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Im Gespräch: Graumahd


Im Gespräch: Graumahd
Kategorie: Spezial
Wörter: 5743
Erstellt: 26.02.2006
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Die Wiener Formation Graumahd zählt sicherlich zu den hoffnungsvollsten neuen Gruppen des im Moment eher durch Stagnation oder sogar künstlerischen Werteverfall „glänzenden“ Neofolk-Genres. Nach einer selbstbetitelten 7“-Scheibe und einigen Beiträgen für diverse Gemeinschaftstonträger soll im März endlich das lange angekündigte erste Vollzeitalbum erscheinen. Grund genug, dem Trio mal auf den Zahn zu fühlen.

 

Lichttaufe: Hallo Ihr! Ich weiß, daß Ihr diese Frage schon einmal an anderer Stelle beantwortet habt, aber seid doch bitte so nett und stellt Euch und Eure bisherige musikalische Vergangenheit doch noch einmal vor. Vielleicht gibt es immer noch den einen oder anderen Hörer dort draußen, der Euch noch nicht kennt…

 

Wolf: Graumahd besteht prinzipiell aus den drei Mitgliedern Jörg, Georg und Wolf. Wir bilden sozusagen den Kern und sind für alle Kompositionen, sowie Texte und Artwork verantwortlich. Rund um uns gibt es noch einen gemeinsamen, engeren Freundeskreis, der aus Musikern besteht, die immer wieder miteinbezogen werden und ebenfalls ihren kreativen Beitrag leisten.

Jörg: Ein wichtiger Teil unserer musikalischen Vergangenheit ist sicher, dass Georg und Martin, der für Graumahd trommelt, und ich vor ungefähr 15 Jahren unsere erste (Metal -) Band gründeten. Später trennten sich unsere musikalischen Wege für einige Jahre. Mit Graumahd begann wieder eine gemeinsame Arbeit abseits unserer damaligen "Hauptbands". Obwohl wir drei teilweise ganz unterschiedliche Entwicklungen durchlebt haben, war es uns trotzdem ein Bedürfnis, so etwas wie Graumahd auf die Beine zu stellen. Zum Glück helfen uns einige Leute unsere Lieder so umzusetzen wie wir uns das vorstellen. Bei Tom, einem Freund von uns, nahmen wir Cheru (und davor auch schon zwei Samplerbeiträge) auf. Albin spielte uns erfreulicherweise das Harmonium ein. Ich liebe dieses Instrument mittlerweile. Neben Martin, den ich ja bereits erwähnte, sind dann noch zwei  Musikerinnen bei Graumahd zu hören: Karin an der Querflöte und meine liebste Mit-Psychonautin Christine spielt Klarinette.

 

Lichttaufe: Wie kam es zur Gründung von Graumahd? In meinen Ohren ist der Einfluß von Folk/Metal-Hybriden wie etwa Ulver oder Empyrium unverkennbar, auch wenn Ihr schon durchaus eine eigene Note besitzt. Welchen Einfluß hatten diese und ähnliche Projekte auf Euch?

 

Wolf: Ulver ist sicher ein ganz großer und wichtiger Einfluss, weil für uns fast alles von Ulver und Umfeld einfach gute Musik ist. Allein das letzte Album von Ulver zählt mit Sicherheit zu den besten Veröffentlichungen des letzten Jahres. Hinzu kommt, dass wir jede Schaffensperiode von Ulver mögen. Wir hatten alle drei einen Metal-Hintergrund bevor wir uns entschlossen haben Graumahd zu gründen. Das Wichtige daran war und ist unser ähnlicher, aufgeschlossener Musikgeschmack. Graumahd ist eigentlich aus der Motivation heraus entstanden, Musik zu spielen die uns gefällt, mit der Einschränkung, daß alles mit akustischen Instrumenten gespielt werden soll. Zur Zeit der Gründung, beziehungsweise auch noch vor der ersten Veröffentlichung, waren wir unüberhörbar von der Musik beeinflußt, die unter der Sparte Neofolk zu finden ist, wo man teilweise ebenso Empyrium einordnen kann. Mittlerweile sind aber auch schon andere Einflüsse stärker geworden.

Georg: Einige der Platten der von dir genannten Bands hatten sicher einen richtungsgebenden Einfluß in unseren Gründungstagen, keine Frage. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich ein großer Teil unseres gemeinsamen musikalischen Hintergrundes im Metal wiederfindet, und so waren unsere ersten ernstzunehmenden Berührungspunkte mit von Akustikinstrumenten getragener Musik eben Alben wie Kveldsfanger von Ulver.

 

Lichttaufe: Nach einigen Samplerbeiträgen und einer 7" soll nun im Februar oder März Eure erste Langspielplatte Cheru erscheinen. Nun war diese schon etwas länger angekündigt. Was war denn los?

 

Wolf: Die Platte war ursprünglich für Herbst angekündigt und dann sind einige Dinge dazwischen gekommen. Wir haben uns im Studio etwas länger Zeit gelassen, weil wir ein möglichst gutes Ergebnis wollten. Dann braucht es auch seine Zeit, bis das fertige Stück wirklich verkaufsbereit ist und in den Geschäften steht. Darauf haben wir keinen Einfluß. Wichtig war uns aber, dass wir möglichst immer zu dritt sind, wenn es um die Band geht. Sei es nun bei den Aufnahmen, beim Mischen, oder eben auch bei diesem Interview. Wir versuchen das möglichst gemeinsam zu erledigen, damit innerhalb der Band Konsens darüber herrscht, was schließlich auch die Band betrifft. Und wir leben zwar alle drei in Wien, doch kommt es mitunter vor, daß ein wenig Zeit vergeht bis wir uns wieder zusammenfinden.

Georg: Gewisse Umstände haben dazu geführt, dass sich verschiedene Produktionsprozesse immer wieder hinausgeschoben haben. Einmal hat sich eine Gastmusikerin die Hand gebrochen, andere Male waren verschiedene Leute terminlich verhindert und hatten einfach keine Zeit, ins Studio zu kommen. Wir haben auch selten mehrere Tage lang an einem Stück aufgenommen, sondern sind das Ganze eher etappenartig angegangen.

Wir wollten an die Albumproduktion in einer gemütlichen Art und Weise herangehen. Wir haben zum Glück keine fixen Abgabetermine, und das ist auch gut so. Eine Graumahd-Veröffentlichung wird eben fertig, wenn sie fertig wird. Wir machen uns da sicher keinen Stress.

 

Lichttaufe: Euer neues Album, dessen Vorabversion mir übrigens sehr gut gefällt, hört, wie schon erwähnt, auf den Name Cheru. Ich denke, dieser Name dürfte den meisten Lesern, mir eingeschlossen, erläuterungsbedürftig sein…

 

Wolf: Cheru heißt zunächst einfach Hirsch. Darauf gekommen sind wir, weil wir uns schon länger intensiv mit der Nibelungen-Sage beschäftigen. Ursprünglich gab es auch Überlegungen ein Konzeptalbum über die Nibelungen zu machen. Irgendwie sind wir dann auf eine Theorie gestoßen, die besagt, daß Siegried und Arminius eine Person sein könnten (gemeint ist wohl die Theorie Otto Höflers, Richard). Arminius war der Führer der Cherusker in der Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. Mit dieser Thematik haben wir uns dann ein wenig näher beschäftigt und so ist Cheru entstanden.

Jörg: Eigentlich sind ein Großteil der Texte, sowohl von der 7“ als auch von Cheru, vor geraumer Zeit entstanden/gefunden worden. Das Ganze fing als Konzept an, mit dem wir uns bei Amestigon beschäftigten, welches auf Remembering Ancient Origins und Nebelung 1384 teilweise schon umgesetzt wurde. Wir stießen auf immer mehr fiktive und reale Quellen oder Texte, auf denen Wolf größtenteils aufbaute und es erschien uns bald sinnlos "Konzeptalben" im eigentlichen Sinn zu machen. Bei Cheru sind die meisten Texte schon "verwandt" jedoch nicht sonderlich zusammenhängend. So werden wir das in Zukunft auch handhaben, falls wir wieder auf die Sammlung von Texten zurückgreifen werden.

 

Lichttaufe: Ihr habt Euch dazu entschlossen, Euren Liedern dieses Mal Namen zu schenken. Warum?

 

Wolf: Dafür gibt es keinen besonderen Grund. Die Namen für die Lieder haben sich irgendwie ergeben. Bei der 7" hatten wir keine passenden Titel und so haben wir den Liedern auch keine Namen gegeben, bei Cheru war das anders.

Georg: Ich find’s gut, dass wir uns dazu durchgerungen haben, den Liedern Namen abseits von Nummerierungen zu geben. Jedes Lied hat eine eigene Entstehungsgeschichte und eigene Qualitäten. Bei der 7" hat mich das nicht sonderlich tangiert, aber bei unserem Album als erstem richtigen umfassenden Werk ist das für mich sehr angemessen. Das wär’ sonst, als würd’ man seinen Kindern keine Namen geben, sondern einfach durchnummerieren. Die armen G’schroppen hätten's dann in der Schule sicher nicht leicht.

 

Lichttaufe: Meines Wissens bist Du, Wolf, größtenteils für die Texte verantwortlich. Was inspiriert Dich/Euch? Einige Titel wie etwa Auwaldschatten oder Euer Gruppenname Graumahd haben einen sehr nebulösen, schwer greifbaren Charakter und auch die Texte erscheinen manchmal ebenso metaphorisch wie, im besten Sinne, diffus.

 

Wolf: Unsere Texte sollen auch keine Botschaft verbreiten. Es liegt uns fern irgendeine Art von Propaganda unter die Leute zu bringen. Das wichtigste ist, daß die Texte und die Musik zusammenpassen. Damit erheben wir einen ästhetischen Anspruch. Jeder kann sich selbst etwas dazu denken. Aber die Musik und auch die meisten Texte, sind Ausdruck einer Entwicklung, die zwar ihren Ursprung in einer konkreten Idee hatte, jedoch weitergesponnen wurde mit der Absicht, etwas Homogenes zu schaffen, das uns gefällt. Ich fasse das auch als schönes Kompliment auf, wenn du sagst, einige Titel bzw. der Gruppenname hätten einen schwer greifbaren Charakter, weil dadurch dem Zuhörer die Möglichkeit eröffnet wird, sich selbst Gedanken zu machen, oder gar zu träumen.

 

Lichttaufe: In dem Gespräch, das Ihr mal Neo-Form gegeben habt, bezeichnetest Du, Wolf, Dich sinngemäß als einen nicht religiösen Menschen. Nun muß ich zugeben, daß Deine/Eure Texte in meinen Ohren über ihren zweifelhaft mythologischen Gehalt hinaus auch religiöse (im Sinne von einem gläubigen Staunen über die Mächte der Natur) Züge aufweisen. Hängt Ihr einem eher romantischen Naturverständnis nach oder würdet Ihr Euch schon als atheistisch oder mindestens agnostisch bezeichnen?

 

Wolf: Gewiss hänge ich einem romantischen Naturverständnis nach, aber in dem Sinn, daß ich mich gerne von der Natur überwältigen und beeindrucken lasse. Das hat mit den teils pantheistischen Naturbetrachtungen der Epoche Romantik nicht viel zu tun. Das gläubige Staunen ist zweifellos da, aber nur weil ein Phänom naturwissenschaftlich erklärt werden kann und ich diese Erklärung glaube, heißt das nicht, dass ich nicht ergriffen bin beim Anblick schöner Naturlandschaften. Der Gedanke an etwas Göttliches kommt gar nicht auf. Ich bin in mir so fest verankert, daß ich mich als seiendes Wesen begreife. Diesem Sein aber bringe ich auch eine derartige Gelassenheit entgegen, so daß ich über den Satz "Man kann nicht alles wissen" hinausgehe und sage: "Man muss nicht alles wissen." Für mich macht das keinen Unterschied, ob ich von Gott gemacht bin oder ob afrikanische Menschenaffen meine Vorfahren waren. Als atheistisch kann ich mich vielleicht im engeren Sinn bezeichnen. Ich leugne die Existenz eines persönlichen Gottes. Aber in diesem Sinn, sind auch der Buddhismus und diverse Naturreligionen atheistisch. Vielleicht kann man sagen, daß ich agnostische Ansichten habe. Jedoch nur weil etwas nicht erklärt werden kann, heißt das nicht, dass man es nicht einmal erklären wird können. Genauso steht nicht fest, ob man es irgendwann einmal erklären wird können. Es reicht jedenfalls aus zu wissen, daß man es nicht weiß und trotzdem braucht man nicht ehrfürchtig werden, man kann ruhig und gelassen bleiben.

Georg: Ich seh da zwischen agnostisch/atheistisch sein und Schönheit und Ruhe in der Natur zu finden keinen Widerspruch. Darüber hinaus bin ich zwar ein agnostisch denkender Mensch, aber ohne ein bissi Transzendenz komm ich, um ehrlich zu sein, halt auch nicht aus, haha. Ab und an dichte ich der Natur auch gerne ein mythisches/märchenhaftes Wesen an.

 

Lichttaufe: Ich nehme an, Ihr seid alle in Wien geboren und somit wie ich Stadtmenschen. Mir stellt sich manchmal die Frage, ob man als solcher überhaupt wirklich einen Draht zur Natur herstellen kann. Die Verbindung zur Natur und damit den eigenen Ursprüngen scheint immer gebrochen und von Projektionen eigener Sehnsüchte und Leerräume überlagert. Man bleibt immer Tourist. Wie seht Ihr das?

 

Wolf: Wien ist nicht eine sooo große Stadt. Wir haben zwar etwa 2 Mio. Einwohner, aber die Stadt ist größtenteils nur locker bebaut und es gibt viele Grünflächen. Außerdem beginnen die Alpen hier in Wien und zwar mit dem Wienerwald. Rund um Wien gibt’s noch ein paar kleinere Berge. Wenn man also möchte, ist man schnell draußen in der Natur und man hat innerhalb der Stadt auch viele Möglichkeiten, sich draußen zu betätigen, etwa entlang der Donau. Mir ist schon klar was du meinst, wir halten uns natürlich den größten Teil unserer Zeit in der Stadt auf und das bedeutet vor allem viele Menschen. Wahrscheinlich kommt es auch darauf an, ob man sich daran gewöhnt hat oder nicht. Romantischen Naturbetrachtungen, oder dem Nachdenken über Naturphänomene tut das keinen Abbruch. Ein tieferes Verständnis für die Natur fehlt mir schlicht gänzlich. Ich habe keine Erfahrung, was es heißt über einen langen Zeitraum ohne Stadt zu leben. Dafür habe ich ein natürliches Gefühl für die Stadt und so etwas wie soziales Umfeld. Ich bin daran gewöhnt ständig viele Eindrücke verarbeiten zu müssen. Sicher besteht ein Teil meiner Verbindung zur Natur aus Projektionen, dennoch würde ich mich nicht als Touristen bezeichnen. Manche Orte, die mir besonders gut gefallen, besuche ich immer wieder und ich versuche eine Beziehung zu diesen Orten aufzubauen.

Jörg: Mir ist es schon sehr wichtig regelmäßig aus der Stadt "auszubrechen". Das ist mir zum Glück schon als Kind ermöglicht worden und ist, wahrscheinlich bis ich sterbe, ein fixer Bestandteil meines Lebens. Ich kenne einige Regionen in Österreich sehr gut weil ich sie schon oft besucht habe und ich bin es immer noch nicht Leid wieder dorthin zu fahren. Aber wie ich schon geschrieben habe sehe ich mich dort als Besucher, Wien ist mein Zuhause und ich könnt´ mir nicht vorstellen ihm über einen längeren Zeitraum den Rücken zu kehren. Einen Draht zur Natur haben? Hmmm…ich weiß es nicht. Zumindest lasse ich mich gerne von Gegenden wie der ketzerischen Obersteiermark, dem kaiserlichen Salzkammergut oder der imposanten Kulisse vom Steinernen Meer inspirieren und verzaubern.

Georg: Abgesehen davon, daß ich mich nicht als reinen Stadtmenschen sehen würd’, da ich erst zu einem späteren Zeitpunkt aus der Umgebung Wiens in die Stadt hineingezogen bin, spielt die Sehnsucht nach etwas Ruhe und Natur für mich, als einen momentan in einem lauteren Stadtteil Wiens lebenden Menschen, sicher eine gewisse Rolle. Insofern thematisiert man diese Sehnsucht auch immer wieder für sich selbst. Natur finde ich in meiner näheren Wohnumgebung nicht wirklich, und oft ist es ja auch so, daß man gerade die Dinge begehrt, die nicht unmittelbar greifbar sind. Natürlich genieße ich auch die Vorzüge der Stadt, die gute Infrastruktur, Nähe zum Arbeitsplatz und Uni, genieße es aber dann auch dort mal auszubrechen und Ruhe zu tanken.

 

Lichttaufe: Was haltet Ihr von Volksbräuchen wie etwa den Raunächten oder Fasching und wie werden diese Traditionen in Österreich von der Jugend wahrgenommen? Bei uns gilt es ja ab einem bestimmten Alter als extrem unschick, auf solchen Feierlichkeiten gesichtet zu werden…

 

Wolf: In manchen ländlichen Regionen gilt es als extrem unschick nicht an solchen Bräuchen teilzunehmen. Fasching ist sehr weit verbreitet, das gibt es praktisch in ganz Österreich, wobei der Villacher Fasching besonders bekannt ist. Aber so etwas gibt es ja in Deutschland auch. Andere Bräuche, wie z.B. der Perchtenlauf, werden in den entsprechenden Regionen aber genauso gepflegt. Dabei muß man aber Stadt und Land unterscheiden. In der Stadt, wobei man dabei fast wirklich nur von Wien sprechen kann, gibt es kaum noch Bräuche. Beziehungsweise eigentlich gibt es zu viele Bräuche, weil einfach alles aus anderen Kulturen übernommen wird, wie etwa Halloween oder St. Patrick’s Day. Die alten kristlichen Bräuche in ihrer Reinheit und dem merklich heidnischen Ursprung findet man am ehesten noch in ländlichen Regionen. Und dort machen eigentlich alle Altersgruppen mit. Solche Ereignisse, dazu zählen auch Feuerwehrheurige oder ähnliches., sind maßgeblich für die Sozialisation der ländlichen Jugend. Daran hat die Kirche auch erheblichen Anteil. Einerseits natürlich leider, andererseits ist das gut so, weil sich sonst viel mehr Jugendliche perspektivlos am Fußballplatz betrinken würden oder in neunationalsozialistische Kreise abrutschen würden.

Jörg: Wie ich vorher schon erwähnte, verbrachte ich schon als Kind viel Freizeit am Land, so waren mir diverse Bräuche/Riten schnell vertraut. In Wien direkt kannst du z.B. am fünften Dezember lang nach einem Krampus suchen, was ich zwar schade finde, aber irgendwie auch verstehen kann. Mit diesen Traditionen läßt sich halt nicht das große Geld machen und so treten dann andere Geschichten in den Vordergrund, die sich kommerziell besser ausschlachten lassen.

Ich denke aber schon, daß einige dieser Bräuche uns Themen vorgeben, mit denen wir bei Graumahd arbeiten. Wenn es sich ausgeht bin ich jedes Jahr bei (teilweise unterschiedlichen) Perchtenläufen dabei und Christine, die als waschechte Pinzgauerin damit aufgewachsen ist, hat heute noch ein mulmiges Gefühl wenn sie am Krampustag das Haus verlassen muß, hehehe.

 

Lichttaufe: Nochmals zurück zu Euren Ursprüngen. Amestigon spielten in der Hauptsache recht schnellen, ungehobelten Black Metal. Äußerlich betrachtet seid Ihr mit Graumahd nun im anderen Extrem gelandet. Wie erklärt Ihr Euch diese Entwicklung, die ja neben Euch auch ’zig andere Gruppen wie etwa die eingangs erwähnten Ulver und Empyrium durchgemacht haben? Bewegt Ihr Euch stimmungsmäßig und vom Inhalt her prinzipiell noch auf demselben Terrain oder seid ihr mit dem Alter schlicht ruhiger geworden?

 

Wolf: Dazu sollte zunächst einmal klargestellt werden, dass Amestigon nichts mit Graumahd zu tun hat. Allein auch deswegen, weil Jörg und ich bei Amestigon dazugekommen sind (weil es Amestigon schon länger gibt und wir nur bei den letzten beiden Veröffentlichungen mitgewirkt haben) und Graumahd direkt von uns und Georg gegründet wurde. Teilweise sind wir zwar dieselben Leute, aber die Bands sind doch recht unterschiedlich. Gezupfte Gitarren und Ansätze von Folk gab es schon bei vielen Black Metal-Bands. Sicherlich hat uns das schon immer gefallen und inspiriert. Allerdings ist daraus nicht Graumahd entstanden. Dazu hat es noch einiger zusätzlicher Ideen und Einflüße bedurft. So gesehen können wir auch sagen, dass wir keineswegs ruhiger geworden sind mit dem Alter. Ideen für weitere und wildere Projekte gäb's genug, auch neue Ideen zu Amestigon gibt's. Wir werden sehen, was die Zeit bringt und wie viel Zeit wir haben, uns anderen Ideen zu widmen.

Georg: Mein Interesse an lauter, wilder E-Gitarrenlastiger Musik besteht nach wie vor. Vielleicht sogar mehr denn je. Ich seh’ Graumahd eher als eine hervorragende Ergänzung dazu. Wobei ich gleichzeitig nicht ausschließen will, dass wir in Zukunft der Musik von Graumahd durchaus auch das eine oder andere heftigere Element geben könnten. Akustikgitarren bieten da einige hervorragende Möglichkeiten. Ob man’s glaubt oder nicht.

Jörg: Also ich bin bestimmt nicht ruhiger geworden und bei Graumahd geht's ja auch nicht ausschließlich ruhig zu. Georg hat schon erwähnt, dass wir uns auch vorstellen können, unkonventionelle Sounds von akustischen Instrumenten zu verwenden Aber ich möchte da noch nicht zuviel vorgreifen, da wir letztendlich das machen, was uns gefällt und es relativ schwer ist bei so einem Projekt zu planen wie das Resultat zu klingen hat. Jede/r GastmusikerIn bringt persönliches in die Lieder ein, und sei es nur die eigene Spielweise.

 

Lichttaufe: Auf Cheru finden sich vermehrt, aber meiner Meinung nach immer noch recht dezent, Anleihen an die progressive Musik der siebziger Jahre. Wie habt Ihr diese für Euch entdeckt und was gibt sie Euch? Interessanterweise, und hier schließt sich der Kreis zum Beginn unseres Gespräches, sind ja auch Ulver und Empyrium (in Form ihres Nachfolgeprojektes Noekk) in diesem "Dunstkreis" angekommen. Kann man hinter dieser parallelen Entwicklung irgendeine Logik entdecken? Oder haben die beteiligten Protagonisten schlicht einen ähnlichen, vermutlich guten, Musikgeschmack? Was haltet Ihr von den letzten Platten der erwähnten Gruppen?

 

Wolf: Es ist tatsächlich so, dass ich vermehrt progressive Musik für mich entdeckt habe. Den guten Musikgeschmack kann ich mir und den von dir erwähnten Gruppen natürlich nicht abstreiten. Ich bin vor allem durch Freunde dazu gekommen. Und dadurch, daß ich sehr offen bin für andere Musikstile, entgeht mir auch nicht viel gute Musik. Ulver sind, wie schon erwähnt, natürlich grandios. Noekk zählt zwar nicht ganz zu meinen Lieblingsbands, allerdings sind S.O.T.S. (früher Sun of the Sleepless, weiteres Nebenprojekt des Empyrium-Hauptinitiators Ulf Theodor Schwadorf, Richard) schwer genial. Einer Logik folgt das meiner Meinung nach nicht. Es gibt einfach Bands/Musiker, die man nicht in irgendeiner Sparte verankern kann und die ständig versuchen andere und neue Eindrücke zu kombinieren.

Georg: Hm, ich denke die Frage richtet sich wohl auch zu einem guten Teil direkt an mich. Also ich beschäftige mich seit mehreren Jahren mit Rock, Prog Rock und Jazz Rock der 60er und 70er Jahre. Überhaupt bin ich durch die Plattensammlung meiner Eltern sehr früh mit Musik aus dieser Zeit in Berührung gekommen. Pink Floyd, Chicago, Procol Harum, Hendrix, die Stones, Deep Purple etc. waren wohl genauso Soundtrack zu meiner Kindheit wie die EAV oder das Lied der Schlümpfe. Aber ich denk’ da wird’s meinen beiden anderen Graumahd-Kollegen wohl nicht viel anders ergangen sein. Wir haben eine Menge Spaß, diese Einflüße mit der Musik von Graumahd zu kombinieren. Unser Tontechniker, der ein mindestens genauso großer Freak der Klänge aus den Seventies ist, hat damit natürlich auch seine Freude.

Von dem Empyrium-Nachfolgeprojekt hab’ ich bis dato noch nichts gehört. Ich muß ehrlicherweise gestehen, daß ich die neueren musikalischen Tätigkeiten aus diesem Umfeld nicht mehr so mitverfolgt habe. Werd’ ich mir bei Zeiten mal anhören. Mal sehen. Ich hoff’ da ist auch ein Haufen Hammonds, Mellotrons und Moogs zu hören.

Jörg: Durch meine Eltern kam ich auch viel mit allerlei Rockmusik aus den 60ern und 70ern in Berührung. Somit gehört diese Art von Musik genauso zu meiner musikalischen Sozialisation, wie später Metal und teilweise Punk. Obwohl ich andauernd davon begleitet wurde, interessierten mich vor allem in meiner Pubertät andere, provokantere Richtungen. Ein Konzept kann ich dabei nicht wirklich erkennen. Ich denke es spielen, und das ist bei den beiden oben erwähnten Bands mit Sicherheit genauso, aktuelle Vorlieben und Einflüße eine große Rolle bei neuen Alben. Wir haben bei Cheru schon einige Effekte aus den Siebzigern verwendet, wie z.B. verschiedene Flanger, Halle oder andere analoge Geräte. Wir haben vor, zukünftig mehr mit Effekten zu spielen, mal schauen… Wenn man wie wir digital aufnimmt, muß man halt auch darauf achten irgendwie die Wärme der Röhre, des Analogen rein zu bekommen. Seit einigen Jahren höre ich wieder mit starker Begeisterung psychedelische Rockmusik aus den späten 60er und 70er Jahren, bevorzugt aus Deutschland, Amerika, Jugoslawien und England. Zum Glück gibt es heutzutage auch noch Bands die wieder so klingen, z.B. Witchcraft oder Espers im Folkbereich. Die letzte Studioplatte von Acid Mothers Temple & The Cosmic Inferno läuft bei mir auch auf und ab.

Noekk kenn ich nicht und die Blood Inside von Ulver gehört sicher zu den besten Platten 2005 und ist, wie der Rest der Band, schwer genial.

 

Lichttaufe: Ihr seid in Leipzig auf dem letztjährigen WGT und in Rosenheim mit für die Szene ungewöhnlich energiegeladenen Darbietungen aufgefallen. Kann man sagen, daß Ihr Euch schon als Live-Musiker versteht? Was erwartet Ihr von einem guten Konzert, unabhängig davon, ob Ihr selbst oder wer anders auf der Bühne steht? In der jüngsten Vergangenheit ist zumindest im deutschen Raum ein merklicher Rückgang an Besucherzahlen von Szenekonzerten zu verzeichnen und so mancher gibt auch der wenig überzeugenden Bühnenpräsenz vieler Musiker eine gewisse Mitschuld. Wie seht Ihr das?

 

Wolf: Live zu spielen macht natürlich Spaß und ich verstehe darunter vor allem Unterhaltung, für beide Seiten. Da wir alle aus dem Metal-Umfeld kommen, hat das für uns natürlich mehr mit Bewegung und Energie zu tun. Außerdem ist eine 1:1-Umsetzung von der CD auf die Bühne meistens nicht möglich und so wird die Sache immer etwas rauer. Es gibt zwar Bands, die eine 1:1-Umsetzung anstreben, manche schaffen das sogar und solche Konzerte sind nicht unbedingt schlecht. Aber aus meiner Sicht, möchte man sich doch auch als Band transportieren und bei uns sieht das eben so aus. Wenn die Leute detailverliebte Musik hören wollen, sollen sie ins Konzerthaus gehen oder sich vor die Stereoanlage setzen. Dort kann man so eine Musik auch angemessen meditieren. In einem Club halt’ ich das für unangemessen. Wir versuchen eine gewisse Stimmung zu erzeugen und genau das erwarten auch wir von Bands, die wir uns ansehen. Ein Konzert ist meistens dann gut, wenn der berühmte Funke überspringt.

Georg: Musikmachen und Gitarrespielen machen uns gewaltigen Spaß, und das zeigen wir auch auf der Bühne. Still herumsitzen und gelangweilt dreinschau’n kann ich immer noch wenn ich mal 50 bin, und selbst da hab ich mir eigentlich noch vorgenommen, so weit’s dann überhaupt noch möglich ist, Action zu machen und die Musik für mich angemessen zu zelebrieren.

Was nun einen guten Auftritt allgemein ausmacht ist schwierig an einzelnen Punkten festzumachen. Ich finde solche Dinge müssen auch nicht 100%ig definiert werden. Entweder der Funke springt über, oder auch nicht.

Jörg: Ich kann mich den beiden nur anschließen. Die Freude am Spielen ist sicher einer der Hauptfaktoren live zu spielen. Graumahd war eigentlich nie als "Liveband" konzipiert. Bei den Konzertanfragen, die wir hatten, versuchten wir einen Auftritt zu ermöglichen, merkten aber, daß es für uns immer schwieriger wurde unsere Lieder von der Instrumentierung her live umzusetzen. Wir werden sehen was die Zukunft bringt. Ich trau´ mir ehrlich gesagt nicht zu, den Rückgang bei Konzerten zu kommentieren, da kenn ich mich zuwenig aus. Jedenfalls finde ich es sehr Schade zu hören, wenn der Veranstalter einer hochwertigen Band wie In Gowan Ring das Konzert wegen Besuchermangel absagen muss.

 

Lichttaufe: Jörg scheint musikalisch der aktivste Musiker unter Euch Dreien zu sein, wirkt er doch in verschiedener Form noch unter anderem bei Allerseelen und Der Blutharsch mit. Seid Ihr beiden Anderen auch noch musikalisch anderweitig beschäftigt?

 

Georg: Ich wende allgemein sehr viel Zeit zum Musikmachen auf, auch außerhalb von Graumahd. Meine anderen musikalischen Tätigkeiten befinden sich aber weit abseits von Folk.

Wolf: Ich bin eigentlich nur bei Graumahd und Amestigon beschäftigt.

 

Lichttaufe. Hier könnt Ihr Euch abschließend kreativ austoben:

 

Jörg: Erstmal ein großes "Danke schön" Richard für das interessante Interview. Hat Spaß gemacht die Fragen zu beantworten.

Bleibt nur noch zu erwähnen, dass Cheru ab Ende März über Tesco erhältlich sein wird.

Georg: Vielen Dank für das Interview und "Keep it real!"


 
für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Hau Ruck!

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» Graumahd :: Cheru
» Konzertrückblick: GRAUMAHD
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