Eine Woche bevor sich Leipzig das Übel des "die (Fußball-)Welt bei sich zugast Habens" endgültig aufgehalst hatte, wurde die mitteldeutsche Metropole von einer weitaus dunkleren Invasion heimgesucht. Das alljährliche "Zusammentreffen" der nahezu globalen Wave & Gothic-Kommune, das auch in der fünfzehnten Auflage wieder auf fünf Tage ausgebreitet wurde, schienen die Szenegänger vor allem an heillos überfüllten Straßenbahnhaltestellen zu zelebrieren. Hier zumindest war die schwarze Präsenz ungemütlicherweise am körperlichsten zu vernehmen. Aber nun gut, die abendlichen Konzerte trösteten über die exorbitante und aufdringliche Zurschaustellung einer sich immer inflationärer vermarktenden Subkultur pflichtgemäß hinweg, was ihnen gelang, obwohl der Neofolk- und Industrialhörer in diesem Jahr mit, na sagen wir mal quantitativen, Mängeln zu hadern hatte. Exklusive Auftritte von Gruppen wie ORPLID, PROPERGOL oder NOVÝ SVET hatten ihrer Seltenheit oder Erstmaligkeit wegen großen Anteil daran, immerhin eine zufriedenstellende Anzahl an Festivalbesuchern aus dem über Jahre hinweg gebrandmarkten "rechten Rand der schwarzen Szene" zu rekrutieren. Dass sich dann am Sonntagabend zwei oder drei genrerelevante Veranstaltungen zeitlich überschnitten und zwischen dem "Anker" und dem Völkerschlachtdenkmal nahezu ganz Leipzig zu durchqueren ist, möchte ich nicht ernsthaft dem Veranstalter in die Schuhe schieben. Immerhin waren die anderen Termine einigermaßen wohlüberlegt platziert, und es ist sicher nicht das leichteste Handwerk, 179 Bands unter einen Hut zu bekommen, wenn man im Hinterkopf behält, dass der musikalische Part ja nur eine Hälfte des organisatorischen Spektakels ausmacht. Der Hut aber wollte halbwegs passen, alles ging mehr oder weniger planmäßig vonstatten, über Ausschreitungen ist nicht zu berichten. Die Gruftiszene ist fast schon ermüdend friedlich.
Im Folgenden finden sich einzelne Berichte zu jedem Veranstaltungstag von den Redakteuren Tony, Martin L. und Roy. Inhalt: Seite 1: Freitag Seite 2: Sonnabend Seite 3: Sonntag Seite 4; Montag "Muscle and Hate" am Freitag (Tony) Ein musikalisch derart breitgefächertes und großes Festival wie das WGT ist für einen Einzelberichterstatter sicherlich nur bedingt "abarbeitbar". Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, noch einen ergänzenden Bericht zu liefern, um ein möglichst breites Spektrum darstellen zu können. Zusätzlich waren die Blockungen der Veranstaltungen in diesem Jahr für szeneinteressierte Menschen sicherlich ein Problem. So musste man sich am Samstag zwischen dem "Anker" und dem heidnischen Dorf entscheiden, wo SEELENTHRON auftraten, und am Sonntag standen der Auftritt von ORPLID, die Tesco - Nacht sowie IN THE NURSERY im Schauspielhaus in direkter Konkurrenz. Das hatte dann teilweise zur Folge, dass man alte Bekannte nur im Vorbeigehen treffen konnte, weil man gerade an einem Veranstaltungsort eintraf, wenn diese sich schon wieder in andere Gefilde aufmachten. Dennoch ist der Entscheidung, das WGT überhaupt zu besuchen, auch bei mir ein längerer Abwägungsprozess vorangegangen, da es lange Zeit nicht danach aussah, dass es ein interessantes Band-Aufgebot geben würde. Das musikalische Spektrum des Berichts erstreckt sich schließlich von NITZER EBB bis ORPLID, da mein Festival-Programm einzig meinem persönlichen Geschmack geschuldet war. Aufgrund der angespannten Verkehrsverhältnisse traf ich erst recht spät am Freitagabend in Leipzig ein. Um mich selbst auf das Festival langsam einzustellen, machte ich mich zunächst zum "Werk II" auf. Dort spielten die Goth-Rocker von CATASTROPHE BALLET mit Unterstützung des GIRLS UNDER GLASS - Sängers Volker Zacharias gerade ihr letztes Stück - eine mitreißende und treibende Cover-Version des SIGUE SIGUE SPUTNIK - Klassikers "21st Century Boy". Nach einer kurzen Umbaupause enterte dann das EBM/Industrial - Duo TRIAL die Bühne. TRIAL veröffentlichten Anfang der 90er Jahre zwei Alben und hatten mit "Blut Und Eisen" sogar einen echten Szenehit. Der dynamische Auftritt bot etwas modernisierte Versionen der alten Titel und lebte von der herausstechenden, extravaganten Bühnenpräsenz des Sängers, der zudem mit musikalisch und technisch versierten Schlagzeug- und Percussioneinsätzen die Halle zum Toben brachte. Nach diesem Auftritt holte mich dann schmerzlich die Szenegegenwart in Form von COMBICHRIST ein. Wummernde, uninspirierte four-to-the-floor - Beats, dutzendfach gehörte Sounds und eine aus meiner Sicht unterirdische Vokalpräsenz bewegten mich dann schnell zum Verlassen der Örtlichkeit. Ich erreichte die "Agra" dann auch rechtzeitig, um die Wiedervereinigungsshow von NITZER EBB erleben zu können. NITZER EBB waren in den 80er Jahren eine der wichtigsten EBM-Bands überhaupt. Vom Sound und der (teilweise militaristischen) Ästhetik bewegte man sich auf den Spuren von DAF und DIE KRUPPS. Bis zum Anfang der 90er Jahre veröffentlichte die Band etliche musikalische Meilensteine, bis sich die Band persönlich und musikalisch zerrüttet 1995 trennte. Während sich die Die-Hard - Fraktion der Fans bereits mit Sprechchören warm machte, wurden dann auch die riesigen Flaggen mit den typischen Symbolen roter Stern, Zahnrad und Hammer gehisst. Wie schon in den 80ern so war die Live-Umsetzung sehr minimal gehalten. Der Computer lieferte die Sequenzen und die Band in der Inkarnation Douglas Mc Carthy (Gesang), Bon Harris (Schlagwerk) sowie einer weiblichen Unterstützung (Schlagwerk) lieferten den Rest. Während das Publikum das Eröffnungsstück "Getting Closer" noch vergleichsweise zurückhaltend annahm, verwandelten schon die ersten Rhythmen des Überhits "Let Your Body Learn" weite Bereiche der "Agra" in eine brodelnde Masse. Insgesamt spielte die Band ein Best-of-Programm, das kaum einen Hit ausließ, wobei "Murderous" und "Familiy Man" aus meiner Sicht hervorstachen. Douglas Mc Carthy präsentierte sich als immer noch energetischer Shouter/Sänger und das Schlagwerkgespann sorgte für zusätzlichen Druck. Am Ende wurde leider nur noch eine einzige Zugabe ("Fun To Be Had") gespielt, bevor diese denkwürdige Rückmeldung von NITZER EBB vor einem enthusiastischem Publikum endete. Wie könnte man den Auftritt besser beschreiben als mit einem EBB-Zitat: "Muscle and Hate". Einziger persönlicher Wermutstropfen war aus meiner Sicht die Nichtberücksichtigung des Single-Hits "Warsaw Ghetto".
Roy L. für nonpop.de
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