Der Mai des Jahres 2009 endete mit einer Überraschung: ULVER standen zum ersten Mal seit 1993 – dem nach Bandangaben bis dahin einzigen Konzert – wieder auf der Bühne. Die Überredungskünste des Veranstalters waren offenbar stärker als das Unbehagen der Gruppe gegenüber der Menschheit, und so spielten die Norweger beim
FESTIVAL OF LITERATURE ihres Landes. Dieser Auftritt muss ein Umdenken bei der Band ausgelöst haben, denn bis 2010 folgten viele weitere Auftritte, darunter in der
QUEEN ELIZABETH HALL in London oder – vor 10.000 Menschen – beim
BRUTAL ASSAULT, einem tschechischen Metal-Festival. Im Sommer 2010, ganz genau am Samstag, den 31. Juli, folgte als Abschluss der Reise durch Europa dieses Konzert in der Heimat, in Oslo. Es markiert einen Wendepunkt in der Vita der Band, denn sie sagte sich mit dem ausgewählten Material und der Darbietung endgültig von ihrer metallenen Vergangenheit los. Wenige Wochen später, im Herbst 2010, begannen die abschließenden Arbeiten an "Wars Of The Roses" (2011,
Besprechung), dem wohl zugänglichsten Album des so oft als 'Pioniere des norwegischen Black Metal' bezeichneten Quartetts. (Übrigens wurde dann auch "Wars ..." von zahlreichen Konzerten begleitet.) Vor wenigen Wochen folgte mit "Childhood's End" ein (
hier besprochenes) fast poppiges Werk mit Covern von Prog-Songs der 1960er-Jahre.
Der Auftritt in Oslo – die Setlist änderte sich immer leicht – war einer der umfassendsten der beiden 'Tour-Jahre' 2009/2010. ULVER präsentierten Songs aus den Alben seit "Themes From William Blake's ..." (1998) bis hin zu einem neuen Stück ("England") aus dem bevorstehenden "Wars Of The Roses".
Sechs HD-Kameras waren im Einsatz, und die Band hat sich nach dem Konzert selbst um die Audio-Mischung gekümmert, in ihrem eigenen Studio.
Die Reise durch die vergangenen knapp 14 Jahre ULVER startet mit einem kleinen Mond, vor dem offenbar ein Erhängter baumelt, dem Blut aus dem Mund läuft; es handelt sich um den Performance-Künstler IAN JOHNSTONE, der auch am Ende noch einen (Nackt)Auftritt hat. Neben den Visualisierungen aller Songs auf einer Leinwand im Hintergrund und verschiedenfarbigen LED-Strahlern geschieht also auch ab und zu etwas unmittelbar auf der Bühne. Schon zu Beginn fällt die gute Kameraarbeit auf: verschiedene Perspektiven, ein deutliches, scharfes Bild und interessante Überlagerungen.
Die Musik fließt ineinander, sämtliche Titel verweben sich zu einem großen Gebet oder Gedicht. Dabei orientieren sich die Stücke an den Studio-Versionen, wurden von ULVER aber umarrangiert oder mit zusätzlichen Instrumenten versehen. Dazu geht eine Sonne auf, oder Sportlerinnen aus Schwarz-Weiß-Zeiten springen kunstvoll vom Turm; nichts Spektakuläres eigentlich, aber in seiner schlichten Wirkung ungeheuer mächtig zur Musik. Häufig tauchen verstörende, provokative Bilder aus dem Dritten Reich, von Atomversuchen oder aus alten Pornofilmen auf – die Norweger lassen nur wenige gute Haare an der Menschheit.
Klanglich verweisen ULVER auf ihre Gegenwart, sind rockig-progressiv. Sänger
KRISTOFFER RYGG meistert seine Aufgabe bravourös, was ein wenig im Gegensatz zu Berichten über andere Live-Konzerte aus dieser Zeit steht, aber vielleicht hat hier ein wenig die Nachbearbeitung geholfen. Einige Gäste – wie
FENNESZ, von dem ich nicht wusste, dass er eine Verbindung zu ULVER pflegt – tauchen auf, und nach knapp eineinhalb Stunden ist diese akustisch und optisch brillante Show vorbei, ohne Extras, ohne Zugaben, aber es sind eben ULVER.
Mit dem britischen Label
KSCOPE scheinen ULVER ihre progressiven Jahre verbringen zu wollen; auch
ANATHEMA sind hier unter Vertrag, mit denen die Skandinavier zum jetzigen Zeitpunkt meines Erachtens gut zu vergleichen wären. Der Auftritt in der norwegischen Staatsoper erscheint als umfangreiches Paket. Sowohl Blue-Ray- als auch DVD-Version liegen bei, dazu ein 32seitiges Booklet mit ausführlichen Vor- und Nachworten. Ein mächtiges, bildgewaltiges und klanglich einwandfreies Abbild der jüngeren ULVER-Geschichte, Pflichtkauf für Fans und perfekt für Einsteiger, die sich mit der Post-Black Metal-Zeit der Band beschäftigen wollen.