GRISCHA LICHTENBERGER: And VI

(Interia)

Genre: Electro
Verlag: Raster-Noton
Medium: CD
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Kategorie: Rezension
Erstellt: 27.10.2012
Wörter: 485
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Bei GRISCHA LICHTENBERGER steht nicht allein die Musik im Zentrum des Schaffens. Es gibt da auch noch Installationen und Bilder. Eines jedoch verbindet sämtliche Arbeit. Es ist eine Grundhaltung. Und diese lautet: Fiktionale Strategien entwickeln – wobei das den gesamten künstlerischen Prozess umfasst und demnach sowohl im Allgemeinen als auch im Speziellen gilt. So ist die musikalische Arbeit GRISCHA LICHTENBERGERs, wie sein neues Album beweist, dann auch eine abstrakte. Das heißt, wie schon auf der „Treibgut“-EP, die als zweiter Teil der „Unun“-Serie („Ununbium 112“) auf dem Label RASTER-NOTON erschien und sich mit dem Rhein beschäftigte, wird hier mit Abstraktion gearbeitet. Die neue CD: „And VI (Interia)“ nämlich bezieht sich auf das fiktionale Nachfolgemodell eines im Kaukasus befindlichen Baksan Neutrino-Teleskops, mit dem kleinste Elementarteilchen gesehen werden können. Dies könnte dann wieder auf die Musik bezogen werden. Denn die 21 recht kurzen Titel sind manchmal nicht mehr als Fragmente, Kleinstformen vollständiger Titel, die sich zu etwas Ganzem zusammensetzen lassen. Wie in der Literatur eine Kurzgeschichtensammlung als vollständiges Buch herausgegeben wird. Kunst bzw. Musik als Fiktion.

Hier fiept es, es knarzt, kratzt und brummt. Das alles sehr rhythmisch. Doch die Rhythmik rumpelt sehr stark, läuft nicht ansatzweise gerade. Immer wieder katapultiert einen das aus dem jeweiligen Titel heraus. Und da steht man dann und versucht die Titel wenigstens zu zählen. Allerdings wird bei 21 Titeln kaum jemand dazu in der Lage sein, all die verschiedenen Takteinsätze, -Verschiebungen und -Folgen auf Anhieb mitzählen zu können. Es sei denn, dieser jemand gibt sich viel Mühe und lässt sich einige Zeit. Doch dann wird die Musik ja nur mit halbem Ohr gehört, wobei das, was da so passiert, eben zur Hälfte verpasst werden könnte. Und das wäre schade. Denn es passiert tatsächlich einiges: Tiefe Bässe, an Alarmsirenen erinnernde Töne, die aus einem Nebel zu kommen scheinen, um wieder dorthin zu verschwinden, Glitch-Sounds, die für einen Moment die Zeit zu einer gallertartigen Masse gerinnen lassen, so dass sie fast zum Stehen kommt, wie ein Wecker tickende Hats, zerhackstückelte Melodieansätze und dergleichen mehr. Die sehr abwechslungsreichen Titel lassen sich eben auch ohne akribisches Zählen gut hören. Nur das Mitschwingen des Kopfes fällt etwas schwer. Denn es bricht sich innerhalb dieser, nun, dieser Bruchlandschaften, die allerdings aus einem Stück zu stammen scheinen, viel. Dazu die undechiffrierbaren Zahlenkolonnen der einzelnen Titel. Nun, es ist dann wohl doch etwas Zahlenverständnis von Vorteil. Und sicher auch ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen. Dennoch, hier hält sich, wie bei einem Buch voller Kurz- und Kürzestgeschichten, von Anfang bis Ende die Spannung. Und Spannung ist in Bezug zum emotionalen Verständnis rational voraussetzungslos. Sie packt einen, wie diese CD, unmittelbar.