ZEITKRATZER/ WHITEHOUSE

Wer kennt ihn nicht? WILLIAM BENNETT alias WHITEHOUSE. Wer kann sich nicht an die „USA-Serie“, an „Buchenwald“, „Erector“ und die vielen „Live-Actions“, an den Lärm und die Worte des Titels „Daddo“ erinnern, die auf „Mummy And Daddy“ zu hören sind – und nun auch auf dem neuen ZEITKRATZER-Album, das sich dieser Industrial-Legende widmet:

„You'll never look this good again. 

You'll never be younger than this“.

Benannt nach der sozial-liberalen MARY WHITEHOUSE, die von 1965-1994 Präsidentin der „National Viewers' and Listeners' Association“ (heut Mediawatch-uk) war und sich über diese Organisation gegen die mediale Ausstrahlung von Gewalt, abnormer Sexualpraktik ect. einsetzte, gründete sich WHITEHOUSE 1980 – neben THROBBING GRISTLE und SPK wohl eine der einflussreichsten Industrial-Acts. Schnell erspielten sie sich einen Status, der ihrer unkonventionellen Herangehensweise aber vor allem ihrer Kompromisslosigkeit geschuldet war. Da wurden in den Texten Tabus gebrochen. Es wurde von Massenmördern, Pädophilen usw. erzählt. Und dann dieser Krach ... Für viele war das zu viel. Zensur als zusätzlicher Ausschluss aus dem Kanon dessen, was als Musik bezeichnet wird, folgte. Doch das kann eben auch als Bestätigung der Weiterbeschäftigung verstanden werden, als Notwendigkeit etwas gegen all jene zu setzen, die glauben sie wüssten, was Kunst darf und was nicht.
Sicher wurde WHITEHOUSE gerade auch deshalb zu dem, was heute so inflationär mit dem Wort Kult bezeichnet wird. Doch über diese moralisierenden Ansichten hinaus gelten BENNETT und seine (früheren) Mitstreiter (allen voran PHILIP BEST) ja auch noch als die Erfinder des Genres „Power Electronics“ – ein Begriff, den BENNETT auf den Album „Psychopathia Sexualis“ selbst prägte ...

ZEITKRATZER nun webt aus elektronischem Lärm bzw. der WHITEHOUSE-Prämisse Bass und Höchstfrequenzquietschen in krachende Noise-Texturen zu binden, ein mit klassischen Instrumenten gespieltes Kettenhemd. Und das sieht dem Original auf erstaunliche Weise sehr ähnlich, d.h. es klingt schwer danach. Geschlagene Bass-Saiten des Klaviers oder subharmonische Töne der Blechblasinstrumente, Fiepen, quietschende Streicher, brummende Hörner, dronige Trompeten und Klarinetten. Dazu tief schwingende Pauken – ein Bass, der unter die Haut geht. Vieles am Spiel des Ensembles um REINHOLD FRIEDL erinnert an das Original. Und doch hören wir ihre eigene Note.
Im Ansatz ähnlich der Idee von BRANDT BRAUER FRICK – nur eben seitenverkehrt, d.h. als Interpretation vorhandenen Materials und nicht eines Stils. Der Variantenreichtum scheint dabei mit dem Output von ZEIKRATZER einherzugehen. Musikalisch höchst unterschiedliche Ansätze sind und waren von ihnen bisher schon zu hören: LOU REED, KEIJI HAINO, CARSTEN NIKOLAI, K.H. STOCKHAUSEN, JOHN CAGE ... und nun eben auch WHITEHOUSE.
Eine ausgesprochen wuchtige Arbeit, die vielen zwar noch immer eher als Lärm gilt denn als Musik, jedoch viel mehr ist als das. ZEITKRATZER beweisen es überaus eindrucksvoll.

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