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Michael We.

GEORG KREISLER: Das Klavierwerk

Tauben vergiften geht auch (fast) ohne Text...


GEORG KREISLER: Das Klavierwerk
Genre: Klassik
Verlag: Wergo
Erscheinungsdatum:
Juni 2015
Medium: CD
Preis: ~18,00 €
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"Tauben Vergiften Im Park"  kennt wohl jeder, wenn auch nur durch eine der tausend meist grottigen Coverversionen, die inzwischen existieren. Das Original stammt von einem der begabtesten Künstler des vergangenen Jahrhunderts, vom gebürtigen Österreicher GEORG KREISLER. Viele seiner ironischen, bisweilen zynischen Lieder sind längst Gassenhauer, neben dem oben genannten etwa "Zwei Alte Tanten Tanzen Tango", "Das Mädchen Mit Den Drei Blauen Augen" oder "Der Musikkritiker". Dass der Unterhalter, der sich zeitlebens gegen die Bezeichnung 'Kabarettist' wehrte, keine klassische Laufbahn einschlug, ist nur einer abgelehnten Bewerbung geschuldet. Im Alter von 17 Jahren verweigerte ihm die University Of Southern California – wo er sich von ARNOLD SCHÖNBERG unterrichten lassen wollte – wegen seines fehlenden Abiturs die Aufnahme. KREISLER schrieb im Laufe seiner fortan turbulenten Karriere dennoch einige klassische Stücke, die bislang weitgehend unbeachtet blieben. Die US-Pianistin SHERRI JONES bekam einen entsprechenden Tipp und fand die Noten tatsächlich in KREISLERs Nachlass. Zwischen 2009 und 2012 führte sie die Stücke auf und spielte sie für "GEORG KREISLER - Das Klavierwerk" auf WERGO im vergangenen Jahr im Studio ein.

1955 entstanden die "Fünf Bagatellen" (01 - 05). Prägnant, manchmal spaßig bis ironisch, bestehen sie immer wieder aus wirbelnden Klavierläufen mit vielen Tempo- und Lautstärkewechsel, oft auch mit dramatischem Unterton. Nachdenkliche Passagen erinnern mich an schiefe Walzer, bei denen die Tänzer gegen die Bande rumpeln. Die aufwühlenden, hämmernden Abschnitte gleichen schwirrenden Insekten. Auch für Melancholie ist Platz. KREISLER erzählt Geschichten – und unterscheidet sich insofern mit der Klaviermusik gar nicht so sehr von seinen Liedern –, er benutzt die Töne des Klaviers als Sprache. Die Sonate (06 - 08) komponierte er drei Jahre zuvor, 1952, sehr modern in der Anmutung. Der erste Satz bauscht sich wellenförmig auf, erzählt in verschiedenen Abschnitten mit mächtigen Akkorden dazwischen. In der Mitte, im zweiten Satz, erfolgt ein Bruch: romantisch-kitschige Kaffeehausatmo, ein erkennbar parodistischer Tanz im Kontrast zum schweren Auftakt. Im dritten Satz würde man heute wohl 'Loops' konstatieren; ein Thema in verschiedenen Varianten wiederholt, immer wieder unterbrochen, anders dargeboten.
Die "Fünf Lieder Für Barbara" (09 - 13), eine Hommage an seine Ehefrau, stellte KREISLER erst 2011 fertig. Mit Klavier, Geige und Gesang erinnern sie mich sehr an deutsche Kunstlieder – mit KREISLER-Lyrik. Die Fließtexte nahezu ohne Reime wirken surrealistisch, dazu passt der nahezu übertriebene, opereske Ausdruck beim Gesang. (..."auch das Reh blickte mir dann ins Gesicht. Es kam näher – noch näher. Dann merkte es: Ich war kein Reh"...). Den Abschluss bilden die ältesten Kompositionen, entstanden rund um 1947. Die "Drei Klavierstücke" (14 - 16) sind schwelgerisch, melodisch, zum Ende hin melancholisch und insgesamt sehr versöhnlich.

Bilder zu kreieren gelang dem 2011 verstorbenen GEORG KREISLER offenbar auch ohne Text. Die Stücke erzählen – zumindest mir – verschiedene Geschichten, die fünf Lieder mit Texten natürlich sowieso. In ihrer Ausdrucksweise oft expressionistisch und herb, lassen sie häufig die Spitzbübigkeit und Ironie durchblicken, die den Komponisten und Musiker so sehr auszeichneten. Der muffige Walzer etwa in der Mitte der Sonate muss einfach als Spitze gegen die Wiener Gesellschaft gedacht gewesen sein und lässt vermutlich KREISLERs schwieriges Verhältnis zu seinem Geburtsland Österreich durchblicken. Eine tolle Entdeckung, sehr emotional und überzeugend dargeboten.

 
Michael We. für nonpop.de


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Zusammenfassung
Bislang unbekannte klassische Stücke von GEORG KREISLER. Expressionistisch und herb, lassen sie dennoch häufig die Spitzbübigkeit und Ironie durchblicken, die den Komponisten und Musiker so sehr auszeichneten. Eine tolle Entdeckung, sehr emotional und überzeugend dargeboten.

Inhalt
01-05: Fünf Bagatellen (11:47)
06-08: Sonate Für Klavier (21:28)
09-13: Fünf Lieder Für Barbara (8:25)
14-16: Drei Klavierstücke (9:36)

~ 52 min.
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