Autor: Roy LiebscherWo gerade die osteuropäische Musikszene mit zahlreichen Newcomern auf dem Vormarsch in den Westen ist, wäre es bedauerlich, wenn eine Band im derzeitigen Veröffentlichungsschwall unterginge, die schon seit etwas längerer Zeit im heimischen Polen sehr gute Musik produziert und bislang dem mitteleuropäischen Publikum unverständlicherweise verschlossen blieb.
Die Rede ist von EXIT, ein New Wave / Folk Projekt aus Krzeszowice in der Nähe von Krakow, dessen wesentlicher Bestandteil der kreative Kopf von
Piotr Gędłęk ist. Von 1993 bis heute durchlebte EXIT einige Besetzungswechsel und Stiländerungen, so dass das 1995 aufgenommene erste Demo RESERPINUM, ebenso wie das im Jahr 2000 folgende Debütalbum SOLA FIDE noch sehr rau und ruppig, post-punkig ausfielen. Einigen Samplersammlern dürfte EXIT als Lichtblick von dem auf
Sweet Farewell erschienenen, eher durchwachsenen CURRENT 93 Tribute ein Begriff sein; die durchaus gelungene Coverversion von THE BLUE GATES OF DEATH ist außerdem überaus repräsentativ für ihr derzeit noch aktuelles Album TONĄCY BRZYTWY SIĘ CHWYTA, das 2002 von
Furia Musica veröffentlicht wurde.
TONĄCY BRZYTWY SIĘ CHWYTA bedeutet so viel wie ein Ertrinkender umklammert einen Strohhalm". Nach einem etwas unvermittelten Anfang findet man sehr schnell Zugang zu den professionell vorgetragenen Kompositionen, die sehr gut verdeutlichen, dass sich EXIT keineswegs auf einem sinkenden Schiff befinden und Strohhalme umklammern müssten.
In nahezu allen der 10 Stücke ist das Zusammenspiel von Akustikgitarre und Bass dominierend, das mittels Wechsel von sachteren Akkorden und eruptierenden Momenten eine gewaltige Dynamik erzeugt. Dadurch gestalten sich die Lieder im einzelnen angenehm kurzweilig und erfrischend. Denn auch wenn man sich dem tiefsinnig-melancholischen Eindruck nicht erwehren kann, bereitet das Zuhören sehr viel Freude wahrscheinlich auch, weil man das mitunter monotone Saitenspiel einiger namhafter Folkbands weit hinter sich lässt.
Melodische Akzente setzen hier und da Akkordeon und Keyboard, wobei ersteres Liedern wie OBSESJA und ME VOICI eine recht markante folkige Atmosphäre einhauchen. Im großen und ganzen aber spielen EXIT keinen Neofolk im herkömmlichen Sinne, eher erinnern einige Passagen musikalisch an ältere NICK CAVE und die Erzeugnisse der frühen 90er Indie - Szene.
Noch mehr aber kommt einen immer wieder CURRENT 93 in den Sinn, gerade sehr kräftige Stücke ihrer Japanphase wie BROKEN BIRDS FLY, vermutlich das gesamte EARTH COVERS EARTH Album oder auch HITLER AS KALKI scheinen eine große inspirative Quelle für EXIT gewesen zu sein. Dieser Eindruck erhärtet sich umso mehr, da Bass und Gitarren auch hier teilweise in ausgedehnte, psychedelisch verdichtete Gefilde abgleiten und dann sehr bunt und langhaarig wirken.
Gesungen wird bis auf die
William Blake Adaption SICK ROSE und ein paar französische Sätze in ME VOICI ausschließlich in polnischer Sprache, was einerseits freilich das Verständnis erschwert oder gar unmöglich macht und andererseits für die Sprachbegeisterten unter den Musikfreunden den besonderen Reiz der Veröffentlichung ausmacht. Gemäß den Übersetzungen bewegen sich die Texte aber auf einem sehr hohen stilistischen Niveau, sublimieren abstrakte Gedankengänge in surrealen Bildern und ungewöhnlicher Wortwahl, die auf ihrem religiös-mythologischen Hintergrund auch im Filmwerk eines
Luis Buñuels nicht fremd erscheinen würden.
Mit TONĄCY BRZYTWY SIĘ CHWYTA erhält der geneigte Hörer knapp eine Stunde handgespielter Gitarrenmusik, die gerade deshalb eine gut ausgefüllte und kurzweilige Stunde ist, weil sie mit sehr ehrlichen und altbewährten Klängen verzückt, ohne die längst verflossenen Stile neu erfinden zu wollen.
Release: 2002, Furia 006, CD
Tracklist:
01. Historia Zniknięcia Pewnej Kobiety
02.
Obsesja (Co Wydarzło Się Na Drodze Do Damaszku)
03. Voyer
04. Sick Rose
05. Pamięć
06. Ecce Ego
07. Infekcja
08. Me Voici
09. Ku Pamięci Piotra B. (Sen Jest W Ciszy Cisza Jest We Śnie)
10. Kiedy Słowa Gasną
58min
Zur Zeit
arbeitet Piotr gerade an einem neuen Album, das er auch sehr gern einem breiteren internationalen Publikum nicht vorenthalten möchte. Es wird daher sehr wahrscheinlich nicht von einem polnischen Label produziert werden.
Ich hatte bereits Gelegenheit, fünf Stücke des neuen Materials zu hören, bei denen freilich noch fraglich ist, ob und in welcher Form sie auf der kommenden Veröffentlichung erscheinen werden. Jedoch kann man jetzt schon sagen, dass sich der Sound von EXIT mit einer reicheren Instrumentierung (Schlagzeug und Orgel) fertiger und abgerundeter anhört und seinen Weg, der irgendwo zwischen dem Progressive-Folk der 70er und melancholischem Düster-Pop mit Jazzanklängen liegt, gefunden hat. Man darf also gespannt sein, auf das neue Werk von talentierten Musikern, denen an dieser Stelle alles Gute für ihre Zukunft zu wünschen sei.
Kontakt:
EXIT
piotrgedlek@op.pl
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