 |
  Wer bei Saxofon an stilvollen Clubjazz oder die ruhigen Töne des Altmeisters JAN GARBAREK denkt – der wird sich hier erschrecken. Die Herangehensweise für diese Aufnahmen ist eher wissenschaftlich, auslotend und forschend. Es geht nicht um Melodien, sondern um unterschiedliche Klänge des Instruments in verschiedenen Umgebungen.
"Enlarge Your Sax" ist der fünfte Teil einer Reihe des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Ziel ist es, grob gesagt, das Verhältnis, die Verbindung zwischen einem entsprechenden Instrument und diversen elektronischen Möglichkeiten zu testen. So wird in diesem Fall ein Saxofon aufgezeichnet, geloopt, vervielfältigt, sein Klang zerschnitten und zerstört. Dazu finden verschiedene elektronische Ansätze wie Zeitverzögerung, Aufzeichnung und Wiedergabe, Overdubs et cetera Anwendung. Der brasilianische Saxofonist PEDRO BITTENCOURT, der eine Musikprofessur an der Uni in Rio innehat, führt sieben Stücke von sieben zeitgenössischen Komponisten auf, die eigens für diesen Zweck entstanden sind. Wenn ich das richtig deute, tauchen in "Medusa De Lumbre" (01) zunächst einzelne, abgehackte Sounds auf, die nach Schlagzeug und Bass klingen, dann seltsame, quietschende Saxofongeräusche. Sehr experimentell entlockt BITTENCOURT dem Instrument Töne, die ich so noch nicht gehört habe. Mit den langen Pausen dazwischen ergibt sich ein improvisiert wirkendes 'Wabern', intensiv, aber ohne herkömmliche Melodie. Lediglich einige Fetzen wirken (free)jazzig, der Rest eher wie ein Zwiegespräch aus Saxofon und anderen, haspelnden Elementen. Ziemlich ... abgefahren und mit zunehmender Dichte je länger das Stück dauert. "Modes Of Interference No. 2" (02) ist ein dickerer, behutsamer Teppich aus Sounds, die mich an Geräusche von Waldtieren erinnern; ein Gurren und Flirren, aus dem das Saxofon nicht ohne Weiteres erkennbar ist, das eher wie Atmen denn wie Musik klingt, allerdings höchst organisch und räumlich! Unruhiger Ambient zum Anfassen. Über melodiöseres Zwitschern und Tröten, längere und ruhige Drones oder Triller gelangen die Stücke sogar hin zu menschlichen Schreien und, wie in "Três Peças Do Livro Da Escuridão" (06), Samples mit Menschenstimmen. Der Schlusstrack bietet dann einzelne, ruhigere, auf- und absteigende Sounds, unterlegt von großflächigem, maschinellem Schaben. Zwischendurch erinnert mich "Enlarge Your Sax" ein wenig an das neue Album von KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF (Besprechung), ist allerdings noch sehr viel kruder, experimenteller. Die moderne Präsentation eines Instruments in Kombination mit elektronischen Umgebungen, mit sehr viel Räumlichkeit und äußerst lebendig. Wie so oft bei Neuer Musik packt mich das Ergebnis eher intellektuell als emotional, aber das ist keine Überraschung – interessant ist das Album allemal!
Michael We. für nonpop.de
Anzeige:
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
|
Zusammenfassung
Erinnert ein wenig an KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF, ist allerdings noch sehr viel kruder und experimenteller. Die moderne Präsentation eines Instruments in Kombination mit Elektronik, mit sehr viel Räumlichkeit und äußerst lebendig. Wirkt eher intellektuell als emotional, ist aber allemal interessant!
Inhalt
01. Medusa De Lumbre (2006)
02. Modes Of Interference No. 2 (2006) 03. Stratifications (2010) 04. The Well-Tempered Patch II (2012) 05. True Story (2009) 06. Três Peças Do Livro Da Escuridão (2007) 07. Plexus (2009) ~ 58 min. |
