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Endsal

F.A.M.P: The Recounting Of Night Time

"The things of autumn are ephemeral and decay quickly."


F.A.M.P: The Recounting Of Night Time
Genre: Experimental
Verlag: Afterdays...
Vertrieb: Afterdays...
Erscheinungsdatum:
30. November 2018
Medium: CD & Download
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Die sympathischen Fake-Musik-Archäologen aus Illinois/USA sind mit einem neuen Album am Start: FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT, die als Reaktion auf den immer mal wieder geäußerten Verdacht, möglicherweise falle die gesamte, auf ihrer Homepage veröffentlichte Bandgeschichte ja unter die Rubrik "fake history", wiederholt beteuerten, diese entspreche, so wie dort geschildert, durchaus den Tatsachen, sind bereits seit Mitte der 1980er-Jahre aktiv und waren/sind immer mal wieder Kollaborationspartner von ZOVIET*FRANCE – einem größeren Publikum bekannt wurden sie ungeachtet ihrer langjährigen Existenz denn auch erst 2014 mit der Veröffentlichung von fossilaerosol.com/Patina_Pooling.html">"Patina Pooling", einer auf Doppelvinyl gebannten, aufwändig verpackten Zusammenarbeit mit den Post-Industrial-/Tribal-/Dark-Ambient-/Experimental-Urgesteinen aus Nordengland. Und hört man das umfangreiche Oevre beider Projekte eine zeitlang quer, so drängt sich ohnehin der Eindruck auf, hier habe schlicht zusammengefunden, was zusammengehört, denn so fremdartig und unique der Sound der einen wie der anderen ist – eine kongenialere gegenseitige Ergänzung und Harmonie im Zusammenspiel ist schlechterdings kaum denkbar. Nachdem die, nichtsdestoweniger immer noch weitgehend in nebulöser Anonymität verharrenden, Herrschaften aus dem Mittleren Westen der USA bereits im Februar diesen Jahres mit dem Album "August 53rd" zu entzücken wussten, das einmal mehr akustische Schnipsel, Field Recordings, echte und vorgebliche Klang-Artefakte sowie sonstige musikalische Versatzstücke unterschiedlichster Provenienz zu einem ebenso fremdartigen wie bestrickenden, soundhistorischen Liederkranz verknüpfte, präsentieren sie mit "The Recounting Of Night Time" nun ein weiteres fesselndes Potpourri von "Songs of enhanced decay and faked resurrection", wie das FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT seine musikalische Programmatik auf den Punkt bringt.



Der Promotext zum Album verweist auf "a certain piece of German gothic cinema made during the late 1970s" als zentrale Quelle des Ausgangsmaterials, welches dann "was culled from both VHS audio tracks, as well a “field recording” made at a poorlyattended screening of the film in a decaying theater in St. Louis, Missouri sometime during the mid-1980s". Wie immer ist der restaurative Bearbeitungsaspekt konstitutiv für die musikalische Gesamtatmosphäre und so werden Videobandfehler ebenso einkalkuliert wie "the scent of the acutely mildewed theater [...] recollected and implied." Und achtet man insbesondere auf das, gleich mit dem Einstiegstrack einsetzende und über das gesamte Album verteilte, schräg-dissonante Geigengefiedel und lässt die immer wieder an- & abschwellenden, atmosphärischen Drone-Klänge nebst diverser anderer Samples und Soundschnipsel zusammen mit den Titeln von Album und Einzeltracks gebührend auf sich wirken, so stellt sich recht zuverlässig die deutliche Ahnung ein, es könne sich bei jenem nicht näher genannten deutschen Gothic-Filmmaterial eigentlich nur um Werner Herzogs "Nosferatu – Phantom der Nacht" von 1979 handeln, jenes Remake des Murnau'schen Stummfilm-Klassikers von 1922, in dem der unsterbliche Klaus Kinski den transsylvanischen Vampir Graf Orlock gibt. Nichts Genaues weiß man freilich nicht und die mysteriösen Musikanten selbst schweigen sich in dieser Hinsicht selbstverständlich aus, doch ein bisschen frei flottierende Spekulation belebt bekanntlich das Geschäft. Entsprechend sinister und neblig-verwaschen ist jedenfalls die generierte Grundstimmung, wenngleich auch keineswegs von solch exzessiver, fiebriger Morbidität wie die mutmaßliche (!) Filmvorlage. Und nicht zuletzt das ist ja gerade das Charmante an der Musik von FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT: sie ist vom Obskuren und Mysteriösen zwar nachgerade gesättigt, weiß aber jederzeit jene traumartige Luftigkeit zu wahren, die sie davor bewahrt, planlos in die Untiefen depressiver Sumpflandschaften hineinzulavieren und am Ende dort steckenzubleiben. Auch wenn also das besagte, kratzig-schnarrige Geigenthema "with profound emotional torpor“ durch das Album mäandert, so wird diese widerborstige Gefühlskälte durch die "hypnotic cycles of foggy ambience and backmasked rhythmic events that intertwine with varispeed-pitched dilations of melancholy melody", die für den Sound des Projektes so charakteristisch sind, wieder souverän relativiert.


"The Recounting Of Nighttime" umfasst acht Tracks bei einer Gesamtlaufzeit von einer knappen Stunde, und selbstverständlich ist auch dieses Opus wieder auf ein beherztes Eintunen seitens des Rezipienten hin angelegt. Demgemäß entfaltet sich dem aufmerksamen Hörer der eigentümliche, unvergleichliche Charme, der das musikalische Universum von FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT auszeichnet, hier wie stets erst peu à peu zu voller Pracht und Herrlichkeit: Kommt der, intensiv an ZOVIET*FRANCE erinnernde Einstiegstrack "An Unexpected Appearance Of Folkway" inklusive des anschließenden Zwischenspiels "Scratching The Mirror" noch betont spröde daher, lockert sich die Atmosphäre mit dem ersten Zehnminüter "Binary In Tradition" in Richtung einer hypnotisch-dronigen, von subtilen Rhythmen und Loops getragenen und mit diversen, kryptischen Voice-Samples durchsetzen Soundlandschaft auf. "Passage" ist zwar von einem satten Basisdrone geprägt, wartet aber mit diversen, unruhigen Einsprengseln auf, die die Atmosphäre insgesamt mit subtiler Unbehaglichkeit anreichern: intuitiv denkt man an die Überfahrt des Grafen Orlock von Transsylvanien nach Wismar im Bauch des von Ratten durchseuchten Schiffes aus Herzogs Film. Das elfeinhalb Minuten dauernde "The Retelling Of Fragmentary Legend" fordert dem Hörer dann wohl die intensivste Einfühlungsleistung ab, denn hier werden experimentelle Frickeligkeit und Fragmentiertheit nicht durch atmosphärische Soundflächen oder Rhythmusstrukturen – und seien sie noch so subtil – abgefedert: ein Track, der jeden hypnotischen Sog missen lässt und deshalb mit Geduld erschlossen werden will. Dafür folgt mit "Emptying The Village" einer der Höhepunkte des Albums auf dem Fuße: eine finster verhangene, raumgreifende Elegie, deren kontemplative Grundstimmung immer wieder durch die bereits mehrfach erwähnten, greinenden Geigenklänge sowie diverses, verhallendes Saitenspiel gebrochen wird – insgesamt erinnert das Ganze ein wenig an frühe ALLERSEELEN-Werke wie "Schwartzer Rab" oder "Autdaruta", und nicht zuletzt angesichts des Titels ist man versucht, an den durch des Grafen Orlocks Ankunft verursachten Ausbruch der Pest in Wismar zu denken. "Tsints Number 4" zerfällt in zwei Hälften: eine eher rhythmisch-repetitive und eine atmosphärisch-ruhige, welch letztere wieder die F.A.M.P.-typische, grisselig-verwaschene, traumartige Grundstimmung atmet, um schließlich in schnarrig-verfremdetem Obertongesang auszuhallen. Den Abschluss bildet mit "Film Grain Horizon" ein weiterer, ruhig und reduziert konzipierter, Elfeinhalbminüter, der das Album schlussendlich, um im gewählten Bild zu bleiben, wie das Orlock'sche Schiff in weithin über dem Meer lagernde Nebelbänke entschwinden lässt.

FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT

In summa kommt "The Recounting Of Nighttime" durchaus um einiges düster-melancholischer daher als die vorangegangenen Veröffentlichungen aus der jüngeren Vergangenheit, was bei einem Album, das sich thematisch (ungeachtet der grundlegenden Devise "not to speak in specifics" legte man sich im Rahmen einer facebook-Mitteilung zumindest insoweit dann doch fest) mit dem Herbst beschäftigt, freilich kaum verwundern kann. Die dezidiert sinistere Atmosphäre ist der gewohnt herausragenden Qualität des Dargebotenen freilich nur zuträglich, da sich die Künstler zu keinem Moment irgendwelcher abgenudelter Klischees bedienen, sondern das Sujet erfrischend originell mit jenen musikalischen Mitteln bearbeiten, die für ihre para-ethnohistorische Pseudo-Musikarchäologie konstitutiv sind und der gewählten Dekadenz-Topologie kaum schmeichelhafter sein könnten: "The things of autumn are ephemeral and decay quickly." – Kurzum: eine weitere herausragende Lektion in "enhanced decay and faked resurrection", von der sich der audiophile Connaisseur freilich mit einiger Inbrunst eine Vinyl-Version gewünscht hätte – bis auf weiteres ist das gute Stück indes lediglich als CD erhältlich. Eine auf 50 Exemplare limitierte Special Edition, bestehend aus "shrink-wrapped CDs overpainted in chalkboard resurfacing paint, erased chalk, acrylic, and a hand-lettered Bandcamp download code for an additional 18+ minute track", gab's auch, die war zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Besprechung aber bereits ausverkauft. Der Vollständigkeit halber erwähnt sei sie trotzdem. Fazit: Großartiges Album – mehr davon!

 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT-Homepage
» FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT @ facebook
» FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT @ bandcamp
» FOSSIL AEROSOL MINING PROJECT @ SoundCloud
» THE HELEN SCARSDALE AGENCY-Homepage
» THE HELEN SCARSDALE AGENCY @ bandcamp

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» FOSSIL AEROSOL M. P.: August 53rd
» F.A.M.P.: Revisionist History
» F.A.M.P.: The Day 1982 Contaminated 1971


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Zusammenfassung
Das neue F.A.M.P.-Album ist thematisch im Herbst verortet und kommt insofern deutlich abgedunkelter als seine Vorgänger daher. Da die atmosphärische Aufbereitung des Verfalls indes das programmatische Herz des Projektes aus Illinois/USA bildet, ist grandioses Kino vorprogrammiert.

Inhalt
01: An Unexpected Appearance Of Folkway (3:36)
02: Scratching The Mirror (0:56)
03: Binary In Tradition (10:34)
04: Passage (5:20)
05: The Retelling Of Fragmentary Legend (11:27)
06: Emptying The Village (5:59)
07: Tsints Number 4 (7:32)
08: Film Grain Horizon (11:29)

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