http://www.nonpop.de/nonpop/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=3203&high=offensichtlich
NONPOP - Artikel > Rezensionen > NITS: Angst



Michael We.

NITS: Angst

Die deutsche Besetzung der Niederlande in Liedern


NITS: Angst
Genre: Pop
Verlag: Werf Records
Erscheinungsdatum:
November 2017
Medium: CD
Preis: ~16,00 €
Kaufen bei: Amazon


Schrift vergrößern Schrift verkleinern


Es gibt Alben, die sind schon ein Weilchen auf dem Markt. Man fühlt sich aber richtiggehend gezwungen, sie dennoch zu besprechen. So geht es mir mit "Angst", dem aktuellen Werk der holländischen NITS. Obwohl ich großer Fan der Band bin, ist mir die Veröffentlichung am Ende des vergangenen Jahres zunächst durchgerutscht. Bedingt durch die Funkstille seit dem letzten offiziellen Studioalbum "Malpensa" aus dem Jahr 2012 habe ich das Trio aus den Niederlanden etwas aus den Augen verloren. Zudem schienen mir die neueren Alben etwas von der Skurrilität und der minimalistischen Stringenz früherer Werke verloren zu haben. Zufällig wurde ich dann doch auf "Angst" aufmerksam und muss schon vorwegnehmen, dass mich die neuen Stücke schlicht umgehauen haben und das neunzehnte Studiowerk der seit mehr als 40 Jahren aktiven Band ihr bislang bestes ist. Obwohl es in Teilen vom bisherigen Schaffen abweicht.

"Angst" ist, wenn ich das richtig sehe, das erste Konzeptalbum der NITS. Es geht, auch das ungewöhnlich, um ein knallhartes politisches Thema, nämlich die deutsche Besetzung der Niederlande während des Zweiten Weltkrieges. HENK HOFSTEDE, Sänger und Bandkopf, verweist auf seine Eltern, denen er die Idee für "Angst" zu verdanken habe. Offensichtlich gelangten auch einige Fotos aus alten Familienalben ins schöne Booklet. Besangen die ehemaligen Amsterdamer Kunststudenten bislang fiktive Geschichten mit verschrobenen Texten - am berühmtesten wohl die "Dutch Mountains" mitten in den flachen Niederlanden -, geht es nun sehr konkret um Davidsterne, SS-Uniformen und Führerposter (wie in "Lits-Jumeaux", 04). Musikalisch ist "Angst" ein Rückgriff auf NITS-Alben der 1970er- und 80er-Jahre, auf den luftigen, skurrilen und minimalen Art Pop. Selbst HOFSTEDEs Stimme - der Mann wird 68! - klingt auf "Angst" jünger denn je, ganz der kleine Junge, der in vielen Liedern von der Vergangenheit erzählt.



"Yellow Socks & Angst" (01) beginnt mit einer recht gruseligen Falsett-Stimme, die von der Großmutter vor dem Kaminfeuer erzählt, wie sie gelbe Socken (und eben auch Angst) strickt. Dagegen steht ein anheimelnder Refrain mit Glöckchen, alles extrem reduziert. Das tuckernde Schlagzeug kaum zu hören, nur wenige untermalende Sounds. Dieser und viele weitere Songs wirken wie der Blick auf ein altes, verblichenes Foto, auf dem Umrisse und Personen nur noch schemenhaft zu erkennen sind. Passend und eingerahmt von kurzen Streicherparts zerweht der Opener am Ende auch wie ein Windhauch. Gerade in "Flowershop Forget-Me-Not" (02) fällt auf, dass die Singstimme unglaublich jugendlich wirkt, erzählerisch und spielerisch wird zu Summen und einzelnen, warmen Synthie-Tönen getextet. Und wie eine alte Buchseite zerfasert auch dieses Lied am Ende zu Staub. Seltsam schräg, schleppend und verlangsamt läuft "Radio Orange" (03), mit symbolbeladenem Text über verschwundene Kinder und deutsche Soldaten. Der Track scheint immer wieder kurz vor dem Verschwinden, wird dann mal mit leisem Handklatschen, mal mit dumpfer Trompete zurückgeholt. Und so geht es flüsterleise weiter, zerbrechlich, teils aber auch beschwingt in ganz typischer NITS-Manier, es werden kaum Instrumente und nur wenige Töne gebraucht. Am Ende stehen zwei auch textlich herausragende Schlussstücke: In "Breitner On A Kreidler" (09) heißt es passend zum ganzen Album: "We live in photographs, we live in memories", der Song liegt fast unterhalb der Wahrnehmbarkeit. Alle Alltagsgeräusche fallen nach und nach weg, werden automatisch ausgeblendet, um sich auf diesen melancholischen Hauch konzentrieren zu können. Und das flottere "Zündapp Nach Oberheim" mit teils deutschem Text, mit ein paar Pianoakkorden und typischen, klappernden und tickenden NITS-Sounds, beendet "Angst" reizend und versöhnlich.

Eine durchaus düstere Vergangenheit wird hier in ganz leisen, feinen Anklängen hörbar. Filigrane, zerbrechliche Kunst-Stücke sind eingebettet in ein Gesamtarrangement, zu dem auch das Booklet mit den erwähnten Fotos gehört. Das Live-Feeling früherer NITS-Alben stellt sich wieder ein, als ob die Band zu Dir ganz persönlich in Deinem Wohnzimmer spielt. Eines der stimmungsvollsten und behutsamsten Alben der jüngeren Pop-Geschichte, das lange nachhallt.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» NITS-Homepage

Themenbezogene Artikel:
» NITS: Malpensa
» THE NITS: Doing The Dishes

Themenbezogene Newsmeldungen:
» Neue NITS-Single zum Download
» Neues Album von THE NITS plus Tour
» NITS mit Spontanterminen

Anzeige:
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
Link-Code zu diesem Artikel:
Wöchentliche Artikelübersicht per Mail
Werde NONPOP- Redakteur...
» Diesen Artikel bewerten
» Kommentar zum Artikel verfassen
Zusammenfassung
Eine düstere Vergangenheit wird hier in ganz leisen, feinen Anklängen hörbar. Filigrane, zerbrechliche Kunst-Stücke sind eingebettet in ein Gesamtarrangement. Auch das Live-Feeling früherer NITS-Alben stellt sich wieder ein, als ob die Band zu Dir ganz persönlich in Deinem Wohnzimmer spielt.

Inhalt
01. Yellow Socks & Angst (4:37)
02. Flowershop Forget-Me-Not (4:06)
03. Radio Orange (5:44)
04. Lits-Jumeaux (4:29)
05. Two Sisters (5:34)
06. Pockets Of Rain (4:40)
07. Along A German River (5:09)
08. Cow With Spleen (4:37)
09. Breitner On A Kreidler (3:42)
10. Zündapp Nach Oberheim (3:55)

~ 47 min.
NONPOP RADIO
Nonpop Radio starten:

Hier Popup
Ebay- Angebote zum Thema:
Nits