REUTOFF: NullRauM

Unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft (oder einem fremden Land). Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs REUTOFF, das viele Klangjahre von der Erde entfernt unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Soundformen und neue Zivilisationen...

Aufgrund eines unrunden Geburtstages – 16, wenn ich richtig gerechnet habe – scheinen REUTOFF richtig Gas zu geben. Gerade ist zusammen mit SAL SOLARIS, ebenfalls aus Russland, das hervorragende Split-Album "Eigengrau" (Besprechung) erschienen. Nun folgt mit "NullRauM" eine Zusammenstellung, die vor allem langjährige Fans der drei Russen sehr freuen dürfte. Die Schreibweise deutet es schon an - sie enthält alle Tracks der Vinylserie "ReuTRauM" sowie vier eigens für diese Abschluss-CD komponierte Songs.
Von Beginn an war "ReuTRauM" als 7inch-Reihe geplant. Zwei Tracks pro Single, jede der sieben veröffentlicht bei einem anderen Label in einem anderen Land. Das erste Vinyl erschien, zu Beginn der Karriere, im Jahr 2000 auf DRONE RECORDS, das letzte im Jahr 2012 auf EWERS TONKUNST. Nach Aussage der Band symbolisieren die sieben Veröffentlichungen sieben Plätze der Heimatstadt Reutov, einer kleinen Industriestadt vor den Toren Moskaus, in der die drei Musiker offenbar bis heute leben. Die Plätze wiederum stehen in der REUTOFF-Logik für bestimmte Seelenzustände, so dass sich beim Durchhören aller Teile eine akustische und emotionale Stadtführung ergibt. Im umfangreichen Booklet zu "NullRauM" sind verschiedene Gebäude und Plätze abgebildet; ich nehme an, dass es sich dabei um eine Art Karte für "ReuTRauM" handelt.



Alle Songs – überwiegend instrumental – der Doppel-CD verbreiten sehr industrielles Flair, mit Sirren und Quietschen, metallen, mit ganz eigener Schönheit. Viele Drones stehen im Raum, von hell bis dunkel, von maschinell bis E-Gitarre, strahlend mächtig oder noisig zerrend. Oft brechen pure Düsternis und Zerfall hervor, etwa durch die zerhackten, kranken Vocals in "Core". Auch "Wailed" mit seinem Flüstern, Wimmern und den harschen Beats symbolisiert eher die dunkle, verlorene Seite, inklusive der flehentlichen, verhallten Mönchsgesänge. Oft schillert aber die typische REUTOFF-Ästhethik durch, etwa wenn sich in "Morok" alles Knirschen und Schleifen mit einem hallenden Beat zu wunderbarer Eleganz fügt. Und selbst "Numquam" in seiner Noisigkeit findet ein zwar trauriges, aber edles Ende. Und "Postludium" schließlich ist ein Sinnbild der Vergänglichkeit, spielt ein altes russisches Volkslied ein.

Die gesammelten "ReuTRauM"-Stücke sind ein Monolog – mal murmelnd, mal schreiend – über den Zustand der Welt, die vor die Hunde geht, der man aber immer noch phasenweise eine gewisse Schönheit abgewinnen kann. REUTOFF haben ohnehin eine außergewöhnliche Strahlkraft und entwickeln über die 18 Stücke hinweg einen kosmischen Sog. Besonders beeindruckend: Obwohl die einzelnen Tracks im Verlauf so vieler Jahre komponiert wurden, entsteht an keiner Stelle ein Bruch, alles fügt sich zu einem einheitlichen Soundgemälde zwischen Dark Ambient und Industrial zusammen, was für einen Gesamtplan spricht, den das russische Trio für seine Arbeit ohne Zweifel hat. Sagenhafte 2,2 Stunden, entweder digital oder als limitierte Doppel-CD – hier sollen weitere Versionen folgen. Für meine Begriffe der Höhepunkt der REUTOFF-Diskografie.

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