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Endsal

ÄTTESTUPA: Musik För Tomma Rum

Die entbehrliche Entschleunigung des Trauermarsches


ÄTTESTUPA: Musik För Tomma Rum
Genre: Experimental
Verlag: Järtecknet
Vertrieb: Järtecknet
Erscheinungsdatum:
20. Mai 2013
Medium: Vinyl LP
Preis: ~18,00 €
Kaufen bei: Rumpsti-Pumsti


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Fast auf den Tag genau drei Jahre nach ihrer letzten Veröffentlichung, dem fulminanten Bestattungszeremonialopus "Begraven Mot Norr" (zu deutsch in etwa "Begraben gen Norden") von 2010, beglücken uns die mysteriösen Schweden von ÄTTESTUPA mit einem neuen Album. "Musik För Tomma Rum" heißt das gute Stück, und wer aufgrund des munter-rumpeligen Wortklangs erst einmal ganz intuitiv – weil des Schwedischen ebenso unkundig wie ich – auf ein eher schwungvolles, womöglich gar tanzbares Programm geschlossen hat, der hätte sich gründlicher kaum schneiden können. Die deutsche Übersetzung des dergestalt kregel klingenden, schwedischen Titels kommt deutlich ungemütlicher daher: "Musik für leere Räume". Und der Titel ist Programm, denn exakt so bedrückend, wie sich das anhört, ist tatsächlich die ganze Platte. Was denjenigen, der die musikalischen Umtriebe der drei Herren aus Göteborg bereits ein paar Tage länger verfolgt, freilich weit weniger verwundern dürfte, als wenn man tatsächlich einen Schwenk hin zu munterer Tanzbarkeit vollzogen hätte. Doch neinnein, keine Sorge, es ist und bleibt alles beim Alten im Hause ÄTTESTUPA. Wenngleich es durchaus auch ein paar Innovatiönchen zu vermelden gibt, doch dazu gleich mehr.

Skandinavien ist als ertragreiche Herkunftsregion musikalischen Obskurantistentums einschlägig bekannt, insbesondere wenn es sich um ein solches handelt, das die Grauzone zwischen Black Metal, Noise/PE und Dark Ambient besetzt – der illustren Namen sind Legion, deshalb fange ich mit alberner Aufzählerei an dieser Stelle gar nicht erst an. Auch ÄTTESTUPA – deren Mitglieder übrigens noch in diversen anderen, genreeinschlägig bekannten Projekten wie SEWER ELECTION, KÄLLARBARNEN, HEINZ HOPF und STREET DRINKERS herumwerkeln – haben hier ihre Wurzeln und stehen für einen extrem eigenwilligen Stilmix aus Folk, Black- und Doom Metal-Elementen, Noise, Drone und Field Recordings, der insbesondere durch seine obskur-morbide Atmosphäre in schwedischem Lokalkolorit zu beeindrucken weiß. Dementsprechend begeisterte das, schlicht "Ättestupa" betitelte, Debütalbum von 2008 Kritiker insbesondere durch seine archaische, roh-ungeschliffene, harsche Lo-Fi-Authentizität: Wollte man Bilder dazu malen, so gingen halbverfallene, verdreckte Industrieruinen vor bleigrauem Novemberhimmel in regenzerpeitschte, stockfinstere Wälder über. Formal und thematisch generieren ÄTTESTUPA eine höchst eigenwillige Melange aus schwedischer Folklore und Naturmystik, skandinavischer Depression, Todessehnsucht und etwas, was ich mangels besserer Begrifflichkeiten mal etwas ungelenk als postmoderne Verwahrlosung bezeichnen will: Die Edda meets INGMAR BERGMAN (z. B. "Das Schweigen" oder "Die Jungfrauenquelle") meets EDVARD MUNCH meets frühe BURZUM meets BDN meets Naturbeschreibungen von HANS HENNY JAHNN ... – etwa so könnte man das Terrain skizzieren, in das die die Reise geht. In stilistischer Hinsicht brachte das Debütalbum noch eine ziemlich ausgewogene Schnittmenge aus Black Metal, Folk, Noise und Drone zu Gehör, die Grenzen verschoben sich mit dem Folgealbum "Begraven Mot Norr" allerdings weiter in Richtung konventionellerer, tendenziell folkiger, teilweise auch "rockigerer" Songstrukturen, ohne deshalb den experimentell-elektronischen Anteil zu vernachlässigen.

Auf dem aktuellen Album wird diese Tendenz nicht nur beibehalten, sondern vertieft, will heißen, die im engeren Sinne noisigen Passagen, die die Veröffentlichungen von ÄTTESTUPA bislang maßgeblich prägten, sind seltener geworden, ganz zu schweigen von scheppernd-krachigen Quasi-Noiserockstücken wie sie sich auf der 2009 erschienenen 12inch "1867" finden: "Musik För Tomma Rum" ist die bislang introvertierteste, undynamischste und ja, man muss es so sagen, bedrückendste Veröffentlichung des – an bedrückenden Veröffentlichungen durchaus nicht armen – Trios und wird dem gewählten Titel insofern vollumfänglich gerecht. Hier ist jede Bewegung erstorben und der autistisch sich in Selbstreflektionen zerspiegelnde Verstand kreiselt ins Leere. Titel wie "Stillastående Luft" ("Stillstehende Luft"), "Så Går Dagen" ("So geht der Tag dahin"), "Utan Svar" ("Ohne Antwort") oder "Tystnad" ("Schweigen") sprechen für sich. Diese Musik angemessen zu beschreiben ist insofern kaum möglich, als sie von einer subtilen Grundstimmung lebt, die schwerlich an einzelnen Elementen festgemacht werden kann. Die betonte Langsamkeit und Getragenheit der Stücke lässt das gesamte Opus in die Nähe eines Trauermarsches oder Requiems rücken, wenn auch das Eingangslied "Skingras Och Ersättas" in seinem Slow-Mo-Marschrhythmus schon beinahe etwas Schmissiges hat – weshalb es wohl auch als "Hit" der Platte gelten kann. Zusammen mit "Utan Svar" deckt die Anfangssequenz von "Lösryckta Minnen" hingegen den "experimentellen" Teil der Platte in Form von Soundscapes irgendwo zwischen Field Recordings und Musique Concrète ab: Es raschelt, knackst, knirscht und knistert wacker vor sich hin, ohne dabei jedoch nennenswert Substanz aufzubauen – der Hörer ahnt den schalen Nachgeschmack des Lückenfüllers. Neben dem bereits erwähnten Opener "Skingras Och Ersättas" besticht im übrigen als zweiter Höhepunkt der Platte das letzte Lied der B-Seite, "Tystnad", das mit seinem irgendwie fiese an- und abschwellenden, teils geradezu schrillen und doch seltsam hintergründig klingenden, von Drones unterlegten Georgel eine seltsam archaische, sakral-feierliche Stimmung generiert. Es ist dies der gelungene Abschluss einer, insgesamt betrachtet, etwas hinter den Erwartungen – wenigstens meinen – zurückbleibenden Veröffentlichung.

Auf der Release-Seite des Labels JÄRTECKNET ist unter anderem folgendes zu lesen: "Even though you undoubtly can hear the sound from previous recordings this is something new. Something different. A more coherent and focused recording. Spared from all excess. Exploring a more folky and desolate sound." Dem ist in Teilen zuzustimmen: In jedem Fall ist "Musik För Tomma Rum" eine Platte, wie sie von ÄTTESTUPA zu erwarten war – was den Sound betrifft, so reiht sie sich zwanglos und geschmeidig in die Reihe der Vorgängeralben ein. Es ist jedoch ebenfalls richtig, dass es "etwas Neues" gibt, und das ist in erster Linie die – selbst für die, ohnehin nicht für übertriebene Hektik bekannten Göteborger – außergewöhnliche Ruhe und Bewegungsarmut, um nicht zu sagen Statik, die diesem Album eignet. In der Tat: Von Exzessen und Extremen wird hier völlig abgesehen. Inwieweit das dem Album allerdings mehr Kohärenz als seinen Vorgängern verleihen soll, wie vom Label – betrieben von ÄTTESTUPA-Member VIKTOR OTTOSSON – behauptet, will sich mir weniger erschließen, zeichneten sich doch gerade die beiden ersten Studioveröffentlichungen durch ein außergewöhnlich hohes Maß an Kohärenz aus – und zwar in formaler, inhaltlicher, technischer und ästhetischer Hinsicht gleichermaßen. Dieses Charakteristikum findet mit „Musik För Tomma Rum“ also allenfalls seine Fortsetzung. Dass der Sound "more folky and desolate" sei, soll ebenfalls nicht bestritten werden, kann jedoch ebenfalls "nur" als Weiterentwicklung bereits vorhandener Anlagen gedeutet werden.

Summa summarum begegnen wir auf "Musik För Tomma Rum" dem üblichen Mix aus dronigem Georgel, holprigem Basslauf, scheppernd-schleppenden Drums, atmosphärisch-schrägen Noiseversatzstücken und dem typischen, verwaschen vom Hinter- in den Vordergrund und wieder zurück irrlichternden, hölzern-feierlichen Gesang – diesmal allerdings noch langsamer, noch besinnlicher und noch depressiver als jemals zuvor. Doch wer würde da nun rufen: "Potzblitz, das haut mich aus der Garderobe! Wer hätte das gedacht?!"? Wohl niemand. Dieser relativen Vorhersehbarkeit ist es denn auch geschuldet, dass das aktuelle Werk, verglichen mit seinen Vorgängern, im Gesamteindruck etwas abfällt. Nicht minder ursächlich scheinen mir eben jene Modifikationen am Sound zu sein, die man seitens JÄRTECKNET in das euphemistische Mäntelchen "Spared from all excess" kleidet. Man könnte auch mit etwas weniger Understatement beklagen, die verschrobene Experimentierfreude und partielle Harshness, die für den ÄTTESTUPA-Sound charakteristisch war, sei massiv zurückgefahren worden – was das Endergebnis zwar glatter und eingängiger, aber auch noch monotoner klingen lässt. Letzteres ist zweifelsohne intendiert und zeitigt im günstigen Fall einen hypnotischen, im ungünstigen allerdings einen eher einschläfernden Effekt.

Passend zur behandelten Thematik ist übrigens auch die Covergestaltung vergleichsweise schlicht gehalten: Es fehlt der explizite und nachdrückliche Bezug auf archaische schwedische Stammesgeschichten und Mythen, wie man sie insbesondere von der Debüt-LP und "Begraven Mot Norr" kennt: keine finster-grisseligen, verschneiten Bilder mehr von Ureinwohnern in wechselnder Tracht, die den Blick des Betrachters mit skeptisch-abweisenden, stoischen Mienen erwidern. Das Coverfoto zeigt, freilich sehr unscharf, verschwommen und – selbstverständlich! – in Schwarz-Weiß, eine Waldlichtung, durch deren Geäst gerade das Sonnenlicht fällt. Auf der Rückseite findet sich neben Texten, Titeln und minimalen Releaseinfos in schwedischer Sprache das Schwarz-Weiß-Foto eines, von heruntergekommenen Fassaden gesäumten, schmutzigen Kanals, über dem gerade die Sonne aufsteigt. Auf keinem der Bilder ist jemand zu sehen. Es sind von Menschen bereinigte Räume. Leere Räume. Und ÄTTESTUPA machen die Musik dazu: Durchaus berechenbar, doch in ihrer skandinavischen Schwermut so schön und so bedrückend wie ein Film von INGMAR BERGMAN. Würde der heutzutage leben und Musik machen – so würde sie sich wahrscheinlich anhören.

 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ÄTTESTUPA @ discogs
» ÄTTESTUPA @ Norbergfestival 2013
» Musik För Tomma Rum @ Järtecknet
» Änglamakerskan (Non-official video) from "Utmarken"-10" @ youtube

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Zusammenfassung
ÄTTESTUPA bleiben sich treu, wenn auch das Tempo weiter gedrosselt wird und noisige Passagen in den Hintergrund rücken. Das Resultat ist entsprechend eingängiger, noch bedrückender, büßt aber leicht an Faszination ein. Solide, interessante Veröffentlichung, insgesamt allerdings etwas vorhersehbar.

Inhalt
A1: Skingras Och Ersättas
A2: Lösryckta Minnen
A3: Stillastående Luft
B1: Så Går Dagen
B2: Utan Svar
B3: Tystnad

LP limitiert auf 500 Stück; aufgenommen in Göteborg, Schweden, 2011-2013.
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