WOW! … Wow. … Und dann bitte erstmal eine Runde andächtig schweigen. … – Was für ein un-glaub-liches Brett!
"Unpunished", die Debüt-CD des Londoner PE-Projektes
AM NOT, hat, um gar nicht erst lange um den heißen Brei herumzureden, jetzt schon das Zeug zur PE-Veröffentlichung des Jahres 2015. Die Messlatte für die Konkurrenz wird mit dieser Veröffentlichung jedenfalls unverhältnismäßig hoch gelegt und man fragt sich ernsthaft: Wie, bitteschön, soll
das getoppt werden? Solch gerüttelt' und geschüttelt' Maß an radikaler, kompromiss- und erbarmungsloser Gewalt in musikalischer wie konzeptueller Hinsicht hat man jedenfalls schon lange nicht mehr in Form eines Tonträgers um die Ohren gekloppt bekommen.
Dem Rezensenten waren AM NOT bis vor knapp vier Wochen übrigens praktisch kein Begriff. Was nicht unbedingt ehrenrührig scheint, denn außer mit einigen Split- bzw. Samplerbeiträgen sowie dem 2012 in einer Auflage von 100 Stück bei
UNREST erschienenen Tape
"First Morbid Vibrations" ist das Projekt bislang noch nicht nennenswert öffentlich in Erscheinung getreten. Überhaupt sind die Ergebnisse einer Netzrecherche hinsichtlich AM NOT bemerkenswert übersichtlich: Genuin im Dunstkreis von SHIFT, S.T.A.B. ELECTRONICS & Co. sowie ganz generell innerhalb der
UNREST-Posse verortet, unterhält man bislang lediglich eine relativ einsilbige
facebook-Seite, über die man Videoclips und Bilder unters Volk verteilt, das war's dann allerdings schon. Auch auf der
UNREST-Homepage hält man sich in puncto Hintergrundinfos betont bedeckt und so ist wohl davon auszugehen, dass dieses nahezu vollständige Verschwinden des Künstlers hinter dem Werk konstitutiver Bestandteil des Gesamtkonzeptes ist und als solches signalisieren soll: Hier stehen ausschließlich Werk und (insbesondere!) Botschaft im Zentrum. Oder, pragmatischer und nüchterner formuliert (was wohl im Sinne des Künstlers sein dürfte): Hier geht's ums Produkt, nicht um den Produzenten. Und das Produkt hat's – aber hoppla! –
wirklich in sich.
Die Aufmerksamkeit des Rezensenten wurde durch einen Tipp im besagten sozialen Netzwerk geweckt, was zum einen das Unterhalten eines Accounts dortselbst erfreulicherweise mal wieder temporär rechtfertigt, zum anderen freilich auch einer gewissen programmatischen Selbstwidersprüchlichkeit nicht entbehrt, stellt man die Thematik von "Unpunished" in Rechnung. Das Video zu
"Dark Heart Katanga" machte jedenfalls die Runde – und dem Rezensenten blieb die Spucke weg ob der kontroversen, verstörenden und erfreulich uneindeutigen Visuals, kombiniert mit wuchtigem, druckvollem, brachialem und doch bestechend durchdacht strukturiertem PE-Sound: vergleichbare Intensität und, ja:
Distanzlosigkeit ist in den letzten Jahren leider zur Ausnahme geworden. Extrem noisige Passagen wechseln sich mit energetischen, streckenweise rhythmischen, rundum packenden Parts ab, die Vocals changieren zwischen zynisch-emotionsloser Kälte und hassigem Furor, das alles perfekt strukturiert und zusammengehalten von einem jederzeit wahrnehmbaren, konsequent durchgehaltenen Gesamtkonzept. Wie da und dort zu lesen ist, sieht man sich in der Tradition früher
EX.ORDER,
SÖLDNERGEIST et al., und angesichts des fokussierten Sujets sowie des dichten, kompromisslosen Sounds ergibt diese Charakterisierung durchaus Sinn. Ganz konkret sei als Vergleichswert an SÖLDNERGEISTs 1996er Opus Magnum
"Global Media Control" sowie EX.ORDERs
"The Infernal Age" und
"Broadcast 23" erinnert. Auch AM NOT arbeiten sich thematisch an einer – im Vergleich zu damals in der Entwicklung freilich unendlich weiter fortgeschrittenen – global vernetzten und immer unhintergehbarer kontrollierten Welt ab, die in einem allumfassenden, nihilistischen Sumpf aus Lüge, Terror und Zerstörung versinkt, während die Agitatoren dieses apokalyptischen Zersetzungsprozesses sich der Verantwortung ungestraft entziehen: "Unpunished" – Der Titel formuliert das Programm. AM NOT stellen die Diagnose. Auf Therapieangebote wird verzichtet – es gibt keine mehr:
"The truth is found only in the sinking of teeth, in the letting of blood, the tearing of skin", wie es in "Folie à deux" desillusioniert heißt.
Und auch, wenn die musikalischen und visuellen Emissionen von AM NOT ohne Zweifel keineswegs so plump und eindimensional aufzufassen sind, wie das die selbsternannten Gralshüter und Sturmabteilungen der so genannten "Politischen Korrektheit" mangels Kompetenz in differenzierter Betrachtung und ironischer Auffassungsgabe ohnehin tun werden, so statuiert man bandseitig durchaus bewusst, nachdrücklich und mit Emphase den Willen zum
Dissens. Der Rezipient
soll Anstoß nehmen, das Dargebotene
soll verstören – nichts anderes steht schließlich seit jeher auf der Agenda des PE-/Noise-Genres. "Unpunished" ruft diesen Umstand brutalstmöglich ins Bewusstsein zurück und pfeift ganz in diesem Sinne auf jedwede "kultursensible" oder sonstwie konsensuelle Kuscheligkeit, obgleich man nichtsdestoweniger Lichtjahre von primär ideologisch motiviertem, fanatisiertem Krachschlägertum à la
BRETHREN oder
DEATHKEY entfernt ist. Explizit und exemplarisch wird dieser Ansatz insbesondere im Track "The
Hate That Dare Not Speak Its Name" durchexerziert, der eine ebenso zornige wie fulminante Abrechnung mit dem gesellschaftlich oktroyierten "Newspeak" nach Maßgabe einer frei flottierenden "PC"-Doktrin ist:
"Some ideas are best unspoken, so out of sight and out of mind. Brand new speak for cleaner thinking. Better speak for neutered living. Push them to the furthest margins, dispossessed and in their place, castigate their pleb polemics, consign them to the past's mistakes." Hier werden keine Gefangenen gemacht. Die einzige "Therapie", die angesichts der im Mittelteil des Digipaks formulierten globalen Diagnose –
"Ignorance is their disease" – wohl angezeigt wäre, wird in Form von fünf, fein säuberlich nebeneinander drapierten Galgenschlingen mehr oder weniger dezent angedeutet.
So bleibt zum Schluss noch einmal apodiktisch festzuhalten: AM NOTs "Unpunished" ist nicht mehr und nicht weniger als a) von der ersten bis zur letzten Minute brillant, b) schlechthin eine Ausnahmeveröffentlichung und c) ein absolutes „Must-Have“ für jeden Freund des Genres. Harter, guter Stoff. Der Rest ist Schweigen. Punkt.