgeschichte zu schreiben. Nachdem auch Schlagzeuger RONNY BAILY im urbanen Sumpf verloren ging, zogen sich die vier Übriggebliebenen JAKE BELL, DAVE BEAUJON, TERRY FUNTON und natürlich GARY HIGGINS wieder ins Landleben zurück, blieben aber als Band zusammen und gaben auch weiterhin zahlreiche Auftritte. Zur gleichen Zeit spielten Bell und Higgins in der eher folkorientierten Akustikband WOODEN WHEEL, die ansonsten nur aus Songwriter PAUL TIERNEY und Cellistin MAUREEN WALLS bestand. Sie alle lebten Ende der Sechziger sehr dicht beieinander und bildeten auf diese Weise eine Art ländliche Aussteiger-Hippie-Kommune.
Etwa 1968 werden RANDOM CONCEPT Hausband in GARY CARDILLOs verrauchtem Club „The Hukah“ in Torrington. Nicht sonderlich überraschend oder ungewöhnlich, sind Higgins und Cardillo in kleinere Drogengeschäfte verwickelt und rauchen Haschisch wie damals sicher jeder zweite oder dritte Staatsbürger im gelobten Land. Nur war das ganze in der Provinz zur Nixon-Ära schon ein wenig gefährlicher als noch während der ausgelassenen Liebessommer in San Francisco. Nach einer Razzia bei einem Bekannten im Oktober 1972, konnte sich Higgins ziemlich sicher sein, dass er früher oder später als Nächster drankommen würde. Polizei und Gefängnis stets vor Augen, machte sich verständlicherweise immer mehr das bedrückende Gefühl breit, nun endlich musikalisch etwas hinterlassen zu müssen. Also trommelt er für zwei Tage sämtliche Bandmitglieder von RANDOM CONCEPT und WOODEN WHEEL in einem kleinen lokalen Tonstudio zusammen und nimmt mit recht primitiver Technik genügend Songs für eine erste eigene Platte auf. Als diese gemastert, gepresst und veröffentlicht wird, sitzt Higgins bereits hinter Gittern. Gary Cardillo hatte eigens ein kleines privates Label namens NUFUSMOON ins Leben gerufen, um „Red Hash“ mit finanzieller Unterstützung der Higgins-Kommune herausbringen zu können. Er ließ etwa zwischen 2500 und 3000 Exemplare von der LP pressen und versuchte sie mit großem Einsatz unters Volk zu bringen. Aber ohne Higgins und ohne Konzerte, Touren, die nötig gewesen wären, um das Album ausreichend zu promoten, verschwand es schnell in der Versenkung und avancierte zwei Jahrzehnte später zu einem heiß begehrten Sammlerstück unter Psych-Folk-Kennern.

Eigentlich hätte „Red Hash“ mit etwas aufwändigerer Produktion ein echtes Rockalbum werden können und gerade die Songs „It Didn't Take Too Long“ und „Down On The Farm“ verheimlichen auch kaum, dass sich hier hinter der leichten Songwriterfassade eine mehrköpfige Band verbirgt. Der widrigen Umstände der Aufnahmen wegen, dem allgegenwärtigen Mangel an Zeit, Geld und  Equipment zu schulden, ist daraus am Ende aber letztlich doch eine Sammlung von eher minimalistisch arrangierten Stücken geworden und ebenso ein Album der leisen und melancholischen Töne. Heute könnte man korrigieren, dass, zumindest aus musikalischer Sicht, die Sterne für dieses Album doch recht günstig standen. Denn eben dieses im Grunde ungewollte intime, introvertierte Endprodukt bedingt genau den Zauber, den magischen Schimmer, von dem sich eine neue Generation von Folkies inzwischen so sehr angezogen fühlt, vielleicht vergleichbar mit der Faszination, die lange Zeit von NICK DRAKE ausging, obwohl sich dieser ungleich weinerlicher und kryptischer anhört.
HIGGINS ist eben vor allem Amerikaner und hat mit der britischen Folktradition nur sehr wenig zu schaffen. Man muss eher an sehr frühe BYRDS denken und wie sie sich vielleicht auf einer Beerdigung anhören würden oder in einer kleinen biederen Bar in der Provinz und gerade nicht an der sonnigen Pazifikküste. Aber trotzdem glüht auch häufig diese eben negierte Sunshine-Pop Coolness hindurch, besonders dann, wenn der 'lonely boy' Higgins in seinen Songs unterwegs und 'auf der Flucht' ist, vor der Wirklichkeit, vor gewissen Autoritäten oder vor eigenen unliebsamen Fragen. Dann behält er sich die Abgeklärtheit und Nüchternheit eines einsamen Beatnik-Wanderers vor und zieht all den Schmerz mit den Nasenflügeln hoch, so dass er vermeintlich unsichtbar wird, aber dadurch nur umso präsenter wirkt.
Meistens sind es dabei einfach nur Akustikgitarre, Klavier und Cello, die Higgins mal elegisch, mal etwas belebter begleiten. Schlagzeug und Bass sind teilweise so leise abgemischt, dass sie nur selten in Erscheinung treten, dann jedoch wie in „Looking For June“ für viel Rhythm'n'Blues sorgen, wahrscheinlich eine Hinterlassenschaft des RANDOM CONCEPT-Einflusses.
Was insgesamt sehr viel Verwunderung hervorruft, das ist HIGGINS' außergewöhnliches Songwriting, von dem man an keiner Stelle behaupten kann, es sei ins Alter gekommen oder einfach nur ein Produkt seiner Zeit. „Red Hash“ wirkt sogar um einiges frischer und aktueller, als einige mittelmäßige Publikationen der heutigen Folkszene. Würde man die Geschichte dahinter nicht kennen und einfach nur so die Musik hören, fiele es sicher nicht schwer, sich bei der Einordnung im Jahrzehnt zu vertun. Gerade die ruhigeren, song-orientierteren SIX ORGANS OF ADMITTANCE der „Compathía“-Phase stehen stilistisch, klanglich und atmosphärisch in definitiv der gleichen Ecke des Plattenschranks. Und was die Qualität anbelangt, möchte man dem alten Hippie mit dem roten Rauschebart auch noch gern das Zepter in die Hand drücken. Davon abgesehen werden Songs wie „Thicker Than A Smokey“ und viel mehr noch das wunderbare, soft-psychedelische „I Pick Notes From The Sky“ zu keiner Zeit im Übermaß geschrieben.

Während sein Album, wie ja im Grunde auch nicht anders zu erwarten war, nicht annähernd den Durchbruch schaffte, hatte Higgins wenigstens etwas Glück im Unglück und musste nur dreizehn Monate einsitzen, obwohl er zu fünf bis zehn Jahren verurteilt worden war. Aus der Staatsgewalt entlassen, widmete er sich sehr schnell wieder der Musik, doch von da an in noch sehr viel kleinerem Maßstab als je schon zuvor – nur gelegentliche Sessions mit der „Familie“ und ein paar ungeschliffene Aufnahmen zuhause kamen zustande. Die wilden Zeiten der frühen Siebziger waren natürlich vorüber und Higgins entschied sich für das private Glück, Heirat, Kinder, eine geregelte „ehrliche“ Arbeit. Als ihn Cowie und Chasny schließlich vor nicht ganz zwei Jahren ausfindig machen, ist er jedoch sehr gern wieder bereit als Musiker an die Öffentlichkeit zu treten. So kam es, dass er nach über dreißig Jahren die Songs des „Red Hash“-Albums zum ersten Mal einem Publikum live präsentieren konnte. Heute gibt Higgins mit einem Teil seiner damaligen Band wieder regelmäßig Konzerte und spielt bei Festivals, auf denen auch WHITEHOUSE oder TONY CONRAD vertreten sind. Wer hätte das schon gedacht, damals in Connecticut, in den Siebzigern.

Auch wenn HIGGINS bis heute nicht wirklich zufrieden mit den gewissermaßen nur halbfertigen Aufnahmen ist und auch wenn die Atmosphäre des Albums unweigerlich durch die in der Luft liegende Inhaftierung sehr deutlich geprägt wurde – die letzten Worte des letzten Songs lauten sicher nicht zufällig: „cause I'll be down, there's no hope, wondering how, I gonna get some dope“ -, so ist „Red Hash“ dennoch ohne Zweifel eines der großen amerikanischen Songwriteralben der 60er/70er Ära, dem man dazu eine vom ersten Ton an wahrnehmbare Eigenständigkeit und Einzigartigkeit keinesfalls absprechen kann.


Titel:
A
Thicker Than A Smokey
It Didn't Take Too Long
Windy Child
Telegraph Towers
I Can't Sleep At Night

B
Cuckoo
I Pick Notes From The Sky
Stable The Spuds
Down On The Farm
Unable To Fly
Looking For June

41min


Erstauflage:
WMI 3673 | 1973

offizielles Re-Release:
2005: Drag City | DC295CD | CD
2008: Drag City | DC295LP | LP + 7“



 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Gary Higgins @ Drag City

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