Sieht man von diversen Kollaborationen einmal ab, gab's lange kein reguläres Studioalbum mehr von
CHRISTIAN FENNESZ, genauer gesagt seit dem dezidiert dronig-entspannten, 2008 bei
TOUCH erschienenen Album
"Black Sea" nicht mehr. Von
TOUCH ist der umtriebige Künstler, der auch Musik und Soundscapes für Filme, Installationen und Ballettinszenierungen erstellt, jetzt wieder zurück zu seinen österreichischen Landsleuten von
EDITIONS MEGO gewechselt, wo er bereits 1995 mit
"Instrument" seine erste 12" und 2001 dann das frickelige Clicks'n'Cuts-Album
"Endless Summer" veröffentlichte, das seinen Durchbruch markierte und zu dem "Bécs", laut Labelauskunft, als
"conceptual follow up" fungieren soll. Und diese Charakterisierung ergibt tatsächlich Sinn, denn im Unterschied zu "Black Sea", wo FENNESZ sich von seiner dezidiert entspannt-dronigen Seite präsentierte, folgt "Bécs" wieder den etwas belebteren, streckenweise fast poppigen –
EDITIONS MEGO spricht von
"abstract pop“ – Pfaden von "Endless Summer", ohne dabei die für seine Musik so typischen, atmosphärischen, durch allerlei Distortioneffekte gebrochenen, irritiert-irritierenden, filigranen Soundlandschaften missen zu lassen, die man von ihm kennt und mit gutem Grund auch erwartet
Unverändert bauen FENNESZ' Kompositionen auf endlos verfremdeten, verzerrten und durchmodulierten Gitarrensamples auf, die kontinuierlich von knisternd-raschelnden, brizzelnden White Noise-Einsprenkseln unterwandert und unterbrochen werden, um mit diesen zusammen, getragen von dronesken Basisklängen, schließlich zu atmosphärisch dichten Klangstrukturen zu verwachsen, die durch den Einsatz von dezent rhythmischen und/oder subtil poppigen Versatzstücken ihren je ganz eigenen Charakter erhalten und mal mehr, mal weniger dynamisch daherkommen. "Bécs" gehört – vergleicht man es mit anderen FENNESZ-Veröffentlichungen – zu den etwas eingängigeren Alben des Wieners und setzt auch insofern die Linie fort, die "Endless Summer" vor dreizehn Jahren vorgezeichnet hat: Es herrscht überwiegend eine irgendwie sommerlich anmutende, sanft beschwingte Stimmung vor: Des Rezensenten Kopfkino wandert zu Augustspätnachmittagen in lauschig-grünen Biergärten, die Luft ist noch dampfig vom kurz vorher niedergegangenen, sanften Regenschauer, und hinter den tropfenglitzernden Büschen und Bäumen erahnt man den Schimmer eines Regenbogens. Die Luft glitzert, ist nicht heiß, sondern angenehm warm, man fühlt sich irgendwie behaglich, und peu à peu generieren die Hintergrundgeräusche und das Grundbrummen der Großstadt zusammen mit Kindergeschrei und verhaltenem Vogelgezwitscher eben jene leicht brüchige und doch wunderbar entspannte Atmosphäre, die die Musik von FENNESZ so kunstvoll zu evozieren weiß. Zu dieser sensorischen Gemengelage, diesem diffusen synästhetischen Gesamteindruck passt auch der Umstand recht gut, dass "Bécs" – sprich:
"Bäädsch" – laut Promotext die ungarische Bezeichnung für CHRISTIAN FENNESZ' Geburts- und Heimatstadt Wien ist; und welche Stadt auf dieser Welt harmoniert bitteschön besser mit den beschriebenen, freilich durchaus subjektiven Assoziationen eines Spätsommers als eben jenes wunderschöne Wien?! – Ah, geh'! – Ja eben.
Will man "Bécs" also als eine Hommage des Künstlers an die Stätte seiner Wiege verstehen, so sollte dafür offenbar – dies eine mögliche Interpretation des Titels – eine fremde, weniger vertraute Perspektive eingenommen werden, um den Charme und Zauber des eigentlich Vertrauten, durch Routine und Gewohnheit jedoch Verblassten, wieder neu erfahrbar zu machen. Das Album durchweht eine subtil nostalgisch-sentimentale Note, mal durch zart angezupfte Gitarrensaiten, mal durch dezent im Hintergrund dahinziehende Vocodergesangslinien hervorgerufen, wie im Fall des ungewöhnlich melodischen Eröffnungstracks
"Static Kings". Auch
"The Liar", der zweite Titel, arbeitet sich nach einem vergleichsweise ungemütlich und kalt wirkenden Einstieg qua endlos übereinandergeschichteter Gitarrensounds und -samples kontinuierlich zu immer mehr Raum und Weite durch, um schließlich in perfekter Balance zwischen Entspannt- und Erregtheit auszulaufen. Und so geht es weiter, mal mehr, mal weniger schnarrig und sperrig, doch immer um die Harmonisierung augenscheinlich disparater Elemente bemüht, die schlussendlich alle im großen Ganzen des Tracks ihren Platz finden. Ein wenig aus diesem Rahmen fallen lediglich die Stücke
"Pallas Athene" und "Sav", die sehr weit in den Drone-/Ambient-Stil des Vorgängeralbums "Black Sea" diffundieren. Insbesondere "Sav" gehört nichtsdestoweniger zu den absoluten Perlen des Albums, dies insbesondere wegen der extrem reizvollen Diskrepanz, in der sich die Anfangssequenz im, irgendwie insektoid und kalt klingenden, Clicks'n'Cuts-Style zum dronig-entspannten Rest des Stückes verhält, das mit hier und da verhalten eingestreuten Percussionfragmenten und Natural-Environment-Sounds klar in Ambient-Grenzregionen angesiedelt ist.
FENNESZ legt mit "Bécs" ein bemerkenswert ausgereiftes, erfreulich abwechslungsreiches und dabei doch wunderbar ausbalanciertes, mustergültig produziertes Album vor, das einfach Spaß macht und dabei deutlich spüren lässt, dass hier ein Musiker am Werk ist, der auf mittlerweile über zwanzig Jahre Erfahrung zurückblickt: Jeder Ton, jedes noch so kleine (Stör-)Geräusch sitzt genau da, wo es sitzen soll. Der einzige Grund, warum man die
extremen Superlative, die der Promotext zur Beschreibung des Albums auffährt, denn eventuell doch ein klitzekleines bisschen zu dicke aufgetragen finden könnte, mag in dem Umstand beschlossen sein, dass die
ganz großen Neuerfindungen des Rades ausbleiben: "Bécs" ist eine hervorragende, durch und durch solide Arbeit, die auf allen Ebenen bestens zu unterhalten weiß, jedoch kaum große Überraschungen bereit hält. Letztlich
erfüllt FENNESZ alle Erwartungen – und ja: sehr wohl auch – und gerade! – die
hohen Erwartungen.
Übertreffen tut er sie jedoch nicht. Das macht aber eigentlich gar nichts, denn dem, der sich auf solch hohem Niveau so sicher bewegt, soll man nicht aus kleinkarierter Krittelsucht noch das
eine, einzelne Haar aus einer ansonsten tadellosen, köstlich schmeckenden Suppe mit griesgrämiger Miene unter die Nase halten. Und deshalb heißt das Fazit: Daumen hoch. Mit Überzeugung.