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Tony F.

Werkraum


Werkraum
Kategorie: Spezial
Wörter: 1989
Erstellt: 09.01.2006
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Kurz vor dem Jahreswechsel bescherte uns Werkraum mit "Kristalle" noch ein musikalisch versöhnliches Jahresende. Nach einigen CD-R´s, Samplerbeiträgen und dem Debut-Album "Unsere Feuer brennen!" legt die Band nun eine facettenreiche Mini-CD vor, die gerade auch durch die Beiträge interessanter Gastmusiker von Lady Morphia und Changes überzeugt. Die Gelegenheit, Axel Frank zu der Veröffentlichung und zu Werkraum zu befragen, nahm ich natürlich gerne wahr.

LT: Die neue MCD "Kristalle" ist in diesen Tagen auf Ahnstern/Steinklang erschienen. Deine letzte Platte "Unsere Feuer brennen!" ist noch auf Cold Spring erschienen. Gibt es für den Labelwechsel spezielle Gründe?

"Unsere Feuer brennen !" war und ist bei Cold Spring sehr gut aufgehoben. Aber die Arbeit am neuen Material war in vielerlei Hinsicht ganz anders ausgelegt als beim vorangegangenen Album und so stand es von Anfang an fest, dass es ein Release bei Ahnstern geben wird, was für mich für diese Art Musik eine wesentlich geeignetere Heimat darstellt. Zudem war es ein lang gehegter Wunsch von Max Presch (Steinklang), den ich ihm gern erfüllen wollte. Die "Kristalle" passen also schon aus rein
identifikatorischen Gründen auch nur dorthin.

LT: Wenn man Werkraum sagt, dann meint man ja in der Regel Dich. Nun ist Antje Hoppenrath schon einige Zeit dabei und auch Nick Nedzinsky von Lady Morphia arbeitet kontinuierlich mit. Wie muss man sich das Bandgefüge bei Werkraum nun vorstellen?

Grundsätzlich, was Musik, Arrangements und Instrumente angeht, bin ich Werkraum und Werkraum bin ich. Beim Songwriting ist mir aber oft schnell klar, dieses oder jenes gehört zu Antje und Nick. Sie sind großartige Sänger und ihre musikalische Erfahrung für mich unersetzlich. Das schließt ebenso unsere Freundschaft ein. Es existiert zwischen uns ein großes Vertrauen und sie verstehen sehr gut, was ich für Werkraum will. Warum es so gut harmoniert, ist mir nach wie vor rätselhaft. Aber ohne Rätsel keine Magie. Daraus wächst wohl jenes 'Gefüge', von dem Du sprichst.

LT: Auf der neuen CD hast Du zudem mit Nicholas Tesluk und Robert N. Taylor von Changes zusammengearbeitet. Durch die vielen, sehr ausdrucksstarken Gastsänger ist "Kristalle" angenehm abwechslungsreich ausgefallen. Wäre das eine dauerhafte Option, mit Gastsängern zusammenzuarbeiten und hat man da manchmal nicht die Sorge, dass die Bandidentität von Werkraum verloren geht?

Es ist richtig, dass mittlerweile die Stimmen anderer mehr Raum einnehmen. Aber ich würde das nicht verkomplizieren. Es sind meine Mitstreiter und sie gehören schlicht dazu. Das Problem eines möglichen Identitätsverlustes sehe ich nicht, im Gegenteil. Verschiedene Sänger gab es zudem seit jeher bei mir. Und verglichen mit anderen nimmt sich Werkraum ja noch regelrecht sparsam aus, was die 'Gäste' angeht. Aber wenn man gemeinsames, emotionales und fiktionales entdeckt und miteinander teilt, dann gilt dies auch für die Musik. So haben wir uns alle auf diesem Weg getroffen: Antje und Nicholas, Robert und Nick und ich. Und es hat Früchte getragen. Ich betone jedoch, dass wir dadurch nicht zu irgendeinem 'Split' Projekt geraten. Ich realisiere so etwas stets äußerst behutsam und so ist es immer Werkraum und wird es auch immer bleiben. Erst recht mit all denen, die irgendwann an meinem großen Tisch Platz nehmen.

LT: Du arbeitest wie gesagt seit jeher mit vielen Musikern zusammen. Brauchst Du Kooperationen zur Inspiration? Was bedeuten sie für Dich und wann im Kreativitätsprozess arbeitest Du lieber alleine?

Zur reinen Inspiration brauche ich kein gemeinsames Arbeiten. Es gibt da mitunter so viel, dass ich froh bin, wenn ich selbst überhaupt ein Minimum davon unter einen Hut bekomme. Spannend ist vielmehr die Möglichkeit zur gemeinsamen Transformation dieser Ideen, wenn sie einmal Gestalt angenommen haben, sagen wir in Form musikalischer Motive oder Songs etc. Es ist eine Frage von wechselseitigen Energien. Etwas sehr sinnliches. In bestimmten Situationen, vor allem bei der Produktion usw. bleibe ich aber lieber allein. Das ist auch eine Form von Freiheit. Ein Privileg, dass ich geniesse. Manches muss man auch nicht erklären. Wenn die Saat aufgeht, war der Boden eben fruchtbar.

LT: "Kristalle" ist ja nun eine MiniCD geworden. Warum hast Du daraus keine Vollzeit-Veröffentlichung gemacht? Oder anders gefragt: wann ist eine Platte vielleicht auch gefühlsmäßig für Dich fertig?

Ehrlich gesagt war zuerst nur eine Single geplant. Aber es gab bereits so viel Material, dass in der Tat die Überlegung zum Fulltime Album im Raume stand. Ich empfand dies jedoch irgendwie als übereilt. Zudem hatte ich mich zu diesem Zeitunkt bereits in diese Idee der Kristalle, in diese Miniatur aus Miniaturen verliebt, die Stück für Stück wuchsen. Für ein ganzes Album hatte ich aber parallel dazu schon andere Pläne. Die "Kristalle" wären dem nicht gerecht geworden und umgekehrt, ein Album nicht den "Kristallen". Außerdem liebe ich einfach dieses E.P. Format. Es ist konzentriert, nie zu viel, um darüber müde zu werden, aber genug, um sich darin zu verlieren. Es hat etwas freies, exklusives, ohne den Drang, der große Wurf zu sein oder dem kalkulierten Backkatalog zu entsprechen. Beinahe etwas heimliches ... Als ich sehr jung war, sind es auch immer genau diese kürzeren Scheiben wie Birthday Party’s "The Friend Catcher" oder eine alte Roland S. Howard gewesen, die sich am häufigsten auf meinem Plattenteller drehten.

LT: Es gibt ja nun eine sehr klare Abkehr von Samples oder elektronischen Klangerzeugern, die sich aus meiner Sicht sehr positiv auf das Klangbild auswirkt. Ist das ein natürlicher Prozess gewesen und wird es vielleicht auch mal wieder in die elektronische Richtung gehen?

Es gibt im Grunde gar keine elektronischen Instrumente auf den "Kristallen". Das war freilich insofern etwas natürliches, als die Lieder das auch naturgemäß forderten. Ich habe außerdem einiges an traditionellem verarbeitet und schließlich: ich hatte einfach Lust dazu. Es entspricht dem, was ich zu dieser Zeit gefühlt, geliebt und gelebt habe ...
Aber ich bin kein Dogmatiker was das Ausschließen bestimmter Instrumentierungen betrifft.

LT: Wenn ich die Texte richtig gedeutet habe, dann scheinen sie von einem tiefen Verlangen geprägt zu sein. Außerdem wird mit kraftvollen Metaphern aus der Natur gearbeitet. Kristalle oder der Titelsong "Crystals" bezieht sich wie mir scheint auf Schnee, der für mich persönlich eines der stärksten Symbole aus der Natur überhaupt ist. Mit Schnee/Winter kann man sehr viele Dinge verbinden. Liege ich mit Kristalle=Schnee richtig und was sagt dieses Bild für Dich aus?

Verlangen nach Schnee. Das ist gut und gefällt mir. Schnee hüllt ein, er ist kalt und wärmt zugleich. Archaische Sonnensymbole haben interessanterweise große Ähnlichkeiten mit Schneekristallen. Aber das mögen eher nachträgliche Bezüge sein, durch die Jahreszeit, in der wir uns gerade befinden. Ich habe viele alte Texte verschiedenen Ursprungs für die "Kristalle" entdeckt und daher spielen hier rein naturromantische Attituden im herkömmlichen Sinn gar keine große Rolle. Es ist eine eigene 'Wilde Jagd' durch verschiedenerlei Erinnerungen. Da ist auch etwas hermetisches und durchaus mythisch-alchemistisches mit von der Partie. Denk z.B. an den Bannspruch in E.T.A. Hoffmanns 'Goldenem Topf' ...

LT: Du hast ja mal in etwa gesagt, dass Phantasie eigentlich ein unerlässlicher Bestandteil beim Musikmachen ist. Das heißt für Dich auch in phantastische Welten abzutauchen. Gibt es für Dich die Trennung Realität/Phantasie zum Beispiel in Bezug auf Texte in der Art bei Dir, dass Du z.B. nie konkrete Dinge ansprechen würdest? Könntest du Dir vorstellen, für Werkraum auch mal einen politischen-tageskritischen Text zu verfassen?

Ja, es bedarf einer Grenzziehung zum Alltäglichen, zumindest, was Werkraum angeht. Jemand anderes hat mich schon einmal etwas ähnliches gefragt und ich habe ihm mit dieser Metapher der 'medialen Mauer' geantwortet, die es immer von neuem zu durchschreiten gilt. Zurückzukehren mit Text und Musik ist ein sprichwörtlich schmerzhafter Vorgang. Dabei 'aktuell-politisch' zu sein ist freilich etwas schwierig. Das wäre etwas ganz anderes. Aber warum nicht?

LT: In "La Fée Verte" wird zum Schluss der CD wieder einmal die "grüne Fee" besungen. Aber ich denke, Robert N. Taylor gewährt man da gerne noch mal eine Zugabe. Was verbindest Du persönlich mit der "grünen Fee"?

Es sind zwei Feen und sie bilden einen Rahmen. Die 'Queen Mab' Thomas Hoods ist durch die Textkürzung etwas verschönert worden, denn sie ist eigentlich ein Zwitterwesen mit ebenso bedrohlicher, unergründlicher Seite, die die Brücke schlägt zur schillernden fée verte am Schluß. Was bedeutet sie mir persönlich? Ich denke, man sollte fragen, was sie mir in der poetischen Figuration von Robert Taylor bedeutet. Denn hinter dem schlichten Zubereitungsritual gerät auch sie zu einer Zwiegestalt. Getränk oder die Geliebte?Geliebtes Getränk? Getrunkene Geliebte? Inspirationsquell, mythische (Liebes-)Pforte zu jener bereits von uns besprochenen Welt? Oder schlichter Rausch an einem 'gloomy-stormy', Manet-farbenen Nachmittag, an dem die Bettstatt in ein - oder Zweisamkeit lockt?

LT: Der letzte Track also der Hidden-Track der Platte hat mich ob des Samples doch irgendwie berührt. Ich kann das Sample aber thematisch nicht so ganz einordnen. Für mich lauert da im Hintergrund eine Art Verlorenheit oder Heimatlosigkeit. Könntest Du dazu kurz etwas sagen?

Ein bisschen Geheimnis sollten wir schon noch übrig lassen, findest Du nicht? Das Ganze hat vielmehr eine direkte Verbindung zu Sturmpercht und zu dem Landstrich, dem ich mich so verbunden fühle ...

LT: Ein Kollege der schreibenden Zunft will auf "Kristalle" mittelalterliche Einflüsse vernommen haben. Habe ich die überhört?

Das weiß ich nicht. Adaptionen von John Dowland und diverse traditionelle Elemente sind zwar nicht unbedingt mittelalterlich, aber dennoch der Alten Musik zugehörig, die mich sehr beeinflusst. Das trauernde Moment z.B. bei John Dowlands Original "Come away, come sweet love" habe ich durch die entgegengesetzt laufenden Strophenmotive im "Ornament" fast aufgelöst. Das ist eher ein Kontrast, denn der Text ist nach meiner Sicht den wirklich mittelalterlichen Tageliedern sehr verwandt.

LT: Werden wir Werkraum auch irgendwann einmal Live zu sehen bekommen. Was hat Dich bisher gehindert?

Ich würde inzwischen sicherlich sehr gern ein Konzert geben. Aber leider sind wir auch in alle Winde verstreut und teilweise momentan auch anderweitig stark beschäftigt, was eine gute Vorbereitung für etwas, was ich live gern machen würde, sehr erschwert. Und zumindest ohne Antje und Nick auf der Bühne würde einfach etwas fehlen, das würde ich nicht über's Herz bringen. Schauen wir, was die nahe Zukunft bringt.

LT: Zum Schluss noch eine etwas allgemeinere Frage. Die Veröffentlichung des Buchs "Looking for Europe" könnte eine Zäsur darstellen, es könnte aber auch eine Art Schlußpunkt für die Subkultur Neofolk markieren. Die Gottväter des Neofolk glänzen schon seit einiger Zeit nicht mehr mit Innovation oder erklären Rückzüge. Und auch von bedeutsamen Bands jüngerer Generationen wie Backworld wird wohl in nächster Zeit nichts mehr kommen. Wie wird sich diese Subkultur Deiner Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln oder wird sie aufgrund der mangelnden Leitfiguren Probleme bekommen?

Ich setze mal voraus, dass du 'Gottväter' jetzt auf ironische Weise benutzt. (Selbstredend! Anm. d. Verf.) Vom sogenannten Leitfigurenbegriff halte ich nichts und ich finde es ziemlich befremdlich, sich darauf auszurichten, in welcher Hinsicht auch immer. Daher bin ich auch der Meinung, dass eine Subkultur nicht erstrangig nur von musikalischen Größen abhängig ist, geschweige denn sich von ihnen abhängig machen sollte. Es gibt genug Facetten, über die sich eine Szene oder Community definieren kann, sich verbunden fühlt und (sub) kulturelles produzieren und rezipieren kann, so sie es will. Wenn aber die elitären, rückwärtsgewandten Stimmen beginnen, zu laut zu tönen in ihrem weinerlichen Trauerlied auf das bessere 'Früher', dann sehe ich darin das wirklich problematische. Warum soll 'Looking For Europe' einen Schlußpunkt darstellen? Ganz im Gegenteil. Hier ist erst der Anfang getan für eine Subkultur, der zum ersten Mal eine Art Selbstdefinition und damit Manifestierung gelingt und die versucht, den Schritt nach vorn und damit nach draußen zu wagen! Aber für mich zählen noch andere Dinge im Leben und ich mag mich nicht wirklich an dieser Diskussion beteiligen.

LT: Abschließend der Klassiker bei Interviews. Was werden wir von Werkraum oder von Dir als nächstes erwarten können?

Erwarte etwas leises oder etwas lautes, je nachdem, wie ich mich fühle ...  und vielleicht noch einen Schwung Kinder ....

LT: Ich danke für das Gespräch.

 

Tony für Lichttaufe

 


 
Tony F. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Werkraum
» Changes
» Lady Morphia

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