JEHM CIRCS: (untitled) Kingdom

Das Label CELLULE 75 beschert uns nun das zweite Album von JEHM CIRCS. Dahinter steckt kein Geringerer als MARC RICHTER, der als BLACK TO COMM bereits einige herausragende Alben produziert hat. Denken wir nur an "Alphabet 1968" oder den Filmsoundtrack "Earth".
Diese Alben bestechen durch ihre abstrakten, psychedelischen und immer mit Fingerspitzengefühl gespindelt verdrehten Sounds. Das ist bei "(untitled) Kingdom" nicht anders. Was das genannte aber von BLACK TO COMM-Alben unterscheidet, ist die Herangehensweise. Sämtliche Sounds stammen nämlich nicht von ihm selbst. RICHTER hat sich bei YOUTUBE bedient. Er betreibt also so etwas wie Grundlagenforschung. Wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit führt er hier Zitate an, die sämtlich moderner Pop-Musik entlehnt wurden, und schafft etwas Neues.
Wenn wir es recht bedenken, ist das ein konsequent logischer Schritt. Das digitale Material ist ohnehin unüberschaubar. Warum da noch mehr hinzufügen? Wie oft und wie lange nämlich durchsucht man das oben genannte Portal? Wie oft wühlt man sich durch einen riesigen Müllberg? Warum also nicht dieses stets gut, doch immer gleich produzierte Einerlei dekonstruieren, um es so zusammenzusetzen, dass daraus etwas anderes entsteht als das, wozu es vorgesehen war?

RICHTER spiegelt Musik. Er recycelt, bereinigt hier also und schont die Ressourcen. Doch im Unterschied zu den natürlichen wachsen die digital produzierten. Selbst die Toten verschwinden da nicht. Warum also tut er so etwas? Nun, vielleicht um etwas dagegenzusetzen, um den Anspruch, mit allen Mitteln herauszustechen, zu unterwandern.
Kurze Titel, kratzend, teils übersteuert anmutende Sounds, die von ihrer Struktur her simpel gehalten und doch energiegeladen sind, lassen vermuten, dass RICHTER einen anderen Umgang mit Musik pflegt. Er kommt nämlich aus und geht in eine andere Richtung. Allein das kräftig Energiegeladene und Fragmentarische der Stücke lässt vermuten, dass hier die Musik nicht so wie üblich im Pop von Produzenten produziert wird. Nein. Es wird das Produzierte produziert – inversiv. Input ist Output. Ende wird Anfang.

RICHTER verbindet, er forscht – eine Haltung, die vielen aktuell abgeht. Dem zur Folge heißt dann gleich das erste Stück sehr treffend „Falsch“ (01). Wasser gluckert in „PG-YY-A“ (02). Die Sounds leiern beträchtlich. In „000“ (03) wummert ein arrhythmischer Bass unter seltsamem Orgeln. „(AA)“ (04) bricht alle paar Sekunden und hört sich so an, als liefe das Stück falsch herum ab. In „The Fall“ (05) rauscht es und knistert. Und „SFW-ii“ (06) gibt die Essenz popmusiklischer Texte zum Besten. Hier kommt zwar kein "Uh" oder "Jeah", aber ein "Tuh Tuh". Und so geht es dann weiter. Harmonie finden wir kaum. Und wenn nur in der flächigen Landschaft, über der ein heftiger Wind weht. Der bewegt alles in unvorhersehbare Ecken des Hörens. Vierundzwanzig kurz gehaltene Stücke, die den Eindruck vermitteln, der uns von allen Seiten bedrängt.

"(untitled) Kingdom" ist ein Beispiel angewandter Wissenschaft. Die von der Musik. Die vom zukünftigen Umgang damit.

Neue Artikel bequem per Email*

Email-Adresse

Name

*Du bekommst max. eine Nachricht pro Woche mit allen neuen Artikeln.
Du kannst die Wochenschau jederzeit abbestellen.