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JÜRGEN PLOOG: Tapes Von Unterwegs
1971-1976
Kategorie: Rezension
Erstellt: 05.12.2015
Wörter: 713
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Der Interzonenpilot und literarische Cut-Up-Pionier JÜRGEN PLOOG war Anfang bis Mitte der 1970er Jahre mit einem portablen Kassetten-Recorder unterwegs und nahm damit auf, was ihm vor das Mikro kam. Er nahm seine eigene Stimme und die Stimmen anderer auf. Er nahm in Hotelzimmern, im Flugzeug, in Räumen, aber auch draußen, auf Straßen und auf Plätzen auf. Ja, der Raumagent PLOOG schien schon früh, d.h. früher seine Sinne auf alles Mögliche gerichtet zu haben. Grad auch in der Fremde, die von Berufs wegen für PLOOG so etwas wie ein anderes Zuhause war. Und in diesem stöberte er. Er ging auf Reisen. Nur machte er seine Entdeckungstouren nie als Tourist. So jemand ist nämlich lediglich körperlich unterwegs. So jemand kommt gedanklich von da, wo er hergekommen ist, niemals weg. Nein. PLOOG war und ist ein Reisender – er ist mit dem Kopf unterwegs ... Um PLOOG herum gab es damals auch noch andere seines Kaliebers, jene, deren Namen ebenfalls mit der Literatur im Wortsinn verbunden waren und sind. Da war z.B. JÖRG FAUSER. Er war neben PLOOG und CARL WEISSNER eine der Stützen der 1971 erstmalig herausgegebenen Zeitschrift „Gasoline 23“. Da waren die US-amerikanischen Beat-Literaten wie ALLEN GINSBERG oder WILLIAM S. BORROUGHS. Und da war auch – als Freund im Geiste – ROLF DIETER BRINKMANN. Sie alle waren durch das Im-Schreiben-Leben miteinander verbunden. Integer nennt man das. Oder – wie man noch sagt – authentisch. Ja, ein solches Leben sprengt das Zeitliche weg. Anders ausgedrückt, innerhalb der Beschränkung des Lebens im Schreiben ist Platz, d.h. Raum, um sich frei zu entfalten. Und das Entfalten reicht über die Zeit des aktiven Wirkens hinaus. Es ist ein Aus-Leben. Wir kennen dieses Phänomen vielleicht noch aus den frühen 1980er Jahren als die „Genialen Dilettanten“ im eingemauerten West-Berlin als Affront zum rundherum bestehenden, konventionellen Musikgeschehen auftauchten. Auch sie sind bis heute noch wirksam. Solche Leute sind wichtig – nur leider zu oft übersehen, d.h. als unhör- oder unlesbar bezeichnet. Doch, nun, ihre Arbeit ist von Bestand. Sie waren und sind relevant – anders als jene, die ob ihrer unterhaltsamen Art hochgelobt werden, die man in einigen Jahren aber schon in den preisgesenkten Grabbelkisten der übergroßen Buchhandlungen für zwei Euro in den Einkaufskorb legen oder auf ein E-Book laden kann, um sie zu vergessen ...
Was nun die als LP herausgegebenen Tape-Mitschnitte betrifft, werden wir auf eine Reise, die aus vielen besteht, mitgenommen. Das Material wurde im Zeitraum von 1971-1976 von PLOOG aufgenommen und editiert. Die endgültige Auswahl traf ROBERT SCHALINSKI. Dieses Konvolut montierte eben dieser im Anschluss. Und das Resultat ist dann etwas, das Dokument genannt werden kann. Doch eins, das nicht starr sondern sehr beweglich, gar veränderlich ist. Da sind hier und da Vögel, Stadtgeräusche, Stimmen, Gespräche, das Zappen durch die Fernsehsender, Telefone, Tempelgesänge, eine Geige, Türknarren, Motoren, ja selbst eine Ansage von PLOOG als Kapitän, der seinen Fluggästen und nun auch uns mitteilt, dass wir nach Frankfurt über Delhi und Rom unterwegs sind ... Das hat dann – abgesehen von der mikrotonalen Viertelton-Rhythmik, die dann und wann erklingt – selbstverständlich nicht allzu viel mit Musik zu tun. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Doch kann bekanntermaßen so unglaublich viel auch Musik sein. Davon aber einmal abgesehen, also, dass schon ein Motorengeräusch und eine dazu rhythmisch passend sprechende Stimme als Musik bezeichnet werden kann, sind die "Tapes Von Unterwegs" eben auch als Zusatz zu verstehen, als Supplement zu den Texten von JÜRGEN PLOOG. Und die sind beliebig großartig! Ja, in Zeiten des partiellen Verstandesausfalls grad auch einiger Kritiker, die Leute zu Festivals wie den Bachmann-Preis einladen, die mit ihren Texten selbst bei den hartgesottensten Poetry-Slam-Besuchern Kopfschütteln verursachen, kann man froh sein, dass es ihn und einige wenige Andere gibt, die auf keiner dieser Schreibschulen waren, in der vielleicht noch das Wie, jedoch nicht das Warum gelehrt wird, weil eben jene, die diese betreiben, selbst niemals wussten, was Literatur überhaupt sein soll ... Zur Kultur gehört nun mal vor allem auch das, was sich in Kellern, auf Dachböden, in Fliegern, auf Straßen und in den Köpfen, an unscharfen Rändern aufhält – also nicht das, was nur dann als wertvoll gilt, wenn es neben dem Buch, auch erfolgreich als Film und schließlich als unsägliches Musical verunstaltet wurde ... Das aber ist lediglich meine persönliche Meinung ... Hört und lest PLOOG!
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