Michael We.
ADRIANA HÖLSZKY: Wie ein gläsernes Meer...mit Feuer gemischt. Apokalyptisches an der Orgel.ADRIANA HÖLSZKY ist, wie man so sagt, momentan dick im Geschäft. Die gebürtige Ungarin, längst in Stuttgart beheimatet, füllt mit ihren Kompositionen für Oper, Musiktheater und Ballett in den vergangenen Jahren sowohl Säle als auch die Feuilletons. Dass sie dabei nach wie vor offenbar mitten im Leben steht, ist ein großes Kompliment, denn das gilt aus meiner ganz persönlichen Sicht beileibe nicht für alle Vertreter der so genannten Neuen Musik. Unterhaltsam zu lesen sind deshalb Interviews mit ihr, wenn sie zum Beispiel das Verhalten der vielen Smartphone-Nutzer beschreibt, die sie auf langen Zugfahrten beobachtet.
Ihre Arbeit sieht sie oft recht nüchtern und sachlich, vergleicht ihren Ansatz mit dem eines Malers, der mit seinem Bild eine neue, eigene Welt schafft – dies wünscht sich die gelernte Pianistin für ihre organischen Kompositionen. Immer wieder spricht sie von "unterschiedlich strukturierten Klangräumen", wenn sie ihre Werke analysiert. Einige ihrer Kompositionen für Orgel (ergänzt durch Geige und Schlagzeug) sind auf dieser CD mit dem wunderbar poetischen Titel zusammengefasst. Gerade die Werke für Orgel werden von Musikwissenschaftlern übrigens immer wieder als "apokalyptisch" beschrieben, was aufhorchen lässt. Zum besseren Verständnis der einzelnen Stücke finden sich im Booklet viele wissenschaftliche Informationen und Hinweise, zum Beispiel die Tatsache, dass jeder der vier Sätze von "… und wieder Dunkel (I)" mit einem Fragment des Gedichtes "Ein Wort" von GOTTFRIED BENN verbunden ist. Hören lassen sich die rund 44 von drei jungen Musikern dargebotenen Minuten aber auch so. Und vor allem im ersten Stück stellt sich umgehend der angesprochene, apokalyptische Eindruck ein. "… und ich sah wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt …" (01) verbreitet eine dunkle, unruhige Stimmung, wirkt oft bedrohlich. Orgelcluster, oft parallel gesetzt zu einem Schlagzeugbesen, laufen zusammen in dröhnenden, donnernden Akkorden. Die Orgel als Hauptinstrument liefert dabei ganz unterschiedliche Sounds, mal eher klassisch-kirchlich, mal flirrend mit unterschwelligen, atmosphärischen Drones, aber auch mal ähnlich der Drehorgel auf einem Jahrmarkt. Diese unterschiedlichen Klänge formen keine Melodien, sondern tatsächlich eher Flächen, tönen aber durchweg harmonisch. Für mich hat die Orgel als Instrument ohnehin etwas Kosmisches, Schöpferisches. Und so könnte auch hier eine Schöpfungsgeschichte erzählt werden – oder eben das Gegenteil, der Untergang. Manche Passagen verströmen Urgewalt, das Aufeinanderprallen von Elementen, andere bleiben leise, flüsternd, und weitere Gegensätze – Akkorde und Einzeltöne, gedehnt und stacatto – sorgen für Dynamik bis zum großen, trommelnden Finale am Ende. "Efeu und Lichtfeld" (02) verstärkt die Unruhe; die Geige bringt sehr kurze, zwitschernde und schrille Töne mit, die Orgel kommt eher aus dem Hintergrund, mit Drones zur Untermalung. Dieses Stück lebt von Brüchen und Wandlungen, hat weniger Flow, sondern liefert eher kurze Stimmungsbilder. Zwei Instrumente, die sich aufgeregt umkreisen. "und wieder Dunkel (I)" (03) greift mit seinen Sätzen unterschiedliche Atmosphären auf, malt unterschiedliche Bilder. Zunächst spielt das Schlagzeug mit einer großen Bandbreite an Klängen die tragende Rolle, bringt Dramatik mit sich, unruhige Farben und Töne. Im Hintergrund liegen Orgeldrones und kündigen eher den Untergang an, als ihn selbst abzubilden. Floatend und flächig hält die Orgel mit teils computerähnlichen Tönen das Gebilde zusammen. Im zweiten Satz verleiht das Dröhnen eines Gongs etwas Majestätisches, Endgültiges, mit sehr ruhigen dronigen Phasen dazwischen. Der dritte Satz ist dann wieder hektischer und donnernd, unwetterartig mit heftiger Pauke, aber mit ruhigem, versöhnlich tönendem Ausklang. Und zum Ende hin bietet der vierte Satz eine eher ruhige, doomige Stimmung mit dunklen Tönen, immer wieder aufgeweckt von heftigeren Klängen. An Begriffen wie 'Doom' oder 'Drone' lässt sich ablesen, dass "Wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt..." durchaus interessant für NONPOP-Leser ist. Ich habe das starke Gefühl, dass hier keine wissenschaftliche, sondern eine emotionale Herangehensweise zugrunde liegt und die wissenschaftliche Analyse von außen erst im Nachhinein folgte. Die Schnittmenge mit Dark Ambient, Industrial, serieller Musik oder Komponisten wie JOHN CAGE ist beträchtlich. So spannend kann Neue Musik sein!
Michael We. für nonpop.de
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Zusammenfassung
Doom, Drone, Apokalypse, und das alles auf einer Orgel - so spannend kann Neue Musik sein!
Inhalt
* 01. … und ich sah wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt …
* für Orgel (1996/97) * 12:48 === * 02. Efeu und Lichtfeld * für Violine und Orgel (2008) * 8:08 === * 03. … und wieder Dunkel (I) * für Schlagzeug und Orgel (1985/90) * 23:04 === ~ 44 min. |