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Endsal

BENOÎT PIOULARD: Sonnet

Musik, zum Sterben schön ...


BENOÎT PIOULARD: Sonnet
Genre: Ambient
Verlag: Kranky
Vertrieb: Kranky
Erscheinungsdatum:
30. März 2015
Medium: CD / LP
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Eine Platte wie ein Frühlingsregen, ist man glückstrunken versucht zu sagen, die uns das Chicagoer KRANKY-Label da serviert, und ja: Man kommt schlechterdings nicht umhin, dergleichen blumige Worte zu benutzen, wenn man sich "Sonnet" begrifflich zu nähern versucht, denn es handelt sich ohne Zweifel um ein beispiellos verträumtes Stück Musik, das der US-amerikanische (nein, kein Franzose, im richtigen Leben hört der Mann auf den deutlich prosaischeren Namen THOMAS MELUCH) Musiker und Fotograf BENOÎT PIOULARD da auf sein Publikum losgelassen hat. Im Gegensatz zum Vorgänger "Hymnal", der in weiten Strecken deutlich mehr Songstrukturen aufwies und streckenweise gar folkige Tendenzen entfaltete, kommt das aktuelle, fünfte Album nahezu ohne Vocals aus und ist demgemäß im Gegensatz zu jenem auch ohne Wenn und Aber im Ambientsektor verortet. Und um eins unmissverständlich klarzustellen: Nein, hier ist ganz sicher nicht von Dark Ambient die Rede, sondern von seinem größtmöglichen Gegensatz: Luftigeres und Lichtdurchfluteteres kann man sich in Sachen Sound wohl schwerlich vorstellen, jedoch, um auch dies gleich zu betonen: BENOÎT PIOULARD gelingt das Kunststück, inmitten eines Ozeans von Harmonie, Anmut und Schönheit den schalen Bereich des Kitsches mit sicherer Hand weiträumig zu umschiffen.

Die meisten Stücke haben eine ausgeprägt dronige, durch diverse Field Recordings unterfütterte, Grundstruktur, um die herum sich auf unterschiedliche Weise und in durchaus unterschiedlichem Umfang weitere Klangpatterns aufbauen, ineinander verfließen und dergestalt atmosphärisch flirrende Soundscapes generieren, die nicht selten an die frühe bis mittlere Phase von BOARDS OF CANADA erinnern. Inmitten all dieser wohlig-warmen, mal von Regen- oder Meeresrauschen, mal von leisen Straßengeräuschen unterlegten Drones mit ihren sanft verhallenden Flächen, über die fragile Gitarrenpickings huschen, findet sich dann allerdings auch ein Track wie "A Shade Of Celadon", dessen verwischt-verrauschter, dezent psychedelischer Gesang an irgend etwas zwischen PINK FLOYD und AIR denken lässt. Das Stück "Upon The Break Arch" schließt an eine etwas öde Harmoniumfuge an, deren Struktur es zwar übernimmt, das Staubig-Nostalgische, das schon deren Titel, "So Etched In Memory", atmet, jedoch abstreift und durch die kontinuierlich komplexer werdende Anreicherung des themagebenden, an- und abschwellenden Grunddrones mit unterschiedlichsten Sounds bis hin zu Melodiefragmenten eine derart traumhafte, dichte und gleichzeitig luftige Atmosphäre generiert, dass dem andächtig schwelgenden Hörer vor lauter frei flottierender positiver Vibrationen schon mal die Luft wegbleiben kann.


Ja, lieber Leser, scheuen wir uns nicht, die unironische Wahrheit auszusprechen: Dies ist musikalische Poesie im idealen Sinne. Musik, zu der man sterben will. [Anm.: Ich kann selbst nicht glauben, dass ich das gerade geschrieben habe.] Einer expliziten Erwähnung wert ist auch der vorletzte Track, "The Very Edge Of Its Flame", der abermals mit einer, an BOARDS OF CANADA erinnernden Gitarre einsetzt, die sich silbrig flirrend über den klanglichen Horizont verteilt, um sich schließlich in einer glitzernd perlenden Klangkaskade zu verlieren. Die CD schließt mit einer letzten, erstaunlichen stilistischen Volte, denn "And Relent" weckt mit seinen tribalesken, archaisch tönenden Bläsersounds doch glatt Reminiszenzen an ZOVIET-FRANCE oder RAPOON. Man sieht: Abgesehen von der ganz grundsätzlich außerordentlich hohen Qualität des Albums wussten den Rezensenten insbesondere die außerordentliche Vielschichtigkeit und der Facettenreichtum der einzelnen Stücke sowie die stilistische Fingerfertigkeit des 30-jährigen, seit 2005 musikalisch aktiven BENOÎT PIOULARD zu überzeugen.

Kurzum: Ein Füllhorn an Wohlklang, geeignet ganz generell zum Entspannen, als Hintergrund zum Lesen sowie zu allen möglichen, mehr oder weniger meditativen Tätigkeiten bis hin zu psychonautischen Sitzungen – mit "Sonnet" hat man jedenfalls die absolute Gewissheit, dass eventuell aufkommende schlechte Laune mit allem möglichen, aber ganz sicher nicht mit der Musik zusammenhängt. Die auf dem Album zum Einsatz kommende Instrumentierung umfasst von flächigen Sphärensounds über traumhaft verwaschene Gitarrenpickings, Pianoklänge und Glockenspiele bis hin zu Percussionfragmenten so ziemlich alles, womit sich musikalische Traumlandschaften konstruieren lassen. Elementarer Bestandteil des vorliegenden Albums sind insbesondere die bereits angesprochenen, zahlreichen Field Recordings, die die Grundstimmung der Tracks maßgeblich mitbestimmen. In diesem Zusammenhang äußert sich BENOÎT PIOULARD auf der KRANKY-Homepage wie folgt: "The basis of the album was a series of field recordings of tones and unintentional harmonies that I made in the summer & fall of 2013 - whistling industrial air conditioners, bird songs, locust drones, washing machines - that I mimicked or interpreted on the guitar, making loops that developed into fuller compositions.“ Der explizite Hinweis am Schluss, "Sonnet" verzichte komplett auf digitale Sounds und basiere ausschließlich auf analoger Bearbeitung, erscheint angesichts der organischen Gesamtstruktur des Albums und der tiefen Harmonie, die hier zelebriert wird, beinahe überflüssig.

"Sonnet" ist nichts weniger als ein außerordentliches, meilenweit aus dem drögen Einheitsbrei gängiger Ambientveröffentlichungen herausragendes Album, das nicht zuletzt deutlich macht, dass KRANKY die Nase, wenn's um wirkliche Substanz, Eigenständigkeit und höchste Qualität im Bereich Downtempo, Drone und Ambient geht, nach wie vor verdammt weit vorne hat. Wem also – wie dem Autor dieser Zeilen bis vor kurzem nicht minder – der Name BENOÎT PIOULARD bislang kein nennenswerter Begriff gewesen sein sollte, der bekommt hiermit die dringliche Dienstanweisung, diesen Missstand unverzüglich zu beheben, denn andernfalls entginge ihm mit "Sonnet" ein wahres Kronjuwel. Und das wäre dann wirklich unverzeihlich – aber nicht des Rezensenten Schuld.


 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» BENOÎT PIOULARD-Homepage
» BENOÎT PIOULARD @ facebook
» BENOÎT PIOULARD @ bandcamp
» BENOÎT PIOULARD @ SoundCloud
» BENOÎT PIOULARD @ discogs
» KRANKY RECORDS-Homepage
» Sonnet @ bandcamp


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Zusammenfassung
Außergewöhnlich vielschichtiges & facettenreiches Ambientalbum, das eine ebenso filigrane wie fragile Harmonie entfaltet, ohne sich in die Gefilde des Kitsches zu verirren. Musikalische Poesie im besten Sinne: tief entspannt, atmosphärisch luftig und von beeindruckender Schönheit.

Inhalt
01: With No Advantage
02: The Gilded Fear That Guides The Flow
03: Of Everything That Rhymes
04: Is In Its Clearest Form
05: An Image Apart From Ourselves
06: Whose Palms Create
07: As Would A Weaver
08: A Shade Of Celadon
09: So Etched In Memory
10: Upon The Break Arch
11: That Wounded Weathered
12: Shut-Ins On Sunday See
13: The Very Edge Of Its Flame
14: And Relent
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