Endsal
P. MANNERFELT: Lines Describing CirclesPostapokalyptische Club-Experimente à Go-Go
Genre: Minimal
Verlag: digitalis... Vertrieb: digitalis... Erscheinungsdatum: 17. Februar 2014 Medium: Vinyl LP Kaufen bei: Amazon Freimütig sei an dieser Stelle eingestanden, dass dem Rezensenten der Name PEDER MANNERFELT bis dato völlig unbekannt war. Eine eklatante Bildungslücke, wie sich angesichts des vorliegenden Albums nun herausstellt: Der multiaktive Mann aus Schweden, auch unter dem nom de guerre THE SUBLIMINAL KID tätig und u. a. eine Hälfte des Elektronik-Duos ROLL THE DICE sowie Produzent und Live-Member der grandiosen FEVER RAY, erweist sich als absoluter Meister seines irgendwo zwischen Minimal, Detroit Techno, Post Industrial und Abstract/Glitch gelegenen musikalischen Faches sowie als ausgemachter Perfektionist vor dem Herrn. Wenn der Promotext also vollmundig raisoniert, hier käme "the sound of a man fully in control of his machines" zu Gehör, so darf man das getrost für bare Münze nehmen: hier sitzt jeder Beat, jeder Soundschnipsel, jedes noch so kleine Knistern oder Knacken ganz genau da, wo es sitzen soll; das allgegenwärtige, tieffrequente Bassbrummen verleiht dem Sound insgesamt eine derart massive Präsenz, dass er zum physischen Erlebnis wird; last but not least ist das Verhältnis zwischen treibend-rhythmischen, teilweise durchaus tanzbaren, und schräg-frickeligen, noisigen Passagen derart exakt aufeinander abgestimmt, dass sich die Grenzen zwischen clubtauglichem Minimal Techno und nerdig-noisigem Hornbrillenelektroniksound buchstäblich in Wohlgefallen auflösen. "Lines Describing Circles" kann man guten Gewissens Fans von AUTECHRE oder APHEX TWIN, aber auch ASMUS TIETCHENS, COIL oder PAN SONIC – um eine repräsentative Auswahl zu nennen – empfehlen. Es ist MANNERFELTs erstes komplettes Studioalbum nach den EPs "EP1" – brandaktuell und unlängst an dieser Stelle besprochen – und "Come Closer", mit dem er ungeachtet vieler während des Hörens aufkommender musikalischer Assoziationen seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil findet, der ebenso unprätentiös und eigenständig wie faszinierend und mitreißend klingt. Der Grundton der Tracks bleibt freilich dezdiert düster – oder, wie der Promotext sich auszudrücken beliebt: "This is music you'll hear at a club after the end of the world“. – Chapeau! Gleich das erste Stück "Collapsion" ist symptomatisch: Es beginnt mit einem fiesen, schnarrend-arhythmischen Grundsound, der anlässlich des ersten, noch ahnungslosen Durchhörens beim Rezensenten die mittelschwer panische Befürchtung generierte, derartig unbehagliches Geknarze könne sich jetzt womöglich über die gesamte, eine geschlagene Dreiviertelstunde lange Laufzeit erstrecken. Doch keineswegs: Peu-à-peu gewinnt ein nachgerade tanzbarer, klarer Beat an Dominanz und transformiert das Stück in eine wuchtige, von glasklarer Linie bestimmte Elektronummer mit noisigen Einsprengseln. Noch deutlicher wird der direkt anschließende Titeltrack "Lines Describing A Circle", den eine stringente und extrem tieffrequente Basslinie kennzeichnet, in die mit zunehmender Intensität kleine, fiese Rhythmus- und Soundschnipsel diffundieren, um den Sound kontinuierlich komplexer und vielschichtiger auszugestalten. In Verbindung mit dem immer zwingender und treibender wummernden Beat kondensiert das Ganze schlussendlich zu einer wuchtigen, kalten Minimal-Nummer, deren mechanische Präzision und kalt-mathematische Ungemütlichkeit gleichermaßen faszinieren wie frösteln machen. "Sub-bass nihilism" nennt das der Promotext und könnte es kaum besser treffen. Am beschriebenen Grundmuster orientiert sich das gesamte Album: es wechseln sich eher rhythmusorientierte, überaus "deepe", intensive Passagen mit experimentellen, frickeligen Passagen unterschiedlichen Schweregrades ab, der Sound kann insgesamt als wohltemperierte und perfekt abgeschmeckte Melange aus furztrockenem Detroit-Techno – früher TRESOR lässt grüßen –, Spät-90er Clicks'n'Cuts-/Glitch-Sound à la OVAL, WOLFGANG VOIGT oder FENNESZ, 80er-(Post-)Industrial-Epigonen wie CHRIS & COSEY, DAF oder ESPLENDOR GEOMÉTRICO, und zeitgenössischem Minimal experimentellerer Strickart beschrieben werden. Auf der B-Seite des Albums überwiegt der experimentelle Aspekt dann etwas mehr, die Tracks werden hier tendenziell anstrengender – mitnichten sollte diese Einschätzung jedoch in negativem Sinne aufgefasst werden. Einer besonderen Erwähnung wert, weil aus dem beschriebenen Grundkonzept etwas ausscherend, ist das vergleichsweise beschauliche Stück "Evening Redness In The West", das den Rezensenten mit seinen verzerrten Sprachsamples in Repeat-Endlosschleife entfernt an einschlägige psychoakustische Experimente von TAGC in ihrer "Meontological Research"/"Teste Tones"-Phase erinnert. Gar so abgrundtief düster, wie der Promotext das Album ankündigt, hat der Rezensent "Lines Describing Circles" denn zwar doch nicht empfunden, doch schwerer, nicht ganz leicht verdaulicher Stoff ist das allemal. "This is heavy music, but not without a purpose" – in der Tat, hier ist alles konsequent durchdacht, exakt aufeinander abgestimmt und wohlkalkuliert abgemischt, und genau das, diese brachiale Akribie – oder besser: diese akribische Brachialität ist es, die "Lines Describing Circles" durchgängig außergewöhnlich und interessant, ja: aufregend macht. Inwieweit PEDER MANNERFELT nun tatsächlich auf der Suche nach "truth through electronic escapsim" ist, sei einmal dahingestellt, Fakt ist jedoch, dass er ein hervorragendes Album auf die Beine gestellt hat, welches den Rezensenten bereits nach einmaligem Durchhören motiviert hat, den Namen dieses Herrn in Zukunft auf dem Schirm zu behalten. Denn dass er was kann, der Mann – das stellt er mit dieser LP eindrucksvoll unter Beweis.
Endsal für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » PEDER MANNERFELT @ soundcloud » PEDER MANNERFELT @ vimeo » PEDER MANNERFELT @ discogs » digitalis industries Themenbezogene Artikel: » PEDER MANNERFELT: EP1
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Zusammenfassung
Gut austarierte, düster tönende Mischung aus Minimal Techno-, Glitch- und Noise-Elementen, die zum einen durch extrem basslastiges, treibendes & tanzbares Gewummere, zum anderen durch spannende und innovative Soundexperimente zu überzeugen versteht.
Inhalt
A1 Collapsion
A2 Lines Describing A Circle A3 Affricate Consonants A4 Gulo Gulo Caesitas A5 Alpha Waves B1 Derrvish B2 Nihilist 87 B3 Evening Redness In The West B4 In Place Of Once Was B5 Rotterdam Anagram |