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Markus B.

PUNCH:-RECORDS FESTIVAL IN LEIPZIG

20./21. Januar 2007


PUNCH:-RECORDS FESTIVAL IN LEIPZIG
Kategorie: Spezial
Wörter: 2036
Erstellt: 29.01.2007
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Am 20. und 21. Januar, gaben sich in Leipzig zehn etwas andere Bands die Ehre. Unsere Redakteure Markus B. und Philip A. waren vor Ort.

Tag 1:

Das denkmalgeschützte Union-Theater im Leipziger Stadtteil Connewitz wird nach umfangreichen Sanierungsarbeiten seit nunmehr fünf Jahren als Kulturstätte für Veranstaltungen unterschiedlichster Art geführt. Die Räumlichkeiten wurden im Jahre 1912 bereits für Filmvorführungen genutzt, daher zählt das UT heute zu den ältesten Lichtspielhäusern Deutschlands. Zweifelsohne ist die Innenausstattung bemerkenswert und wurde nahezu im Originalzustand belassen, was trotz oder gerade wegen der Beschädigungen im Innenraum für ein ganz besonderes Flair sorgt. Das Ambiente war somit wie geschaffen für TAIRY CERON und die Künstler seines italienischen PUNCH:-RECORDS-Labels, die die Räume des UT für zwei Tage mit exotisch-avantgardistischen Klängen beschallten. Im Vorfeld habe ich mir mithilfe des exklusiven Download-Samplers und diverser Hörbeispiele der einzelnen Künstler bereits einen guten Überblick über die vielfältigen und genreübergreifenden Produktionen aus dem Hause PUNCH verschafft.

Originalität und ein Faible für obskure Kunst sind augenscheinlich Attribute, die alle Künstler des Labels gemein haben. Damit unterscheidet sich PUNCH:-RECORDS von vielen Labels, welche zwar ebenso den Begriff „hochwertige Nischenkunst“ für sich beanspruchen, jedoch häufig nur ein bestimmtes Genre repräsentieren und vertreiben. Doch genau diesen Aspekt kann man im Labelprogramm der bisherigen PUNCH-Produktionen nicht ausmachen. Die Vielfalt macht den kleinen aber feinen Unterschied aus, wovon sich auch die rund 250 Besucher des Festivals am 20. und 21. Jänner 2007 in Leipzig selbst überzeugen konnten. Und mit 250 Besuchern war das UT-Connewitz mehr als gut gefüllt, denn es stehen lediglich 99 Sitzplätze im Innenraum zur Verfügung, so dass ein Großteil der anwesenden Gäste zwischen den Sitzreihen Platz nehmen musste. Das Publikum war bunt und multikulturell durchmischt, was bereits vor Konzertbeginn für eine angenehme Atmosphäre sorgte. Neben den Künstlern hatten auch viele Fans lange Anfahrtswege in Kauf genommen, um in den Genuss der insgesamt zehn Konzerte zu kommen.

Den ersten Festivaltag eröffneten COMANDO SUZIE aus Barcelona. Das Duo besteht aus SUSANA und RAÚL, seines Zeichens Live-Keyboarder bei Ô PARADIS, welche am zweiten Festivaltag zu sehen waren. SUSANA war zwar vor Ort, allerdings gesundheitlich außer Gefecht gesetzt, so dass RAÙL gesanglich u.a. von FRL. TOST (NOVÝ SVET) unterstützt und von DEMIAN an der Bassgitarre begleitet wurde. Anfängliche Probleme mit der Technik wurden mit gewohnt spanischer Gelassenheit hingenommen. Was folgte, war entspannter, gar fesselnd lässiger Synthie-Pop mit spanischem Gesang, der für die Bühne durch den von DEMIAN gezupften Bass noch veredelt wurde. Die wenigen bisherigen Aufnahmen, die über die bandeigene myspace-Seite angehört werden können, überzeugen durch ihre guten Melodien und den eingängigen Retro-Touch, der den Songs anhaftet. Der erste Beitrag, „Pobres Chavales“, mit dem markanten Sample des EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN-Klassikers „12305(te) Nacht“ im Refrain geht mir seitdem nicht mehr aus dem Ohr. Ein wunderbarer Auftakt eines erst kürzlich gegründeten Projektes, dem hoffentlich bald eine offizielle Veröffentlichung folgen wird.

Es folgte ERIK URSICH, ein Verfechter der analogen Klangkunst und Liebhaber all der Dinge, die heutzutage als veraltet gelten, jedoch ohne Zweifel oft weitaus charmanter sind als die meisten neuzeitlichen Erfindungen. Daher bevorzugt URSICH für seine teils düsteren Klangbilder und Soundschleifen auch heute noch Aufnahmetechniken, mit denen er schon Anfang der 90er seine ersten Experimente auf Audiokassetten bannte. Ein von URSICH gespieltes Theremin in Verbindung mit entsprechend passenden Videosequenzen erzeugte eine ganz eigene Atmosphäre, die leider durch die wie üblich lauten Gespräche der Zuschauer etwas gestört wurden. Der Mix aus Noise und Drones entfaltete zum Ende des Sets seine volle Wirkung, als URSICH dem Sound angepasste Zeichentrickbilder über die Leinwand flimmern ließ. Zu sehen war Schneewittchen neben einer ganzen Schar weiterer Comic- und Märchenfiguren, die wie aus einem wüsten LSD-Trip entsprungen, über die Leinwand wetzten.

Nach einer kurzen Umbaupause betraten vier in dunkle Gewänder und Masken gehüllte Gestalten die Bühne, die sich unter dem Namen ELLI RIEHL bereits durch einige Veröffentlichungen auf ALBIN JULIUS’ Label HAU RUCK! einen Namen gemacht hatten. Der obskure Mix aus beschwörenden, gnomenhaften Erzählungen, gepaart mit düsteren visuellen Bildern und rituellem Schlagzeugspiel erntete euphorischen Zuspruch. Auch wenn viele der rumpelstilzchenartigen Worte in dem Wirrwarr aus Black-Metal und Wagner-esquen Klanggebilden untergingen, so blieb doch zumindest der Song „Die Nana“ in Erinnerung: „Scheiß’ in die Hand und wirf's an die Wand…!“ Wie viel Humor oder Ernsthaftigkeit nun dahinter steckt, kann ich mir nicht ausmalen. Mein Geschmack war es nicht, die Mehrzahl der Zuhörer feierten ELLI RIEHL jedoch mit frenetischem Applaus.

Die nächste Band im Programm war WERMUT, die jedoch im ersten Teil ihres Auftritts ihrem Namen entsprechend einen etwas bitteren Beigeschmack hinterließen. Zu monoton und gar nicht in Tradition der inspirierenden „grünen Fee“ konnten Sofias’ Keyboardflächen und der hörspieltaugliche Sprechgesang kaum mitreißen. Das änderte sich erst als LASZLO P.S. die Akustikgitarre für einen Song auspackte und im Weiteren ein stampfendes Elektrogewitter über die Zuhörer hereinbrach. Schade, denn just als man Gefallen fand, war die Spielzeit von WERMUT auch schon wieder vorbei.

Die vorderen Reihen des UT füllten sich nun zügig für den Höhepunkt des ersten Abends: NOVÝ SVET!

Für alle Anwesenden sicherlich ein intensives, wenn auch recht kurzes Vergnügen, welches so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird. JÜRGEN WEBER und FRL. TOST schienen keine rechte Lust gehabt zu haben. Hinzu kamen kleinere technische Probleme, die wohl nicht behoben werden konnten (oder wollten?!). Der Bassist (DITHER CRAF von MUSHROOM'S PATIENCE) hatte zudem kurz vor Auftrittsbeginn nach eigenen Aussagen einen „Blackout“ und sah sich daher kaum imstande, seinem Instrument die zum Rest der Musik passenden Töne zu entlocken. HERR WEBER nahm dies mit Humor, die Turteleien mit FRÄULEIN TOST zwischen den Titeln waren dann im Grunde auch fast schon länger als die Songs selbst. Dies führte natürlich zu Irritationen im Publikum, und es dauert nicht lange, bis erste Stimmen laut wurden – mit Appell an die Band – sich doch etwas mehr anzustrengen: „Three months ago in Holland it was very great. But this is nothing, you're really bad!"
Das südländische Temperament dieses Zuschauers und seiner Kumpels führte zu hitzigen Diskussionen, in deren Verlauf man fast mit Tumulten rechnen musste. Wie es sich für einen anständigen Künstler gehört, nahm JÜRGEN WEBER sich Zeit für seine „Fans“ und ließ jeden einzelnen Protestler zu Wort kommen, bevor er sich mit Kusshand überraschend nach vielleicht gerade einmal 20 Minuten von der Bühne verabschiedete.

Die Randale blieb aus, und früher als gedacht leerte sich der Innenraum des UT recht zügig. Vereinzelte blieben und lauschten den verträumt romantischen Klängen des DJs oder beschlossen den gelungenen Abend mit dem ein oder anderen Getränk. Den Veranstaltern kann man an dieser Stelle ein großes Lob aussprechen (allen voran unser Redakteur Roy L., der nicht nur das Festival eröffnete, sondern auch an der Planung und Durchführung beteiligt war) und hoffen, dass dieses Festival in absehbarer Zukunft eine Fortsetzung finden wird. Obwohl ich leider am zweiten Tag nicht vor Ort sein konnte und mir 1997EV, THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE, MUSHROOM’S PATIENCE, Ô PARADIS und AIT! durch die Lappen gingen, bin ich mir jedoch sicher, dass alle Anwesenden mir in diesem Punkt zustimmen werden.

Markus B. für nonpop




Tag 2:

Nachdem der Redakteur in den späten Nachmittagsstunden samt Begleitung (in Dankbarkeit für das Obdach!) beim ELLI RIEHL-Bassisten RICHARD HERING irgendwo in Leipzig zu sich gekommen ist, ging es nach einer kurzen Stärkung und etwas Aspirin wieder in Richtung UT Connewitz.

Beim Eintreten wehten uns schon die eiskalten, sphärischen Klanggebilde der Italiener 1997EV entgegen, die von nüchternen kubistischen Lichtprojektionen im Bühnenhintergrund untermalt wurden. Tatsächlich hatte man das Gefühl, die Innentemperatur des UT Connewitz (meist kaum merklich verschieden von der Außentemperatur) würde während der Darbietung schleichend gen "irgendwo in der Antarktis" abfallen; mir persönlich haben 1997EV sehr gut gefallen - live auch wesentlich spannender als auf der Platte, wenn das Bühnengeschehen denn auch relativ wenig fürs Langzeitgedächtnis hergab: Die Elektronik wurde von Laptop und verschiedenen Controllern aus gesteuert, RAFFAELE CERRONI (wieder einmal der Mann des Abends) in sicherer Nähe zur Technik, während der Sänger und gleichsam Gitarrist mit dem Rücken zum Publikum stehend beschwörerisch Wortkaskaden über die hypnotischen Klangschleifen seines Mitmusikers schichtete oder die Effektprozessoren mit seinen exzentrisch gespielten Gitarrenriffs fütterte. So wenig auch scheinbar auf der Bühne passierte (und fairerweise - ich spreche aus Erfahrung: Es ist nicht sehr einfach, Elektronik oder genauer deren Entstehungsprozess überzeugend bzw. unterhaltsam zu visualisieren), lebte die Darbietung doch von dieser Statik und "Coolness".

Nach einem kurzen Zwischenstopp fürs Abendessen im gegenüber gelegenen Goldfish (sehr zu empfehlen übrigens, das Essen dort), ging es weiter mit dem Multimediaten THOMAS NÖLA aus Boston und seinem Schlagwerker TONY PRIMAVERA. NÖLA, der auch für die Aufzeichnung des Festivals verantwortlich zeichnete, bot eine akustisch-visuelle Melange aus Puppenspiel, Porno, jazzig psychedelischem Singer-Songwriter-Flair am UT eigenen Harmonium und 30er Jahre Dekadenz: Très dandyesque!

Um es nocheinmal vorweg zu sagen: Im gesamten Festivalprogramm gab es keinen Künstler, der mich nicht mit seiner Darbietung überzeugen (oder mindestens auf die ein oder andere Art und Weise unterhalten konnte.) Was allerdings Ô PARADIS ablieferten sprengte alle Erwartungen, die ich zuvor hatte: DEMIAN und RAÙL - am Vortag noch als COMANDO SUZIE in vertauschter Funktion auf der Bühne - können wohl ohne Übertreibung als einer der dramaturgischen Höhepunkte des Wochenendes gewertet werden. Es fiel wirklich schwer, sich nicht von den beiden mitreißen zu lassen. (Ich möchte hier auf keinen Fall den Herrn an der Elektronik & Percussion-Sektion unterschlagen - es handelte sich also um ein Trio.) RAÙL nahm samt Hut am Harmonium platz, das sich zwischenzeitlich allerlei unzweckmäßige Bespielung mit Shakern & Ähnlichem gefallen lassen musste. (Letztere wirbelten dann auch ab und an mal durch die Luft und wechselten fliegenderweise das Bühnenende.)  DEMIAN an Bass und Mikrophon lieferte eine grandiose Performance an der auf die Bühne verfrachteten Straßenlaterne, stellte einen Wecker, zerschmetterte feierlich eine Rassel... und immer diese wunderbare theatralische Stimme. Ô PARADIS haben eindeutig bewiesen, dass sie schon jetzt Entertainer der Oberliga sind. Man darf gespannt sein auf das, was kommen wird.

Das Trio RAFFAELE CERRONI (der den ganzen Abend in Anwesenheit einer Flasche Mineralwasser gesichtet wurde), FRÄULEIN TOST und JÜRGEN WEBER bildeten die Bühnenkonstellation für MUSHROOM'S PATIENCE, nachdem sie am Vorabend in Form von NOVY SVET in Erscheinung getreten waren und eine sehr denkwürdige Show zum Besten gegeben  hatten(JÜRGEN WEBER: "The band feels very bad: RAFFAELE CERRONI is drunk. FRÄULEIN TOST is drunk. The electronic equipment doesn't work"). Nicht zuletzt diesem Umstand geschuldet waren die Erwartungen an das bevorstehende (zweite) Auftreten der drei von nicht ganz geringer Natur; für einige Zuschauer galt es "die Sache rauszureißen" (Ich stimme hiermit nicht ganz überein, um das nochmal anzumerken.) Wie dem auch sei: MUSHROOM'S PATIENCE waren mit einem Wort phantastisch! - mit mehreren: Surreal, atonal, poppig, jazzig, krautrockig, psychedelisch... JÜRGEN WEBER lieh den kunterbunten Kompositionen von RAFFAELE CERRONI aka DITHER CRAF seine ausdruckstarke Stimme und bearbeitete einen kleinen Korg Synthesizer, während FRL. TOST dem Ganzen das zirpende Fundament spendierte. Abgestimmt dazu gab es cinesiastische Stimuli auf der Kinoleinwand des UTs zu sehen: Freakshows, rythmisierte Abrissszenen und anderes. Auch TAIRY CERON, seineszeichens PUNCH-Labelchef und AIT!, kam für den Song "Automatic Suicide" vorab auf die Bühne. Eine Atmosphäre herrschte, die sich am treffendsten als "Party" beschreiben lässt; hier trifft Krautrock auf Jazz auf Musique Concréte auf Pop.. es hätte schöner nicht sein können.

Den Abschluss des Abends bildete dann der Auftritt von TAIRY CERON höchstselbst als AIT!, der ohne Begleitung auf der Bühne erschien und die Show mit "Lo Ballo da Solo" einläutete. Leider lässt sich ab hier von meiner Seite nicht mehr besonders viel über den weiteren Verlauf berichten, da in Anbetracht des folgenden Werktags schon die allgemeine Aufbruchstimmung eingesetzt hatte und ich mich organisatorischen Aufgaben zuwenden musste. Schade ist das, denn scheinbar ging es vielen der Besucher und Berichterstatter ähnlich. Ein frommer Wunsch wäre deshalb vielleicht gewesen, das nächste Festival dahingehend zeitlich etwas günstiger zu gestalten.

Nichtsdestotrotz wird die Erinnerung an das erste offizielle PUNCH:-FESTIVAL ein gern besuchter Ort in meinem Gedächtnis bleiben. Alle hier gewonnen Eindrücke - von der herrlichen stilechten Atmosphäre des Veranstaltungsorts über die dargebotene Kunst bis hin zu den charmanten Protagonisten und den schönen Unterhaltungen am Rande - addieren sich auf zu dem schillernd avantgardistischen Zirkus, für den das PUNCH-Label steht. "Mehr als nur Musik". Danke & Bravo!

Philip A. für nonpop


 
Markus B. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Punch:-Records Webpräsenz
» Fotos vom Festival (auch hinter den Kulissen)

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» Labelspecial :: Punch Records

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» WE'RE PUNCH ADDICTED - Punch:-Records Sampler
» Punch:-Records Update
» Severin Bestombes (aka J. Weber)

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