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Thomas L.

DIX/PESSOA: Boca Do Inferno

ALEISTER CROWLEYs Verschwinden in Portugal


DIX/PESSOA: Boca Do Inferno
Kategorie: Rezension
Wörter: 1376
Medium: Buch
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Ende der zwanziger Jahre strebt ALEISTER CROWLEY danach, neben England und Deutschland weitere Niederlassungen seines Ordens in den Ländern Europas (und den Vereinigten Staaten) zu etablieren. Für Portugal hat er sich als einen geeigneten Statthalter den noch vergleichsweise unbekannten Dichter FERNANDO PESSOA ausgewählt. PESSOA, ein Leser von CROWLEYs „Autohagiographie“, die als mehrbändiges Werk beim chronisch klammen Verlag MANDRAKE PRESS erscheint (nicht zu verwechseln mit der Neugründung gleichen Namens von MOGG MORGAN), tritt mit eben diesem Verlag in Kontakt und somit in einen Briefwechsel mit dessen Geschäftsführung. Eine kleine Anmerkung seinerseits über astrologische Ungenauigkeiten im Horoskop CROWLEYs lassen schließlich den MEISTER THERION selbst ins Spiel kommen, der nun ebenfalls einen Briefwechsel mit PESSOA beginnt.
Und hier nimmt eine Episode ihren Lauf, die CROWLEY-Vertrauten gemeinhin als das „Verschwinden am Höllenschlund“ ein Begriff ist. Ein possenhaftes Verwirrspiel mit verschiedensten Beteiligten und unterschiedlichsten Motivationen; jeder zieht unsichtbare Strippen im Hintergrund, doch die meisten davon hält natürlich ALEISTER CROWLEY selbst sicher in der Hand. Was in den Biographien mehr zur amüsanten bis rätselhaften Randanekdote mutierte, wird in der vorliegenden Sammlung von STEFFEN DIX zum abendfüllenden Theaterprogramm. Das Mysterium von CROWLEYs mehrwöchigem Verschwinden und die dabei tragende Rolle von Portugals berühmtesten Dichter FERNANDO PESSOA, akribisch dokumentiert auf knapp 400 Seiten, bestehend aus Originalbriefen der Protagonisten, den Recherchen und Kommentaren von STEFFEN DIX und den posthum gefundenen Recherchen eines „Detektivs“, der auf CROWLEYs Verschwinden angesetzt war.
Doch zurück zur Handlung: CROWLEY wittert in PESSOA die richtige Person, um das Gesetz von Thelema in Portugal zu etablieren; der zurückgezogene und scheue Dichter soll ihm die Pforten in die Kunst- und Kulturwelt des Landes eröffnen, in der er ein geeignetes Milieu für den Kult des neuen Aeons sieht. Nebenbei soll PESSOA noch Teilhaber von MANDRAKE PRESS werden und den vor dem Ruin stehenden Verlag retten (und somit CROWLEYs weiteres literarisches Werk) oder zumindest den Niedergang mit einigen finanziellen Zuschüssen versüßen. CROWLEY drängt PESSOA mehrfach zu einem Treffen, was dieser jedoch mehrmals aus vorgeschobenen „astrologischen Gründen“ verschiebt. So fasziniert PESSOA vom sagenumwitterten britischen Magier auch sein mag, er schätzt ihn mehr in Form der Lektüre beim Tee am Kamin, die Vorstellung, diesen selbst zu treffen oder gar in dessen Ritualwerk einbezogen zu werden, scheint den scheuen und etwas umständlichen PESSOA eher zu schockieren.
Doch im Jahr 1930 nützen astrologische Ausflüchte nur noch wenig, denn die MANDRAKE PRESS informiert PESSOA, das CROWLEY nach Lissabon kommt und von PESSOA am Hafen abgeholt werden möchte. Und so treffen sie dann letztendlich doch aufeinander: PESSOA steht bereit und nimmt TO MEGA THERION und dessen junge deutsche Geliebte HANNI JÄGER in Empfang. Es kommt zu mehreren Begegnungen und Gesprächen. PESSOA ist fasziniert von dem kuriosen Engländer, und nicht minder von seiner zwanzigjährigen Geliebten, die ihn zu seinem einzigen Gedicht mit erotischem Inhalt inspirieren wird. CROWLEY und HANNI JÄGER, die er liebevoll „Monstrum“ nennt, verbringen die Tage am Strand und die Nächte ausschweifend im Hotel. PESSOA führt CROWLEY Schachpartner zu und findet zunehmend Gefallen an seinen neuen Bekanntschaften. Dann kommt es zum Knall: HANNI JÄGER bekommt einen hysterischen Anfall und bringt das gesamte Hotel in Aufruhr, so dass CROWLEY kurzerhand in ein anderes Etablissement umziehen muss. HANNI trennt sich von ihm und verschwindet, hinterlässt eine Notiz, die besagt, dass sie bald zurückkomme. Doch zunächst kommt sie nicht und CROWLEY informiert PESSOA und bittet ihn um Hilfe bei der Suche nach HANNI, der vermutet, in ihrer Hysterie könne sie Selbstmord begehen.

An dieser Stelle ziehen die ersten Nebel der Widersprüche und der falschen Fährten auf. HANNI JÄGER ist kurzerhand über die amerikanische Botschaft außer Landes geflohen. CROWLY trauert seiner Geliebten nach und entschließt sich zu einem Streich: Er will seinen Selbstmord inszenieren und damit HANNI zurück in seine Arme treiben oder ihr zumindest eines auswischen. Zudem kann er sich sicher sein, damit die Schlagzeilen der Regenbogenpresse zu beherrschen und somit vielleicht auch MANDRAKE PRESS vor dem Untergang zu bewahren. Und so findet man am Boca Do Inferno, einer infernalischen Schlucht nahe der Stadt Cascais, einen mysteriösen Brief, der an HANNI JÄGER bzw. das Hotel adressiert ist, in dem beide gemeinsam abstiegen. Eine kuriose Abschiedszeile, magische Formeln und undeutbare Namen erwecken das Interesse von Presse und Polizei. Der „Höllenschlund“ ist eine von Selbstmördern gern genutzte Schlucht, da das Wasser die Leichen in die Tiefe zieht und nie wieder preisgibt. Nun kommt PESSOA ins Spiel. Er bezeugt, dass es CROWLEYs Schrift ist, in der jene mysteriösen Zeilen verfasst sind. Nun beginnt das Rätselraten um CROWLEYs Verschwinden. Über Wochen hinweg widmen sich die Zeitungen Europas dem rätselhaften Verschwinden des vermeintlich verruchtesten Mannes der Welt. PESSOA nährt und narrt dabei die Presse und so geistern allerlei Theorien vom Selbstmord aus Liebe oder gar vom Mord durch fanatische Katholiken oder Agenten durch die Presse.
Während Europa sich in Spekulationen ergeht, sitzt der Meister derweilen in Berlin bei KARL GERMER, der ihn ein Jahrzehnt später als Oberhaupt des OTO ablösen soll, und lässt es sich auch mit HANNI JÄGER wieder gutgehen. PESSOA kommuniziert mit CROWLEY über GERMER; dabei ergehen sie sich in Rätseln und Andeutungen, immer in der Angst, die Polizei öffnet die Briefe und entlarvt das Spiel. Auch ISRAEL REGARDIE, CROWLEYs in London residierender Privatsekretär, wechselt Briefe mit PESSOA und scheint zumindest zu Beginn des Briefwechsels nicht eingeweiht zu sein in die Posse. CROWLEY trifft sich in Berlin mit ALDOUX HUXLEY und kümmert sich um eine angehende Ausstellung. Zwischendurch fragt er bei PESSOA immer wieder nach, was denn die „Detektivgeschichte“ mache, die er ihm noch schulde.

Und diese „Detektivgeschichte“ ist dann auch der Plot dieses Bandes, der erstmals die volle Intensität der Posse erforscht: CROWLEY und PESSOA wollten sich nicht damit begnügen, die Presse zu narren und eine gute Geschichte abzuliefern, PESSOA sollte einen vermeintlich authentischen Bericht aus der Feder eines britischen Detektivs schreiben, der CROWLEYs Verschwinden mit der tatsächlich geschehenen Ermordung eines Taxifahrers in jener Nacht in Verbindung bringen sollte. CROWLEY sollte als Gejagter in die Geschichte eingehen, der erfolgreich floh, während die nicht näher definierten Jäger einen unschuldigen Taxifahrer, der vielleicht ungewollt Zeuge geworden war, exekutierten.
Diese niemals vollendete Detektivgeschichte wurde im Nachlass von FERNANDO PESSOA gefunden und wird nun erstmals in deutscher Sprache der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der in Lissabon am Institut für Sozialwissenschaften tätige PESSOA-Experte STEFFEN DIX fügt nun erstmals alle Puzzleteile des Mysteriums vom Verschwinden ALEISTER CROWLEYs zusammen und kommentiert diese erhellend. Dass das Buch offiziell unter dem Titel „Fernando Pessoa – Boca Do Inferno“ läuft, mag der großen Popularität des Dichters geschuldet sein. Doch diese Detektivgeschichte allein, die komplett im zweiten Teil des Buches enthalten ist, ist nicht das Wesentliche. Das Faszinierende sind die Originaldokumente, die Briefe von CROWLEY, PESSOA, JÄGER, REGARDIE und GERMER – und die Verbindungen, die STEFFEN DIX zwischen ihnen erläutert. Das Ergebnis ist die Chronik eines metaphysischen Scherzes zweier großer Geister, deren Charaktere unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der besessene Egomane und Feuerprediger CROWLEY, der seine Religion verbreiten und dabei auch auf seinen Spaß nicht verzichten will. Auf der anderen Seite der scheue und pedantische PESSOA, der sich von CROWLEY entflammen lässt und für kurze Zeit aus seinem tristen Eremitendasein ausbricht – wie umständlich und zwanghaft sein Denken allerdings ist, davon zeugen seine Briefe und vor allem seine Detektivgeschichte, die zahllose Parallelismen aufweist, so dass die Lektüre zur Qual wird.

Abgerundet wird das Buch mit PESSOAs Übersetzung von CROWLEYs „Hymn to Pan“ und diversen anderen Gedichten, die PESSOA für CROWLEY schrieb oder die zumindest von diesem inspiriert wurden.
Wer sich für ALEISTER CROWLEY oder FERNANDO PESSOA interessiert, der wird an dieser grandiosen Studie zweifellos seine Freude haben. Im Namen von und über CROWLEY wurde in den letzten fünfzehn Jahren wenig Sinnvolles publiziert und auch hier waren meine Erwartungen zunächst gering. Doch dieses Puzzlespiel von STEFFEN DIX hat mich absolut begeistert und sich für mich als eines der besten Bücher des Jahres 2012 entpuppt. Der Leser begleitet CROWLEY und PESSOA geradezu plastisch in das Lissabon und Berlin der 30er Jahre und kann ihnen vor allem durch ihren originalen Wortlaut erstaunlich nahe sein. Das Mysterium von ALEISTER CROWLEYs Verschwinden nach beinahe 85 Jahren derart detailliert zu lösen und das Chaos zu ordnen ist ein faszinierendes Geschenk für alle Interessierten. Der Höllenschlund mag keine Toten mehr preisgeben, STEFFEN DIX aber hat dieses Rätsel meisterhaft gelöst.

 
Thomas L. für nonpop.de



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