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Endsal

LUSTMORD: The Word As Power

Wovon man nicht sprechen kann ...


LUSTMORD: The Word As Power
Genre: Dark Ambient
Verlag: Blackest...
Erscheinungsdatum:
8. Juli 2013
Medium: Vinyl DLP
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Eine kleine Einsicht vorneweg: Jedes Mal, wenn ich LUSTMORD höre, träume ich von einem schalldichten, mit High-End-Anlage nebst passenden Lautsprecherboxen ausgestatteten Musikzimmer, ach, was sag' ich: Musiksaal, der es mir ermöglicht, dem musikalischen Output des BRIAN WILLIAMS ohne Rücksicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Kollateralschäden in angemessener Lautstärke nebst entsprechender Frequenzbreite und -tiefe zu lauschen; durchschnittlicher bundesrepublikanischer Nachbarschaft in einem durchschnittlichen deutschen Mietshaus ist dergleichen ja leider nur höchst selten zuzumuten, nimmt man das Risiko nicht billigend in Kauf, seine Musik – und nicht nur die – fürderhin "Open Air" genießen zu müssen. Dieser Traum verfolgt mich umso hartnäckiger, seit ich anlässlich des Konzerts im Berliner Berghain Ende 2010 eine konkrete Vorstellung davon habe, welche Tiefendimensionen diese Musik entfaltet, wird sie mittels adäquaten Equipments in adäquaten Räumlichkeiten präsentiert. Die für den typischen LUSTMORD-Sound konstitutiven, extrem tiefen Frequenzen sind im heimischen Ambiente günstigenfalls annäherungsweise reproduzierbar, doch gerade die sind es ja, die diese Musik erst zu einer gesamtkörperlichen und keineswegs lediglich akustischen Erfahrung machen: In stetiger Verdichtung werden Schallwellen beinahe greifbar und so erschließt sich dem Hörer ein Grenzbereich zwischen Materiellem und Immateriellem, in dem der Geist zu Stoff gerinnt – das akustische Phänomen wird gewissermaßen zum Gegenstand. Insbesondere dieser Effekt – die schiere Massivität des Sounds – lässt mich vor beinahe jedem neuen LUSTMORD-Album ebenso ungläubig staunend verharren wie die Affenhorde in Kubricks "2001 – A Space Odyssey" angesichts des Schwarzen Monolithen. Mehr als für jede andere Veröffentlichung vorher gilt dies für das aktuelle Album "The Word As Power" – und das hängt eng mit der Thematik zusammen, der es sich widmet, sowie mit den Konsequenzen, die daraus gezogen werden: Das Wort, die Sprache, der Klang als jenes machtvolle Medium, das die geistig-immaterielle Sphäre der Ideen mit der physisch-materiellen Welt der Phänomene verbindet, wo sie sich nach seiner Maßgabe manifestieren.
 
"The Word As Power" – Wir bibelfesten Bildungsbürger fühlen uns angesichts eines solchen Titels sowie der implizit mitschwingenden Programmatik selbstverständlich sofort an die ersten, prologischen Worte des Johannes-Evangeliums erinnert: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. [...] Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist." (bibleserver.com/text/EU/Johannes1">Joh. 1,1,3) Spätestens an diesem Punkt assoziativen Dahingleitens sollte auch dem tumbesten Tor dämmern, welch bedeutungsschwangeres Terrain hier beackert wird: Es geht um die ersten und die letzten Dinge, das Alpha und das Omega individueller wie kollektiver Existenz; man ist versucht zu sagen: Hier geht es um nicht weniger als ALLES, insofern alles durch jenes WORT gemacht ist, dessen Funktionalität das Album thematisiert. Dies spiegelt sich ex negativo auch in dem Motto wider, das dem Promotext zur Platte vorangestellt ist: "Come, let us go down and confound their speech" – "Auf, steigen wir hinab und verwirren ihre Sprache, auf dass keiner mehr die Sprache des anderen verstehe", spricht Gott in bibleserver.com/text/EU/1.Mose11">1. Moses 11,7 angesichts des Turmbaus zu Babel, spaltet die Menschen kurzerhand in die unterschiedlichsten Sprachfamilien auf und nimmt ihnen so dauerhaft die Macht, fürderhin das Unerreichbare anzustreben. Denn das Wort, die Sprache verleihen Macht, Geistiges, Ideen, in materielle Wirklichkeit zu verwandeln: je tiefer die Einheit zwischen Wort, Begriff und Sprechendem, desto machtvoller die Sprache – diesen Zusammenhang deckt kein geringerer als der Allmächtige höchstpersönlich in bibleserver.com/text/EU/1.Mose11">Vers 11,6 auf: "Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. [...] Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen." Es ist die hier zum Ausdruck kommende, fundamentale Verbindung zwischen Sprache, Macht und Schöpfung, die "The Word As Power" erforscht.

Vor diesem Hintergrund scheint es einigermaßen naheliegend, das Album in Fragen der Interpretation und Beurteilung nach Möglichkeit innerhalb dieses ambitionierten Gesamtzusammenhangs zu betrachten. Schon deshalb erweist sich "The Word As Power" als vollkommen ungeeignet für irgendwelche musikalischen Hintergrunduntermalungen, die in der Genrebezeichnung Dark Ambient mitschwingen mögen. Diesem Album hat man sich mit einem Höchstmaß an Offenheit, Konzentration und Aufmerksamkeit zuzuwenden, will man sein Anliegen verstehen und nicht einer Verwechslung zum Opfer fallen, die paradoxerweise näher liegt als bei den Vorgängeralben: Es könnte nämlich der oberflächliche und ganz & gar irreführende Eindruck entstehen, es handle sich – wenigstens über einige Passagen hinweg – um bittersüßliches, pseudomystisches Gesäusel, wie man es auch im Esoterikladen um die Ecke bisweilen zu hören bekommt. Begünstigend in diesem Sinne wirkt der Umstand, dass BRIAN WILLIAMS zum ersten Mal in seiner, mehr als drei Dekaden umfassenden musikalischen Laufbahn Vocals (sic!) als tragendes Element (sic!!) in seine Musik eingebunden hat – angesichts des behandelten Sujets freilich absolut konsequent. Nichtsdestoweniger machen eben diese Vocals das Werk dem flüchtigen, oberflächlichen, ungeduldigen Durchhörer anfällig für eine Verwechslung mit jenem ganzheitlichen Esoteriksingsang, der durch inflationären Gebrauch gregorianischer Choräle, Obertongesänge etc. in allen möglichen kulturellen Bereichen zwischen Popmusik und Werbung ebenso ubiquitär wie nervtötend geworden ist. Das  Missverständnis könnte im vorliegenden Fall jedoch größer und tragischer kaum sein, denn wer sich konzentriert und gesammelt auf "The Word As Power" einlässt, begegnet einer – ja, man möchte sagen: sakralen Tiefe, die in der zeitgenössischen Musik unserer Tage extrem selten ist.
 
Eins ist freilich ebenfalls klar: Hier handelt es sich um E-Musik im buchstäblichsten, will heißen allerernsthaftesten Sinne: Es regiert 100%ige Humor- und Ironiebefreitheit  – dies jedoch mit Grund & Überzeugung, denn geht es ums Fundamentale, bleibt naturgemäß wenig Raum für schallendes Gelächter. Konsequenterweise verzichtet "The Word As Power" auf jedes noch so leise, jedes noch so subtile Augenzwinkern, doch was im Regelfall das statistische Risiko von Peinlichkeit und/oder Scheitern am eigenen Anspruch enorm erhöht, meistert einer wie LUSTMORD – dessen Alben sich bekanntlich noch nie durch ein Übermaß an Humor auszeichneten – mit links, so dass wir es im besten Sinne des Wortes mit einem beeindruckenden musikalischen Analogon zu archaischen Gründungs- und Schöpfungsmythen zu tun haben. Und wer erwartete schon allen Ernstes, um im Bild zu bleiben, in biblischer Genesis oder sumerischem Gilgamesch-Epos Humor oder charmanten Esprit? Um übrigens einem möglichen Einwand gleich im Vorfeld zu begegnen: Nein, ich halte diesen Vergleich weder für übertrieben noch für irreführend, sondern setze sogar noch eins obendrauf – Ich kann mir durchaus Zustände der Sammlung und Konzentration vorstellen, in denen dieses Album seinen Hörer buchstäblich an eben jene Wurzel der Existenz führt, von denen die fraglichen Mythen handeln (zum mindesten liefert es den angemessenen Soundtrack für die Reise dorthin). Der gewählte Titel ist machtvolles Programm: Dies ist eine elementare Meditation über jenes "Fiat Lux", das die Finsternis vom Licht scheidet und so das Universum hervorbringt.

Doch zurück auf den festen Boden empirischer Fakten: Die Aufnahmen zu "The Word As Power" entstanden zwischen 2009 und 2012 und man hört dem Ergebnis an, wie viel Zeit und Sorgfalt darauf verwendet wurde. Der Sound selbst wirkt noch minimalistischer und substantieller als auf den letzten Veröffentlichungen, was freilich nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass Mr. WILLIAMS sich keineswegs darauf beschränkt hat, Vocals lediglich zuzulassen, nein: Er hat ihnen vielmehr gleich die zentrale und tragende Funktion eingeräumt – eine Vorgehensweise, die dem "übrigen" Sound notwendig eine eher begleitende, den Hintergrund gestaltende Funktion zuweist. Nun wäre es eine Fehleinschätzung zu behaupten, das, wofür das Trademark "LUSTMORD" normalerweise steht, beschränke sich im aktuellen Fall ganz lapidar auf die musikalische Untermalung der Vocals – wie man das mit etwas mehr Berechtigung von der Kollaboration mit den MELVINS behaupten könnte –, denn es ist doch gerade das typische, aus fernen Abgründen dröhnende Brummen, Grollen und Donnern, das dem zum Einsatz kommenden Gesang jene abgründige Tiefendimension verleiht, die ihn fundamental von eben jenem Esoterikkitsch abhebt, den der flüchtige Hörer möglicherweise im ersten Moment befürchtet hatte. Und doch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Soundscapes nicht dominieren, sondern in einem stützenden, verstärkenden, stabilisierenden und modulierenden Verhältnis zu den Vokalpassagen stehen. Diese haben ihrerseits archaischen, beinahe vorsprachlichen Charakter, will heißen, der Gebrauch, der vom Stimmapparat gemacht wird, ähnelt mehr dem eines Instrumentes, da die semantische Dimension der Worte durch die Art ihrer Hervorbringung völlig in den Hintergrund tritt. So gesehen wird die Stimme dem Sound einverleibt und nicht umgekehrt, es findet eine Rückführung in die "Ursprache" statt, die dem biblischen Menschen von Gott genommen wurde. Der Klang steht als Träger einer Bedeutung im Zentrum, deren Gegenstand sich der profanen Rede auf diskursiv-rationaler Ebene vollkommen entzieht. Die Dominanz der menschlichen Stimme bildet den formalen Fluchtpunkt des Gesamtkonzepts von "The Word As Power", denn als Trägermedium des Wortes ist die Stimme konstitutiv für dessen Macht. Zur Bewältigung der raumgreifenden Vokalpassagen, die sich in der Konsequenz ergaben, hat sich LUSTMORD entsprechend hochkarätige Mitstreiter gesucht: JARBOE, Ex-Frontfrau der SWANS, MAYNARD JAMES KEENAN von TOOL, den US-amerikanischen Kehl-/Obertongesangsmeister SORIAH sowie als Hauptvokalistin auf vier von sieben Stücken die Norwegerin AINA SKINNES OLSEN, offenkundig eine Freundin des Mr. WILLIAMS, die – linst man mal bei DISCOGS – in den 80er-Jahren offenbar kurzzeitig eine Karriere als Popsternchen anvisiert hatte, dann jedoch in der Versenkung verschwand; aus der steigt sie mit ihrem Beitrag zu "The Word As Power" allerdings auf beeindruckende Weise wieder empor.

Ausdrücklich und in allerhöchsten Flötentönen lobend sei in Kürze noch auf das Cover eingegangen (wobei ich nur für die Doppel-LP sprechen kann, die CD-Version kam mir bislang nicht vor Augen), denn auch das überzeugt in jeder Hinsicht: Verarbeitung und Material sind vorbildlich, insbesondere aber das Coverartwork von SIMON FOWLER ist atemberaubend und eine intensive Inaugenscheinnahme mehr als wert (in dieser Hinsicht ist man mit der CD freilich klar im Nachteil – und bei diesem Cover ist das ein Nachteil!): Auf der Seite von BLACKEST EVER BLACK wird das Studium des Covers demjenigen, der tiefer in die Materie des Albums eindringen will, sogar explizit ans Herz gelegt. Eine tiefere Versenkung in die, irgendwie hermetisch-kabbalistisch anmutenden und mit allerlei Glyphen, Symbolen, Bildern, Sigillen, Mustern und Worten ausgefüllten, rings um das LUSTMORD-Hexagon angeordneten Strukturen verspricht zum mindesten interessant und aufschlussreich, möglicherweise sogar in existenziellerem Sinne erhellend zu sein – der engagierte Konsument sei an dieser Stelle zu beherzter Eigeninitiative aufgerufen.

Mit "The Word As Power" hat der Godfather of Dark Ambient wohl eines seiner beeindruckendsten Alben der letzten zwanzig Jahre veröffentlicht – um nicht rundheraus zu sagen: das beeindruckendste seit "The Place Where The Black Stars Hang" (1994). Die Erweiterung des puristischen LUSTMORD-Sounds um Vocals ist hervorragend gelungen und macht das gesamte Opus einerseits – dies nichts Neues – zu einem Stück finsterster Sakralmusik, lässt andererseits jedoch – dies unterscheidet von Vorgängeralben – auf subtile Weise die Möglichkeit des Lichtes bestehen. Im übrigen weist man bei BLACKEST EVER BLACK ausdrücklich darauf hin, es gehe bei "The Word As Power" um alle Dimensionen des Wortes – auch um die des Unaussprechlichen: "Of course it's also about the unwritten, the unspoken; that which exists beyond the reach of language." Damit schließt sich dann der Kreis und noch einmal wird der Bildungsbürger in uns getriggert, um sich der ebenso berühmten wie klugen Worte LUDWIG WITTGENSTEINs zu erinnern: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." – Und Recht hat er. Trotzdem ringt der Mensch seit fernen Anfangstagen um Mittel und Wege, sich dem Unaussprechlichen anzunähern, das sich so hartnäckig jedem Versuch verbaler Zugriffnahme entzieht. Das Ergebnis ist uns in Gestalt der verschiedensten religiösen und philosophischen Systeme sowie deren mystischen und esoterischen Subsysteme nebst angeschlossener, magisch-technischer Regularien erhalten. – "The Word As Power" kann als ein, in der Tradition solchen Denkens stehender Versuch musikalisch-künstlerischer Annäherung an das Unaussprechliche in einer Zeit verstanden werden, die den vitalen Bezug zu traditionellen Systemen der Transzendenzvermittlung verloren hat. Dieser Versuch ist bemerkenswert gut gelungen.

 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» LUSTMORD_-_Homepage
» "The_Word_As_Power"_@_Blackest_Ever_Black
» "The_Word_As_Power"_@_Soundcloud
» LUSTMORD-Interview (2011) @ Self-titled Mag
» SIMON_FOWLER_(Coverartwork)_-_Homepage

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» LUSTMORD: Dark Matter
» LUSTMORD: Lustmord rising


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Zusammenfassung
Eines der "tiefsten" Alben, die LUSTMORD bislang veröffentlicht hat. Stimme und Sound verschmelzen zu einer perfekten Einheit und evozieren Licht im Herzen der Finsternis. Beeindruckend intensives, kohärentes, von hermetischer Bedeutsamkeit förmlich gesättigtes opus magnum des Genre-Heros.

Positiv aufgefallen
- Grandiose Produktion
- Grandioses Cover
- Grandioser Sound
- Grandiose Platte

Negativ aufgefallen
- Bei flüchtigem Hören anfällig für Missverständnisse

Inhalt
A1 Babel (10:01)
A2 Goetia (5:43)
B1 Chorazin (18:07)
C1 Grigori (18:31)
C2 Andras Sodom (6:53)
D1 Abbadon (11:25)
D2 Y Gair (18:07)

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