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awk

METALYCÉE: Expat Blues


METALYCÉE: Expat Blues
Genre: Trip Hop
Verlag: interstellar...
Medium: Vinyl LP / Digital
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Um ehrlich zu sein, ist diese Platte nur wegen eines Musikinstrumentes bei mir gelandet – wegen des Trautoniums, das, wie vielleicht einige wissen, neben dem Theremin-Apparat (auch Aetherophon) u.a. als eines der frühen elektrischen Klangerzeuger gilt und von FRIEDRICH TRAUTWEIN in der Dachkammer der heutigen UDK in Berlin um 1930 entwickelt wurde ... Ein ganz einfacher Aufbau sollte es sein: ein kleiner Kasten mit einem Glimmlampen-Generator, vor dem eine Metallschiene liegt, über die ein einfacher Draht gespannt ist. Die Idee war, die voll- und halbtonfixierte Musik in Europa um das Viertel- und Achteltonspiel zu erweitern bzw. fixe Tonstufen aufzulösen. Es gab keine Bünde, wie z.B. bei einer Gitarre. Auch konnte die Tonweite elektrisch verengt oder geweitet werden, so dass über ein bis drei oder gar sechs Oktaven gespielt werden konnte. Dazu gab es die Möglichkeit, den Ton mittels Filter zu verändern, später einen Rauschgenerator und Frequenzumsetzer zur Klangfarbensynthese. Das alles erlaubte feinste Nuancen beim Spiel ... Kein geringerer als PAUL HINDEMITH interessierte sich schon früh für dieses Instrument und komponierte in der Folgezeit mehrere Stücke dafür. OSKAR SALA, einer seiner Schüler, der parallel zum Kompositionsstudium an der HU-Berlin auch Physik studierte, wurde durch Vermittlung HINDEMITHs zum Mitarbeiter TRAUTWEINs. Später trennten sich ihre Wege. SALA wurde zum einzigen Interpreten ... Es gab zunächst ein Rundfunk- und dann ein Konzert-Trautonium. Etwas später kam das sog. Volkstrautonium dazu, das von Telefunken für ca. 400 RM in einer Kleinstserie (man spricht von etwa 100 Stück) hergestellt wurde – wovon heute jedoch nur noch etwa zehn erhalten sind ... Bis zu seinem Tod im Jahr 2002 entwickelte SALA das Gerät immer weiter. Vor allem die Erweiterung zum Mixtur-Trautonium (mit zwei Manualen) machte Furor. Die Geräuschkulisse in HITCHCOCKs „Die Vögel“ nämlich wurde von SALA damit eingespielt ...

Auch die aus Wien stammende Band METALYCÉE nutzt auf ihrem aktuellen Album „Expat Blues“ ein Trautonium. Sicher, man könnte nun über die Meisterschaft des Spieles (SALA ließ, soweit ich weiß, niemanden zu nah an sein Instrument heran, d.h. einen Schüler hatte er nicht) diskutieren. Doch das schenken wir uns – geht es doch um die Einbindung (das Trautonium wird hier ja auch nicht als Soloinstrument gespielt) des Instrumentes in die Musik von METALYCÉE. Die nämlich ist nicht auf das virtuose Spiel ausgerichtet, sondern wohl eher auf die Erweiterung des Sounds durch das Instrument als Klang- und Geräuschproduzent ...
In Verbindung mit der rezitativen Stimme von MELITA JURISIC erinnert das Ganze nun an eine Kreuzung aus Trip-Hop, Dubstep, FEVER RAY und PORTISHEAD (Third). Es klingt finster, doch sehr lebendig. Schon „Northwest to Southeast“ (01) besticht durch einen eigenen tiefsitzenden Sound, der von einer schweren Bassdrum getragen und mit einem Wabern unterlegt wird, über dem sich eine Snare bricht. Mit „Torturer“ (02) wird’s dann recht heftig. Ein Schlagzeuglauf und ein tiefes Brummen treiben das Stück. Auf „Expat Blues“ (03) wieder ein Wabern, Brummen und ein Schlagzeug mit tieffrequenter Bassdrum. „Everything“ (04) beginnt wie schon der erste Titel mit dem Trautonium. Man kann das Instrument recht deutlich hören. Dazu dann Stimme und Rhythmus, der als tragendes Element das gesamte Album bestimmt. „Ballad of the Half Orphan“ (05) steigt abermals mit dem Trautonium ein. Dieses Mal steht jedoch der Sound. Erst nach etwa einer halben Minute rutscht er auf einen anderen Ton. Dann setzt erneut das Schlagwerk ein, bricht ab und eine Bassgitarre übernimmt, welche dann ebenfalls bricht. Einzig eine Snare unterstützt daraufhin den gesprochenen Text. In dieser Form variiert das Stück, bis es nach viereinhalb Minuten mit dem gesamten Instrumentarium inkl. Stimme losbricht. Und nach sechs Minuten fällt alles in sich zusammen. „Lest We Forget“ (06) beginnt mit einem Filterrauschen. Dazu die Stimme. Und dann das Glissando des Trautoniums. Das Ende des Albums wird nun sehr ruhig. „The Right Track“ (07) ist nur spärlich instrumentiert. Es wird von der wirklich phänomenalen Stimme MELITA JURISICs getragen, die hier stark an LAURIE ANDERSON erinnert. Dazu knistert und brummt es bis zum Schluss ...

Ein in seiner Gesamtheit beeindruckendes Album, das wuchtig und dicht, höchst eigenständig klingt, ein Album mit Trautonium (möglicherweise ein Nachbau der Firma „Trautoniks“, die seit einigen Jahren versucht, das Trautonium wieder in Umlauf zu bringen).


 
awk für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» METALYCÉE auf Bandcamp
» METALYCÉE auf Myspace
» Label-Homepage (Vinyl)
» Label-Homepage (Digital)
» OSKAR SALA
» Homepage der Firma TRAUTONIKS

Themenbezogene Artikel:
» METALYCÉE: It Is Not


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Inhalt
a1 northwest to southeast
a2 before you were my torturer
a3 expat blues
b1 everything
b2 lest we forget
b3 ballad of the half orphan
dl the right track
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