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Tony F.

IN THE NURSERY: The Seashell And ...

...The Clergyman


IN THE NURSERY: The Seashell And ...
Genre: Filmmusik
Verlag: ITN Corporation
Erscheinungsdatum:
Oktober 2019
Medium: CD
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Wie in den letzten Jahren üblich folgt bei IN THE NURSERY auf ein Studioalbum eine filmmusikalische Arbeit. Nach dem 2017er Album „1961“ haben sich die Zwillingsbrüder HUMBERSTONE folglich nun dem französischen Stummfilm „La Coquille et le Clergyman“ (dt.: „Die Muschel und der Kleriker“) gewidmet, nachdem sie 2015 noch „The Fall Of The House Of Usher“ in ein neues musikalisches Gewand gekleidet hatten. 

Der französische Kurzstummfilm, der ca. 38 Minuten lang ist, gilt als das erste surrealistische Werk der Filmgeschichte. Die französischen Regisseurin GERMAINE DULAC hat den Film 1928 auf der Grundlage eines Drehbuchs des Surrealisten ANTONIN ARTAUD, der später sogar mal für FRITZ LANGs „Liliom“ vor der Kamera stehen sollte, inszeniert. ARTAUD, ein kreativer aber auch tragischer Geist, bei dem später eine Schizophrenie diagnostiziert wurde, woraufhin er sein Leben ab der Mitte der 30er Jahre zumeist in geschlossenen, psychiatrischen Kliniken verbrachte, war mit der Umsetzung seines Drehbuchs allerdings nicht zufrieden, weil die Handlung seiner Meinung nach zu sehr in die Sphäre des Traums verschoben wurde. 

Nichtsdestotrotz gelang es GERMAINE DULAC völlig neue, bis dahin ungewohnte Bildwelten zu erschaffen. Sie arbeitete mit Überblendungen, Unschärfen, Verzerrungen und natürlich mit allerlei surrealistischen Szenarien. Insofern ist „La Coquille et le Clergyman“ auch kein gewöhnlicher Spielfilm, sondern mehr eine szenische Darstellung, die sich vordergründig mit den Begierden eines Klerikers auseinandersetzt, im Grunde aber einen viel größeren Themenbereich verhandelt. Das drei-Personen-Stück, in dem der bereits genannte Kleriker, eine von ihm begehrte Frau, sowie ein General – quasi der Widersacher - vorkommen, kann man auch als eine Abhandlung über die Institutionen Kirche und Staat sowie über die Rolle der Frau in diesem Komplex verstehen. Insofern wird der Film auch als frühe feministische Arbeit bewertet. 

Die Figur des Klerikers steht für ein Individuum, das seine sexuellen Begierden stillen will - der Symbolismus in Bezug auf die Sexualität ist nicht zuletzt durch die immer wieder auftauchende Muschel offensichtlich – aber durch äußere Zwänge – und vielleicht auch eigene, innere Unfähigkeit - dem nicht nachgeben kann. Zudem überkommen den Kleriker Gewaltphantasien gegenüber seinem Gegenspieler, dem General, wobei hierbei auch das Thema „Minderwertigkeitskomplexe“ nicht ausgeblendet werden sollte. Letzteres wird an einer Szene deutlich, in der der Kleriker auf allen Vieren wie ein Hund durch die Straßen läuft. 

Der Soundtrack, den die HUMBERSTONEs zu diesem Film geschrieben haben, ist dabei ohne Frage gelungen. Der Film wird mit einem dichten, sich ständig in Bewegung befindlichen Klangteppich unterlegt, der sich an den richtigen Stellen zurückhält, um hin und wieder passend aufzuleben, um die dramatische Stimmung einzelner Szenen zu betonen. Die unterschiedlichen Klänge, wobei das Sounddesign hervorragend gelungen ist, bewegen sich zudem unentwegt dynamisch im Stereobild. Die surrealen, traumähnlichen Bilder werden mit mäandernden Flächensounds und punktuellen, herausstechenden Klängen unterlegt, während in konkreteren oder aufwühlenden Szenen bisweilen auch kurze Passagen mit griffigeren, elektronischen Sounds auftauchen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass der Soundtrack insgesamt ungemein organisch klingt, was neben den zumeist verwendeten, abgerundeten und verwaschenen Klängen auch an dem wiederholten Einsatz von kurzen Akustikgitarrenparts oder verhallten Geräuschen liegt. Auf Percussion oder Schlagzeug wird dabei übrigens gänzlich verzichtet, was dem Ganzen aber auch nicht gutgetan hätte, da es zu dem minimalistischen oft traumartig dahinfließenden Film nicht recht gepasst hätte. 

Da man den Film natürlich auch ohne Ton schauen kann bzw. unterlegt mit einem Soundtrack von IRIS TER SCHIPHORST, der aus dem Jahr 2005 stammt, lässt sich übrigens die Wirkung der musikalischen Untermalung hervorragend testen. Allerdings wird auch der interpretatorische Ansatz der Musiker sichtbar. IN THE NURSERY ist dabei aus meiner Sicht ein großer Wurf gelungen, weil man die Eindringlichkeit des Films deutlich verstärkt hat, wobei man in der Interpretation des Stoffes die Stimmung mehr in einer melancholisch, teils düsteren Ecke verortet. Dadurch wird das Unglück des Klerikers und dessen Unfähigkeit mit der Situation umzugehen bzw. aus ihr auszubrechen mehr in den Vordergrund gerückt. Ein recht surrealer, mit schrägen Soundeinwürfen gespickter Soundtrack wäre insofern auch denkbar gewesen, hätte die Interpretation aber vielleicht mehr in Richtung fieberhaften Wahnsinn des Protagonisten verschoben, was als Interpretation des Films nicht viel hergibt. 

Nach dem gelungenen Soundtrack zu „The Fall Of The House Of Usher“, der aufgrund des Stoffes naturgemäß etwas dramatischer ausfiel, ist IN THE NURSERY mit der Musik zu „La Coquille et le Clergyman“ jedenfalls ein Werk gelungen, welches qualitativ definitiv ebenbürtig ist und damit zu den besten Soundtracks gehört, die das Brüderpaar bisher geschaffen hat.    

 
Tony F. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» IN THE NURSERY - Homepage
» IN THE NURSERY @ Facebook

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