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Roy L.

Mithras Garden & Pop Terrible

Mithras im Herzen der Welt


Mithras Garden & Pop Terrible
Kategorie: Spezial
Wörter: 2623
Erstellt: 03.11.2006
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Mithras Garden Festival - Suppkultur, Koblenz
! Pop Terrible ! 2 - De Kelder, Amersfoort 


"Quand on aime, on ne compte pas" - wenn man liebt, zählt man nicht. Nicht die Kilometer, nicht die Stunden, die man zurücklegt und hinter sich lässt an diesem letzten Oktoberwochenende, für zwei Konzerte, von denen man nur schweren Herzens eines hätte missen wollen. Auch wenn die beiden interessanten Veranstaltungen zeitlich wirklich allzu dicht aneinander platziert waren, so bot in diesem vermeintlichen Dilemma das Sprungbrett Koblenz durchaus die geeignetste Gelegenheit für einen Ausflug nach Holland. Ein "Katzensprung" war es deswegen natürlich nicht, aber ein Sprung, auf den man gern zurückschaut. Herbstliche Kühle wehte bereits in diese zwei Tage hinein, aber sie wog verschwindend gering und ward nichtig, bedeutungslos, angesichts der mediterranen Lieder, die uns begleiteten, die von einer wärmeren Sonne in unseren Norden gesandt waren... 


Samstag, 28.10.
Die dritte Auflage eines Festivals, das gerade deswegen immens wichtig und außergewöhnlich erscheint, weil es nicht im üblichen Neofolk-Ballungsraum Mitteldeutschland stattfindet, wurde verhältnismäßig zahlreich besucht. Dass die Räume der eher "industriellen" SuppKultur diesmal nicht berstend voll waren, mag wohl der allgemeinen Szene- und Konzertrezession zu schulden sein. Immerhin hatte man mit GAE BOLG, HEKATE, Ô PARADIS und NEBELUNG je zwei renommierte und zwei vielversprechende junge Bands nach Koblenz geholt. 


Eingeläutet wurde der Abend mit den verträumten, romantischen Liedern der Eis & Licht - Entdeckung NEBELUNG. Leider sind wir mit einiger Verspätung am Veranstaltungsort eingetroffen, so dass uns nur ein geringer Teil ihres Programms vergönnt war. Pünktlich beginnende Veranstaltungen sind so rar gesät, dass man sie lobend herausheben sollte und wirklich unerwartet, ja unverhofft in Erscheinung treten. Meine nachträgliche Entschuldigung an die beiden Bonner, die, wie mir die zwei, drei noch gehörten Stücke zeigten, mit einer ruhigen, relativ souveränen, aber vielleicht auch etwas zu introvertierten Darbietung auf das Festival einzustimmen gedachten. Dass das Duo in letzter Zeit mehr und mehr Bühnenerfahrung gesammelt hatte, war freilich nicht zu übersehen. Vollständig schien der Funke allerdings nicht übergesprungen zu sein, dazu herrschte im Publikum, ob der frühen Stunde, noch zu viel Unruhe und zu wenig Aufmerksamkeit. Auftaktband zu sein, gestaltet sich manchmal als undankbare Rolle und womöglich mag sich die Musik von NEBELUNG in einem kleineren, vertrauteren Rahmen besser entfalten.


Mit großer Erwartung sehnten wir sodann dem ersten hiesigen Auftritt des katalanischen Projektes Ô PARADIS entgegen. Demian hat in den vergangenen Jahren für sich einen völlig eigenständigen Musikstil erfunden, dem bisher noch kein anderer Künstler gefolgt ist und wahrscheinlich auch niemals folgen wird, weil zu viel Persönliches, Individuelles darin steckt. Auf der Bühne repräsentiert der kleine Spanier sein Schaffen gemeinsam mit dem anderen kleinen Spanier Raùl (COMANDO SUZIE) am Keyboard. Sobald er das Set mit einem lakonisch in den Abend zerstäubten Shaker eröffnete, die warmen Orgelflächen hereinströmten und die ersten Worte von "Conversaciones Con Uno Mismo" Anlauf nahmen, sich ins Herz des Hörers zu stehlen, war alles um uns herum von Grund auf verzaubert, war den Dimensionen von Raum und Zeit entrückt und entrissen. Und dennoch war es keine künstliche Performance, keine Kunst im eigentlichen Sinne, die hier zur Schau gestellt wurde, vielmehr Entblößung des Inneren, Archäologie der Seele. Wer Demians Stimme von seinen Platten und Alben kennt, wird vielleicht um ihre Intensität, ihre trunkene Hingabe wissen; wer sie je live gehört hat, wird sie nie wieder vergessen können. Sie war das heisere, tiefe Zentrum dieser knappen Stunde, die keine Stunde mehr war, weil die Zeit selbst Musik wurde. Diese Stimme sog an allen Ecken des Saals, wurde schreiend, wurde laut, wurde zärtlich, kokettierend, träumend, lächelnd. Demian zupfte an seinem Bass, schwang sich zuweilen mit Trommelschlägen in die geloopten, analogelektronischen Rhythmen und öffnete Kanäle der Expression, mit nahezu sanften Gesten. Er spielte mit seinen Liedern, erzählte sie, poetisierte zwischenrein und entschuldigte sich für sein 'horrible English'. Das gestelzte 'Kunst Sein' ließ er nicht zwischen sich und die Zuhörer kommen. Auch Raùl stärkte dieses Band der Nähe, fotografierte inmitten des Auftritts Bühne und Publikum, bereitete sich mit humoristischer Präzision und Konzentration auf seinen 'Schhhhhhh' - Part in der Zugabe "Sirenas" vor und dilettierte 'zum zweiten Mal in seinem Leben' am Bass, den er, als Keyboarder, letztendlich nur in der Horizontale meistern konnte. Vielleicht fühlten sich einige der Anwesenden davon nicht zufriedengestellt, vielleicht fehlten ihnen die teutonischen Muskelspiele und neo-romantischen Wandergitarren, aber auf der Bühne schien alles komplett. Vor unseren Augen entflocht sich eine aufregende Retrospektive des Ô PARADIS - Kosmos, alte wie neuere Stücke waren zu hören, "El Mar de la Calamidad", "Desterrado", "Cuando Muero", "El Astro Rey", "Nuevo Mundo", "Vias del Viento II" sowie einige andere Perlen und gegen Ende hin auch ein bisher unveröffentlichter Titel, der in gewisser Nachbarschaft zur Gestalt der späten COIL angelegt war. Man konnte nicht anders als tanzen. Ô PARADIS spürten einen Tropfen von namenlosem Glück inmitten unserer Alltäglichkeiten auf. Vermutlich hatte der Steppenwolf Hesse recht und es gibt doch eine "goldene Spur" in diesem irdischen Chaos, eine wässrige, leuchtende Reflexion vom Himmel, die sich stille entlang unserer Leben schlängelt und nur in wenigen Augenblicken hervorglüht. Für den Moment dieses Auftrittes jedenfalls brannte Koblenz lichterloh. So hell und einsam wie der Mond. 


Es waren letztendlich die "Hausherren" bzw. die Veranstalter dieses Festivals, HEKATE, die für ein zeitweise relativ volles Haus und größere Aufmerksamkeit sorgten. Die Rheinländer sind seit längerer Zeit für ihre professionellen, rhythmisch intensiven Auftritte bekannt; an diesem Abend mussten sie allerdings ohne ihre inzwischen nicht mehr so neue Sängerin auskommen. Das Set fiel, wie zu erwarten war, wiederum äußerst perkussionsbetont aus, fegte von Anfang bis Ende mit hohem Druck durch den Saal und ließ kaum Zeit für Verschnaufpausen. Mit dem quietschenden Kreiseln der Drehleier gerieten diese Tanzorgien jedoch in manchen Passagen ins aufdringlich Mittelalterliche, gerade das instrumentale "Tempo di Lupi" wurde dabei fast schon zur Zerreißprobe für Leute, die Mittelaltermärkte und ähnliches bewusst meiden. Wer HEKATE bereits in den vergangenen Jahren auf der Bühne gesehen hatte, konnte hier bis auf ein paar ganz wenige neue Stücke nichts erwähnenswert Anderes oder Verändertes feststellen. Spätestens seit dem "Goddess" - Album ist der Band ja auch irgendwie ihr reizvoller Wandervogelzauber und Edelweißpiratencharme mehr oder weniger abhanden gekommen. Mir schien es eher, diese wild umherhüpfenden Musiker wollten schlichtweg nur eine gute, urige 'heidnische' Stimmung verbreiten und hier hatte das Quintett, ob der handwerklichen Fähigkeiten, auch alle Trümpfe in der Hand. Für sich allein muss jedoch die faszinierende Darbietung von "Die Sonne Im Geiste" betrachtet werden. Hier spürte man wieder das alte Beschwörerische, das Pulsieren der Kraftquellen, die Ruhe und Größe, mit der Sänger Axel Menz die mystischen Verse vortrug. An dieser Stelle konnten mich HEKATE auch das erste Mal für diesen Abend ernsthaft fesseln. Alles andere war zu sehr ein Verlorengehen in den bekannten Rhythmusschemen, die sich immer wieder in den Vordergrund warfen. Gitarre und Keyboards kamen nur spärlich zum Einsatz und mussten sich dann immer dem lautstarken Primat der Perkussion unterwerfen. Hier zumindest sind sich HEKATE treu geblieben; das reguläre Set schloss mit dem Festivaltitelstück "Mithras Garden" und dem gewohnt aggressiven "Moritori Te Salutant". 


GAE BOLG, die schrulligen Franzosen um ex-SOL INVITUS Blechbläser Eric Roger ließen daraufhin lang auf sich warten. Die über einstündige "Umbaupause" verscheuchte leider einen beachtlichen Teil des Publikums, wer noch geblieben war, steuerte einem ausgedehnten Amüsement entgegen. Als sich schließlich der Vorhang öffnete, torkelte Roger in übergroßer Priesterrobe und Zaubererhut mit rituellem Leichtsinn umher, vom Band klärte uns ein mit trockenem Monty-Python-Humor gepfefferter Monolog darüber auf, dass wir tatsächlich in einem GAE BOLG - Konzert gelandet seien, und nicht, wie der ein oder andere wohl hätte vermuten können, im hiesigen Sexshop. Nein nein, bereits dieser komödiantische Einstieg, der hier leider nicht in voller Länge wiedergegeben werden kann, belohnte die Dagebliebenen über die Maßen. Was darauf folgte, ließ sich zunächst recht harmonisch an, wobei man natürlich auch bedenken muss, dass diese Kapelle immer wieder äußerste Gratwanderungen von ihren Zuhörern abverlangte. Es war am ehesten ein verwirrendes Geplänkel aus übertrieben pathetischem, barockem Prunk und slapsticklastiger Hofnarrenmusik, bei dem letztgenanntes zum Ende hin immer stärker überwog und das von den mal mehr, mal weniger überzeugenden Stimmen der beiden Sänger Eric Roger und  Gaudinis TH+21 (OMNE DATUM OPTIMUM) getragen wurde. Der legendäre Karl Blake, dessen Anwesenheit sich im Laufe des Abends schon herumgesprochen hatte, saß ein wenig vereinsamt in seiner Ecke und sägte und schrammelte unterschwellig auf seinem E-Bow, was mich Neoklassik-Banausen einen gewissen Zugang zum Dargebotenen finden ließ. Und wenn Roger dazu die blechernen Hörner blies, kam schon fast ein wohliges "SOL INVICTUS - Ersatz"-Gefühl auf. Ich kann nicht mehr genau sagen, in welchem Moment dann auf der Bühne ein furchterregender Wahnsinn einsetzte und im Grunde alles umschlug. Wahrscheinlich war es als Roger sich zur Hälfte auszog und die Metzgerschürze anlegte, da die Stimmung in ein nicht enden wollendes, vertontes Trinkgelage kippte. Von da an war außer exorbitantem Gedudel mit infantilen 'la la la' Gesängen absolut nichts mehr zu erwarten. Die GAE BOLG'sche Selbstironie in aller Ehren, aber das hier wurde jetzt einfach übertrieben und witzlos, zumal die Stücke bis ins Unendliche ausuferten. Die Reihen im Publikum lichteten sich allmählich immer mehr. Bis zum bitteren Ende blieben nur ein paar einzelne Hartgesottene, deren stählerne Nerven bis aufs Äußerste gespannt sein mussten, geradezu wie die Soundanlage der SuppKultur, die bereits ein aufdringliches Kratzen produzierte. Vielleicht war es auch nur die eigene Müdigkeit, die dem Auftritt unrecht tat, aber mit den drei ersten ausgedehnten Zugaben ließen wir den Konzertabend schließlich ausklingen, unterdessen die Band immer noch keine Anstalten machte, die Bühne zu verlassen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann spielen sie noch heute. 


Sonntag, 29.10.
Nach wenigen Stunden Schlaf machten wir uns auch schon wieder auf den Weg nach Holland. Eile war in der Tat geboten, da es in Amersfoort galt, einem Nachmittagskonzert beizuwohnen. Das teilweise recht gemütliche Städtchen im Herzen der Niederlande sollte an diesem Sonntag mit HIS DIVINE GRACE und NOVÝ SVET zwei äußerst seltene Gäste beherbergen. Ort des Geschehens, De Kelder, ein kleiner unterirdischer Club in einer schmalen Gasse voller Cafés, Theater, Kinos und nordisch-kühlem Flair. Im Grunde eine recht gute Voraussetzung für einen entspannten Nachmittag, an dem unser aller musikalisches Bewusstsein mehrfach verwundet und geheilt, zerrissen und aufs neue zusammengeflickt wurde. Das Publikum in Amersfoort, das natürlich zu gewissen Teilen auch aus von fernher Angereisten bestand, ließ es gern mit sich geschehen und wirkte insgesamt viel ruhiger, interessierter als man es von Konzerten in Deutschland kennt. Aber wer zum Sonntag Nachmittag nichts anderes zu tun weiß, als seine Zeit mit dieser 'entarteten Musik' zu verbringen, wusste natürlich auch von vornherein, worauf er sich hier einlässt; dahingehend erschienen die Anwesenden im De Kelder schon etwas 'selektiert' bzw. 'distinguiert'. 

HIS DIVINE GRACE ist eines der mysteriösesten Projekte überhaupt, dessen Klang nur mit den unglücklich formulierten Worten 'traditionalistisch-okkulter Drone-Ambient' umrissen werden kann und so betörend minimalistisch ist, dass einem das Blut in den Adern erstarrt. Nach zwei Veröffentlichungen bei der Donausoldateska HauRuck! und einem Intermezzo bei Dark Vinyl, fand Mondenkind Erik beim T.u.T./R.u.R. Labelverband letztendlich eine folgerichtige Heimat. Folgerichtig, weil das Projekt ab ovo ein Teil des naheliegenden, familiären Gigabrother-Kosmos gewesen ist, ein halb-virtueller, konspirativer Irrgarten, der demnächst unter dem neuen Namen "The Heart Of The World" eine Renaissance erleben wird. Der Bühnenaufbau verriet schon im Vorfeld, dass man diesmal anderes im Sinn hatte, als die legendär gewordene Wiener Kaffee-und-Kuchen-Zeremonie und das symbolische Vernichten allzu limitierter Tonwerte. Vier exorbitant verkabelte kleinere Monitore, im Hintergrund eine größere Leinwand, umschwängert vom Duft fernöstlichen Räucherwerks entfesselten eine multimediale Verschachtelung par excellence. Unerkannt und ganzheitlich in schwarzes Tuch gehüllt trat das Mondenkind vor den elektronischen Altar, beugte sich gedankenschwer über die Regler und trug eine tiefbrummende, 'heilignüchterne' Sequenz in den kleinen Saal hinein. Eine düstere Hommage an den vor drei Jahren verstorbenen Musiker Thorn Hoedh (HOEDH, ORDO CATHARIS TEMPLI) nahm Anlauf, ein Ritus über das verschwommene Konvergieren von Leben und Tod, umflochten von Stimmeneinspielungen, die synchron zu den zyklischen Bildern auf den Monitoren liefen. Welches verschwörerische Kollektiv auch immer an der Vorbereitung dieser Performance arbeitete, tat es mit detailverliebter Präzision und aufrichtigster Perfektion. Über das ganze Stück hinweg intensivierten sich die Drones, wurden kühler, einsamer und zerstiebten letztlich in brausenden Noisefluten. Der Künstler illustrierte mit der Gestik behandschuhter Hände die hegelsche Dialektik, Annäherungen entsponnen sich, indes die Komposition in dreidimensionalem Ausmaß gefangen nahm und zur Synthese eilte. Das 'glänzende Schwarz' seiner Robe, das 'Unbenennbare' verschlang in all seinem Schimmern Vehikeldasein, bedeutete Nichtexistenz, totale Annihilation und Automatisierung des Geschehens. Die Kunst zur Auflösung, die Kunst zum Unendlichen. HIS DIVINE GRACE ist vertonte Metaphysik.
Man denke, dies alles geschah, während Amersfoorts Straßen und Plätze noch in ihrem verträumten Herbstnachmittag sacht vor sich hin säuselten. Eine surreale Stimmung drang unterdessen in den nachtfinsteren Keller ein, die Verantwortlichen der zweiten "!Pop Terrible!" Veranstaltung hatten ihre Arbeit gut gemacht und besonders Enfant Terrible Labelchef Martijn beglückte uns mit einem außergewöhnlich geschmackvollen DJ-Set. 

Nach einer verträglichen Pause kündigte sich immer drängender der krönende Abschluss dieses Konzertwochenendes an. Kollege Martin L. hatte auf den diesjährigen WGT-Auftritt von NOVÝ SVET hin bereits ein herrlich überschwängliches Traktat über das Wesen dieses Wiener Phänomens verfasst, so dass ich mich auf das Kleinste gemein machen würde, wollte ich ihm allen Ernstes in seinen Schuhen folgen. Wann immer man das Weber-Tost Gespann - das hier wiederum vom Erfinder stilvoll 'cooler' Auftritte, dem Punch:-Records Labelchef Tairy Ceron an Bass und Saxophon unterstützt wurde - vor sich in Aktion sieht, wird man nicht mehr wissen können, wohin mit der Seele, die überfließt vor Entgleisung und Kohärenz. Das vorher mühsam beschworene "Herz der Welt" explodierte hier mit tausend Stimmen, tausend ungemalten Farben, im Nebelhauch tausend unvollendeter innerer Kriege. Die Bruchstücke wandelten sich zu staubigen, psychedelischen Breakbeats, die Sehnen zerfaserten auf den kontemplativen Schwingen der italienischen Lounge-Einsprengsel. Jazz-Noise! Sternenstaub! Es war alles ein zum Schrei versacktes Lachen. Eine Anspannung von Muskeln, ein hieroglyphischer Schmerz, eine fleischgewordene Metapher.  Jürgen rang mit den eingekerkerten Dämonen, die seine Stimme glühend und emphatisch machten, irrte mikrofonkabelumschlungen über die Bühne, parodierte, von der bekannten schwarzen Robe umnachtet, die munkelnde HIS DIVINE GRACE Geheimniskrämerei, war außer-sich, verlor sich im spontanen hin und her der Dinge. Hielte man die Augen geschlossen, hätte man meinen können, er stehe dreifach, vierfach oder unzählige male exponiert auf der Bühne und kämpfe mit sich einen aussichtslosen Kampf, den niemand anderer außer er selbst bis ins letzte Detail hinein verstehen kann. Das Amersfoort-Set war identisch mit dem von Leipzig, zuzüglich einem größeren Hang zum Wahnsinn, einer größeren Lust an der Übersteigerung des Ausdrucks und einem besseren Tontechniker. Nach dem monumentalen, suizidalen Requiem "fin.finito.infinito" war es diesmal sogar möglich, einige Zugaben zu bieten, was späterhin in eine gut gelaunte Diskussion über das weitere Vorgehen mündete. Letztendlich einigte (?) man sich mehr oder weniger darauf, dass Ulla mit ein paar neuen Stücken experimentierte, die der 'little Austrian boy' mit trunkenen Bewusstseinsstromtexten versah, um kopfüber in einer abgefahrenen Jamsession zu landen. 'We play another song, but we don't know what it is...' - was wir über NOVÝ SVET wissen und wissen können ist nur ein kleines Loch zu einem überirdischen Universum, durch das ein schriller Wind pfeift und das Summen unserer vergeblichen Funkzentralen zu zeitlosen Liedern verstimmt. Man fühlte sich gevierteilt, umgestülpt und frischgenäht. Am Ende war alles wieder heil, alles, bis auf ein hilfloses Exemplar der "Thou Be My Knife" LP und einem nunmehr ausgedienten, zusammengetretenen Plattenspieler. Der Abend brach an. Benommen aber glücklich standen wir in den Scherben des neuen Babylons.


Großer Dank gilt der gesamten Hirn.Holz Familie, ohne die dieses Wochenende und folglich dieser Bericht nicht denkbar gewesen wäre.
Photos vom Mithras Garden Festival in der entsprechenden Lichttaufe Galerie.

Alle Photos © Lichttaufe/Caillean, außer Ô PARADIS und Bühne Amersfoort © Hirn.Holz

 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Mithras Garden Festival
» Pop Terrible!


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