1. Aktualisierung
2. Einleitung 3. Interview 4. Hinweise Aktualisierung (2004-2007) Im Folgenden präsentieren wir auf NONPOP ein Interview mit HILMAR ÖRN HILMARSSON (HÖH, PSYCHIC TV, CURRENT 93, SIGUR RÓS), geführt 2004 per e-mail und Telefon und abgedruckt in ZINNOBER # 7. Bevor es aber losgeht, möchte ich die Gelegenheit zu einer Aktualisierung nutzen. Im Grunde ist, wie es auch für das langsame Arbeitstempo von HÖH typisch ist, in den letzten zweieinhalb Jahren nicht viel passiert. Allerdings ist gerade ganz frisch eine DVD des englischen Films "Beowulf & Grendel" (2005) erschienen, verfilmt wird hier das gleichnamige angelsächsische Heldengedicht, die Filmmusik stammt natürlich von HÖH. Über VOICEPRINT sind außerdem bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen aus der PSYCHIC TV "Godstar"-Zeit (1986, gewidmet BRIAN JONES (1947-1969) (ROLLING STONES)) erschienen, darunter auch Musik, die (vermutlich) mit HÖH entstand, das Ganze nennt sich "Godstar: Thee Director's Cut". Weiterhin erschien 2005 die DVD "Screaming Masterpieces", ein Dokumentarfilm über die isländische Musikszene, auf dieser auch ein Interview mit HÖH. Zum Film erschien ein Soundtrack mit u.a. BJÖRK, JOHANN JOHANNSON, BANG GANG und einem zehnminütigen Auszug aus der HÖH/SIGUR ROS-Zusammenarbeit "Odin's Raven Magic". Übrigens ist das nicht der erste Film über die isländische Musikszene, niemand geringeres als HÖH-Freund FRIDRIK THOR FRIDRIKSSON drehte bereits 1982 mit "Rokk í Reykjavík" eine Dokumentation über die isländische Punkszene. Auch dazu gibt es einen sehr guten Soundtrack – ohne HÖH (wenn er nicht irgendwo mitgespielt hat), dafür heizte der damals noch lebende "Heidenpapst" SVEINTBJÖRN BENTEINSSON den Island-Punks mit seinen Rimur-Gesängen ein. Im Interview nicht weiter behandelte Kollaborationen ging HÖH außerdem mit der bekannten grönländischen Sängerin EIVÖR PÁLSDÓTTIR und den alten Freunden BUBBI MORTHENS (teilweise Reggae-beeinflusst) und GODKRIST (Album "Dense Time", 2005) ein. Angedacht ist sogar eine Kollaboration mit Hajüt (THELEMA, STURMPERCHT, SOULSEARCH). Bleibt noch zu erwähnen, dass HÖHs Sohn ODINN ÖRN HILMARSSON von London aus auch musikalisch aktiv ist, u.a. hat er eine Art Nu-Death Metal Band namens SOULCATCHER gegründet, spielt aber auch manchmal bei den Freunden seines Vaters mit. Weitere Aktualisierungen mitunter im Text. Einleitung 2000/2001 war das Jahr des SIGUR RÓS-Hypes. Alle Musikliebhaber, die up to date sein und sich ihres kultivierten, keine stilistischen Grenzen kennenden Musikgeschmacks rühmen wollten, mussten die leise, aber doch so emotionale Musik dieser Post-Rock Formation aus Island, deren Gitarrist sein Instrument mit einem Geigenbogen bedient, gut finden. Aus meiner Sicht zu Recht, denn SIGUR RÓS waren und sind großartig. Breite Kreise fingen nun an sich für die Pop, Rock, Experimental Musik-Szene der ca. 307 000 Einwohner zählenden Insel im hohen Norden zu interessieren, nachdem freilich schon Jahre vorher die Pop-Postpunk Band THE SUGARCUBES, EMILLIA TORRINI und vor allem BJÖRK Solo (BJÖRK sang auch bei den SUGARCUBES von 1986 bis 1992) weltweit größte Erfolge erzielten. Zudem beschränkte sich dieses neue Interesse an isländischer Kunst nicht auf die Musik allein, spätestens seit 1992 der Film "Children Of Nature" für einen Oskar als bester nicht-us-amerikanischer Film nominiert wurde, hat sich auch die Bezeichnung "Neuer Isländischer Film" als eine Art eigenständiger Begriff und auch als Qualitätsmerkmal für oft herzzerreißend tragikomisches Kino durchgesetzt. Wenn man sich diese Musik anhört, sich diese Filme anschaut, ist man auf eigentümliche Art ergriffen. Man fühlt, dass es etwas alles Verbindendes in dieser "Island-Kunst" gibt. Man spürt, dass es etwas "Religiöses" ist. Als "neofolkoristisch" Vorgeprägter kommt man nun schnell zu dem Schluss, dass es sich um eine "heidnische Spiritualität" handeln muss, die hier in Musik und Film sich hervorbrechend entfaltet. Und in der Tat, es scheint etwas in der Art zu sein, immerhin sind all diese Künstler erklärte "Heiden". Mein alter Black-Mitschreiber Patrick Ewering nannte dies in seinem hervorragenden Artikel zur isländischen Musikszene (im BLACK) "isländisches Agens", wusste dann aber auch nicht weiter. "Asatru", also der "Glaube" (der Begriff "glauben" ist christlich) an das Göttergeschlecht der "Asen" (Odin, Thor, Tyr usw.) und "Wanen" (Freya usw. – siehe Edda), ist seit 1973 offiziell anerkannte Religion in Island, d.h. für jedes offiziell eingetragene Mitglied gibt es Geld für die "Asatrufelagidh" (die Gemeinde) vom Staat. Zur Zeit sind es nach Angaben des "Verwalters" und Malers HAUKUR HALLDORSON etwa 700-1000. Obwohl Island damit das erste Land des "Abendlandes" war, in dem dies wieder möglich wurde (mittlerweile auch in Dänemark), könnte man hier sagen, dass dieser Schritt langsam Zeit wurde und auch nur etwas bestätigte, das sowieso dem Alltagsleben und -erleben vieler Isländer entsprach. Was soll man auch von einem Land anderes erwarten, dessen Parlament bis heute "Althing" heißt, in dem es eine offizielle, staatlich berufene "Elfenbeauftragte" gibt und in dem ein isländischer Staatspräsident nicht weiter Aufsehen erregt, wenn er verkündet: "Wissen Sie, ich stamme von den Westfjorden. Und da war der Glaube an Elfen nicht so stark. Was uns da mehr interessiert hat, das waren die Trolle. Die fanden wir irgendwie beeindruckender." (Zitat hier) Hohepriester der isländischen Asatru-Gemeinde war, bis er 1993 verstarb, der Dichter und Bauer SVEINTBJÖRN BENTEINSSON, der auch die staatliche Anerkennung durchsetzte und damit mehr oder weniger unfreiwillig zum Vorbild anderer "neo-heidnischer" Bewegungen weltweit wurde. "Trollexperte" THOR WANZEK, der das empfehlenswerte MÖRKESKYE-Musikmagazin herausgibt, schreibt: "Wichtiger als eine strikte Ordnung im nordischen Pantheon und eine krampfhaft authentische Rekonstruktion Jahrhunderte verschollener Zeremonien (gesetzt der Fall, so etwas ist überhaupt möglich) war für BENTEINSSON nach eigener Aussage, die Perspektive des Menschen auf sein Leben zu erweitern, welche durch Fortschritt und Wissenschaft eingeengt wird. Es ist eine besondere Aufgabe unserer Religion, die Verbindung des Menschen zur Natur wieder herzustellen, zu allen Kräften, die in der Natur sind, um sie verstehen zu können. Es fließt ein Bach, es wächst ein Baum, der Mensch ist nur Teil dieses Prozesses. Er muss sich bewusst als einen Teil des Ablaufs der Naturkräfte empfinden." Dies gestaltet sich, so der Hohepriester, in der heutigen Zeit zunehmend schwierig. Er sah eine Welt, die sich "zu Tode tanzt" und nicht mehr damit aufhören kann." In seiner Verehrung lehnte er jedoch nicht strikt alles Neue ab, sondern verband traditionelle Formen des Gesangs mit neuer Dichtkunst. Und nicht nur das! Der Bauer BENTEINSSON mit dem großartigen Rauschebart,war gern gesehener Gast auf so manch früher isländischer Independent- Musik-Veröffentlichung oder stimmte mit seinem (natürlich) a cappella Rimur-Gesang junge Besucher auf isländische Punk und Rock- Events ein. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass es BENTEINSSON war, der dem Wunsch GENESIS P'ORRIDGEs zu PSYCHIC TV Zeiten entgegenkam, seine Tochter CARESSE während einer musikalischen Stippvisite des TEMPLE OV PSYCHICK YOUTH in Island heidnisch zu taufen. Anlässlich dieses Rituals erschien später (1984) eine PSYCHIC TV LP mit dem Titel "Those Who Do Not…" (Das etwas später erschiene PTV-TEMPLE RECORDS Album "Live in Reykjavik" ist mit ihm fast identisch), die mit Sicherheit zu den "magischsten" aller PTV-Alben zu zählen ist und musikalische Spontanimprovisationen dieser Tage einfängt. Im hochinteressanten Booklet äußert sich "Brother Genesis" ungewohnt scharf zum Christentum und dem englischen Königreich, welches die Ausübung dieser alten Religion nicht recht erlauben würde: "Thee United Kingdom Is A Maximum Security Prison Serving a Military Occupation". Anstecken ließ sich G-P'O hier wohl von BENTEINSSON, der sich sehr dafür einsetzte, daß die USA bzw. die NATO im Kalten Krieg seine Heimatinsel nicht als Waffenlager mißbrauchen, was sie freilich dennoch taten. Die LP erschien auf einem jungen isländischen Anarcho-Punk Label (mit "diplomatischen Beziehungen" zu CRASS RECORDS) namens GRAMM RECORDS, welches von EINAR ÖRN (THE SUGARCUBES) geleitet wurde (wir werden ihm später noch häufiger begegnen). Man merkt schon an dieser kurzen Schilderung der isländischen Asatru-Gemeinde, dass hier die Dinge grundlegend anders verlaufen als bei neuheidnischen Bewegungen auf dem europäischen Festland oder Nordamerika, denen man, vorsichtig ausgedrückt, das Konstruierte des Unternehmens, einen alten Glauben wieder beleben zu wollen, oft allzu deutlich anmerkt. Dies hat andersherum wieder zur Folge, dass die isländischen Heiden in "Odins Nation" als etwas arrogant gelten, doch ist dies ein Missverständnis, denn in Wirklichkeit liegen manchmal tatsächlich Welten zwischen den verschiedenen "Neu-Heidentümern". Warum sollten sich Isländer, die etwas folgen, was sich ihrer Kultur vielleicht Dank einer geschützten Insellage durchaus als "normal" erhalten hat in ein Boot mit Bewegungen begeben, die inhaltlich oft eben sehr anders orientiert sind, besonders dann, wenn sie aufgrund einiger Ariosophie-Schinken ihre "Erberinnerung" zu entdecken meinen und im übrigen damit beschäftigt sind, darüber Nachzudenken, ab welchem geographischen Breitengrad man "Asatru" annehmen darf, ohne dass der seelische Haushalt vollkommen durcheinander gewirbelt wird (Ihr wisst schon: Archetypen, die Ahnen und die Erberinnerung, alles gar nicht so einfach). Ohne hier alle nicht-isländischen "Neu-Heiden" in ein Topf zu schmeißen, bleibt ein gewisser Unterschied, mindestens im Stil, meist festzustellen. Ein Ergebnis dieser unverkrampften, unideologischen Art naturreligiöser Inspiration sind eben die Vielzahl großartiger Independent-Gruppen Islands, die von SIGUR RÓS bis zur "Pagan Poetry" einer BJÖRK reichen.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » HÖH auf Wikipedia
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