IONOPHORE – nicht zu verwechseln mit dem
LOKI-affinen deutschen Dark-Ambient-Projekt
IONOSPHERE – ist eine relativ neue und bislang weitgehend unbekannte Band, was angesichts einer einzigen, auf 50 Stück limitierten
Tape-Veröffentlichung im Jahr 2014 auch wenig erstaunlich ist. Im Vergleich wohl "prominenteste" Protagonistin des Trios ist die in San Francisco beheimatete Musikerin
LEILA ABDUL-RAUF, die bislang zwar überwiegend im Rock-Sektor – u.a. bei AMBER ASYLUM sowie federführend bei den Death-Metal-Kapellen SAROS und VASTUM – tätig war, dabei jedoch immer auch ein gewisses Faible für die Transzendierung, Ausweitung und/oder Neutralisierung von Genregrenzen aufwies und qua Auswahl von Kollaboranten wie BASTARD NOISE oder TOR LUNDVALL nachdrücklich dokumentierte. Unterstützt wird sie bei
IONOPHORE durch ihre beiden Mitstreiter JAN HENDRICH und RYAN HONAKER, die überwiegend für die instrumentale bzw. technische Umsetzung verantwortlich zeichnen, während ABDUL-RAUF sich auf die Vocals sowie die Bedienung diverser Blasinstrumente fokussiert. Spätestens jetzt dürfte dem geschätzten Leser dämmern, dass das vorliegende Stück Musik mit Rock im allgemeinen und Death Metal im besonderen selbstverständlich rein gar nichts zu tun hat, sondern den Beweis liefert, dass die Dame kategorielle Zwänge beherzt hinter sich gelassen hat und mit Emphase in unterschiedlichsten stilistischen Gärten wildert.
Das wiederum tut sie ziemlich versiert und im Ergebnis gelungen, an dieser Stelle soll uns jedoch erst einmal die konkrete Beschaffenheit der musikalischen Landschaft interessieren, in die
"Sinter Pools" den Hörer zum Spaziergang einlädt. Ebensowenig übrigens, wie diese Landschaft derjenigen entspricht, in der ABDUL RAUFs musikalische Sozialisation erfolgte, ebensowenig ist sie typisch für Produkte aus dem Hause
MALIGNANT – weshalb das Album wahrscheinlich auf das Sublabel
MALIGNANT ANTIBODY verlagert wurde, das weniger der labeltypischen US-Noise- und Death-Industrial-Sparte, sondern eher dem frickelig-experimentellen Segment fröhnt; hier hat ABDUL-RAUF im vergangenen Jahr bereits das Soloalbum
"Insomnia" veröffentlicht. Der Promotext zu "Sinter Pools" beschreibt eine Mixtur aus
"dark electronics and neoclassical soundscapes with heavy drones", in der Summe einen
"entrancing original sound, combining cinematic tones with beat-driven, ethereal ambience" – und diese Charakterisierung greift keineswegs fehl. Insbesondere das Ethereal-Moment wird durch jenen feenhaft-weirden Singsang enorm befördert, der durch das gesamte Album geistert und den Autor einmal mehr dazu verleitet, sein diesbezügliches Lieblingsreferenzobjekt aus dem Hut zu ziehen: Aber, mal ernsthaft, um den Vergleich mit ELIZABETH FRAZER von den COCTEAU TWINS kommt man angesichts
dieser Stimme nun auch beim allerbesten Willen nicht herum. Wobei hier dezidiert die COCTEAU TWINS der späten 80er- und frühen 90er-Jahre in all ihrer entrückten, verzuckert-märchenhaften Süßlichkeit gemeint sind, für die FRAZERs Stimme ja von entscheidender Bedeutung war. Doch auch über diesen sich brutalstmöglich aufdrängenden Tatbestand hinaus finden sich Elemente, die den Vintagefaktor nach oben treiben: Neben diversen Trompeteneinlagen, die frappant an die klassische TG-Tröte erinnern, generieren diverse Melodiebögen, Bassläufe und Beatsequenzen eine nostalgische, post-punkig-gothesk anmutende Atmosphäre, während dieses ganz spezielle Pathos, das man auf dem Album durchaus virtuos zelebriert, den Verfasser dieser Zeilen bisweilen gar an DEAD CAN DANCE (sic!) denken ließ, es mag dies aber auch ein abwegiger, rein subjektiver Eindruck sein. Nichtsdestoweniger ist in solchen Momenten meist jene Schmerzgrenze bedrohlich nahe, die "Sinter Pools" vom allzu überfrachteten, schwülstigen Darkwave-Elektro-Schmonzettentum abgrenzt. Was sie tut, wenn in wenigen Ausnahmefällen auch leichte, doch zu verschmerzende Übersprünge zu verzeichnen sind. Ansonsten weist der Sound eine recht solide Schnittmenge zum Dark Ambient sowie hin und wieder auch verhalten noisige Einsprängsel auf, insgesamt kann er im wohlwollenden Sinne als eingängig bezeichnet werden.
Geht man näher ins Detail, so eröffnet sich ein abwechslungsreiches, vielschichtiges, durchaus unterhaltsames und in Teilen subtil poppiges Album, dessen Stärken und Schwächen, wie bereits angedeutet, bisweilen jedoch eng beieinanderliegen: Halten sich in den beiden ersten Tracks,
"Sinter Pools" und
"Infantman", dark-ambient-typische Tiefe und dronige Monotonie mit ABDUL-RAUFS filigranen Vokalgespinsten nebst wohldosierter Prisen dark-waviger Poppigkeit noch die Waage, so droht das Ganze mit
"Unchecked" dann doch ins allzu Gefällige zu kippen – alles in allem kriegt man die Kurve zwar noch knapp, doch kommt das Stück einfach zu pompös und überladen daher, so dass ein fader Nachgeschmack bleibt. Und so sind es die vergleichsweise reduzierten Tracks, die am meisten zu überzeugen wissen:
"Post" und
"Sequester" enthalten sich weitgehend des schmückenden Firlefanzes, sind stark drone-orientiert und wissen durch die effektvoll eingesetzten Horn-Sequenzen zu bestricken – insbesondere "Sequester" erinnert in dieser Hinsicht wohltuend an die kontemplativen Drone-Epen des Tuba-Virtuosen
TOM HEASLEY –, um mit eingewobenen ätherischen Gesangspassagen sowie einem relativ spät einsetzenden Beat schließlich eine erstaunliche Sogwirkung zu entfalten. Nicht zuletzt ist noch der Track
"12 Minutes" einer expliziten Erwähnung wert, der es mit seinem, an PRODIGY (sic!) erinnernden Grundthema in Kombination mit stetig an- und abschwellenden Bläserpassagen nebst verhaltenen Rhythmussequenzen schafft, Erwartungshaltungen seitens des Hörers immer wieder aufs Neue anzuregen, um sie ebenso konsequent zu unterlaufen, und so auf raffinierte Art und Weise den Spannungsbogen hält, ohne der Gefahr des Abgleitens in seichtere Gewässer zu erliegen.
Summa summarum ist "Sinter Pools" nicht unbedingt etwas für den Freund des "klassischen"
MALIGNANT-Sujets, da bei weitem nicht so finster, knarzig, harsch, amorph und tiefgelegt wie dort usus, für den Connaisseur des "etwas anderen" Sounds hingegen, wie man ihn mangels passenderer Begrifflichkeiten wohl am ehesten unter der semantischen Null-Kategorie "Post Industrial" zu subsumieren gewohnt ist – was hier durchaus Komplimentcharakter hat, weil es jener sperrigen Ungreifbarkeit Rechnung trägt, die konstitutiv für den künstlerischen Charme und die musikalische Tiefe des Albums sind –; für den Liebhaber dergestalt stil- und genreübergreifender musikalischer Exkursionen ist das vorliegende Album jedenfalls definitiv die Inohrenscheinnahme wert, ja: sie ist ihm sogar anzuraten. Und dem, der obendrein auch noch ein Faible für 80er-Vintage, Post-Punk-Einflüsse, Ethereal und Gothicaffinitäten mitbringt, sowieso. Nicht minder kommt der Freund von Dark Ambient und martialischem Pathos auf seine Kosten. Post Industrial im besten Sinne des Wortes eben. Kurzum: Man sollte
IONOPHORE fürderhin auf dem Zettel haben. – Die letzte Einsicht, die den Rezensenten kurz vor Abschluss dieses Artikels sowie nach dem drölfzigsten Durchlauf von "Sinter Pools" spontan überkam, soll an seinem Ende stehen und es ist diese: Das Ding wird einfach nicht langweilig. Im Gegenteil. Der Rezensent ist angetan.