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Michael We.

W. G. SEBALD: Austerlitz (Hörspiel)

Verschachtelte Vorlage gelungen umgesetzt


W. G. SEBALD: Austerlitz (Hörspiel)
Genre: Hörbuch
Verlag: Der Hörverlag
Erscheinungsdatum:
März 2012
Medium: CD
Preis: ~15,00 €
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Hörbeispiel am Ende des Artikels!

Kurz vor seinem Tod veröffentlichte W. G. SEBALD diesen in seiner Erzählstruktur äußerst komplexen Roman (2001). Der Ich-Erzähler trifft im Jahr 1967 zufällig den Architekturhistoriker JACQUES AUSTERLITZ am Antwerpener Hauptbahnhof. Der ungefähr 60jährige Mann ist auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Als Kind jüdischer Eltern aus Prag brachte ihn im Alter von viereinhalb Jahren ein sogenannter Kindertransport während des Zweiten Weltkrieges nach England. So entkam er der Deportation in ein Konzentrationslager. Bei Zieheltern in einer kleinen Stadt in Wales wuchs er auf. Erst Jahrzehnte später, gegen Ende seines Arbeitslebens, beginnt er mit der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte und der Erforschung seiner Identität. Er kehrt zunächst nach Prag zurück und findet dort sein ehemaliges Kindermädchen, reist anschließend weiteren Spuren durch Europa hinterher.
Dem ersten Zusammentreffen mit dem Erzähler in Belgien folgen weitere, etwa in Paris oder London, über einen Zeitraum von rund 30 Jahren hinweg. Dabei nimmt AUSTERLITZ seine Berichte jeweils an dem Punkt wieder auf, an dem das letzte Treffen endete, selbst nach der größten Pause von etwa 20 Jahren. Die Aufgabe des zuhörenden Protagonisten klärt sich schnell: Er schreibt nieder, was ihm AUSTERLITZ erzählt, um die Geschichte dieses einzelnen Menschen stellvertretend für die gesamte deutsche bzw. jüdisch-europäische festzuhalten.

SEBALD, selbst ein Suchender und (nach England) Ausgewanderter, packt die Lebensgeschichte von AUSTERLITZ in die umständliche Struktur zweier Erzähler: Der Ich-Erzähler gibt unmittelbar das von AUSTERLITZ Erzählte wieder. Zwischen der architektonischen Analyse von Bahnhöfen - eines der vielen wiederkehrenden Sujets neben SEBALDs Hauptthema, der Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung - fließt eine nebensatz- und assoziationsreiche Sprache; der längste Satz erstreckt sich über rund neun Seiten. Die formelhafte Wiedergabe - allein das zigfache "...sagte Austerlitz..." - wirkt trotz des Sprachflusses oft etwas manieriert, steif, kommt dafür ohne jegliche Melodramatik aus, auch wenn es um verstörende Inhalte wie die Beschreibung eines KZs geht.
Zum 10. Todestag von W. G. SEBALD (Dezember 2011) produzierte der MITTELDEUTSCHE RUNDFUNK von "Austerlitz" nun eine Hörspielfassung. Sie wurde am 14. Dezember zum ersten Mal im Radio ausgestrahlt und ist jetzt über den HÖRVERLAG auch als CD zu haben. Zwei Fragen sind dabei spannend: Wie wurde die verschachtelte Struktur umgesetzt, und fehlen die rund 80 ins Buch eingearbeiteten Fotos, die den dokumentarischen Charakter stärken, Realität bewirken?

Die 83 Minuten starten recht gruselig, mit einer Kinderstimme, die nach einer zufallenden Wagon- oder Hallentür abrupt verstummt. Sofort beginnt der Ich-Erzähler (ULRICH MATTHES) seinen nüchternen, fast wissenschaftlich-kühlen Vortrag. Ab und zu tauchen dezente Geräusche auf, Soundeffekte oder kurze, dronige Sounds. Dies sorgt häufig für ein Dark Ambient-Gefühl, etwa wenn gegen Ende mancher Tracks knackende, knisternde Loops mit Stimmsamples die Überleitung zum nächsten Take bilden. Immer wieder taucht ein Klang ähnlich einer Spieluhr auf, der wohl das Thema 'Zeit' umsetzt. Generell bilden die Geräusche aber keine typischen Hörspiel-Sounds ab (wie zum Beispiel Regen), sondern eher Emotionen.
Bereits nach kurzer Zeit ist festzustellen: "Austerlitz" ist leichter zu hören als zu lesen, weil hier nicht in verschachtelten Sätzen das Zitat eines Zitates zitiert wird, sondern AUSTERLITZ direkt und unmittelbar hörbar ist (ERNST JACOBI), weil er spricht, weil seine Geschichte immer wieder als direkte Rede eingeschoben wird, teilweise sogar mitten in den Satz des Erzählers. Zudem sind Angaben von Zeit und Ort noch extra durch eine leicht verfremdete Stimme des Erzählers gekennzeichnet, so dass eine Orientierung leichter fällt. Auch AUSTERLITZ, wenngleich etwas emotionaler als der Erzähler, trägt seine Gechichte ruhig vor, eher lesend denn spielend. Am lebhaftesten ist später der Auftritt von VERA RYSANOVÁ (ROSEMARIE FENDEL), der ehemaligen Nachbarin und dem Kindermädchen von AUSTERLITZ.
Der gesamte Aufbau hat etwas Tagebuch-ähnliches, so dass beide gestellten Fragen positiv beantwortet werden können: Die Umsetzung ist gelungen, und die dokumentarische Anlage bleibt auch ohne ein zusätzliches Medium greifbar.

Wer "Austerlitz" wählt, weiß vermutlich, was ihn erwartet. Daran ändert auch diese Hörspielfassung nichts. Konzentriertes Zuhören ist erforderlich, obgleich es dem Regisseur gelungen ist, die verschachtelte Struktur erstaunlich hörgerecht aufzulösen. Passende Stimmen und kleine Kunstgriffe sorgen dafür, dass diese 'To Go'-Variante funktioniert!


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» "Austerlitz" @ Wiki
» private und umfassende SEBALD-Seite
» SEBALD zu "Austerlitz" im SPIEGEL


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Zusammenfassung
Wer "Austerlitz" wählt, weiß was ihn erwartet. Konzentriertes Zuhören ist erforderlich, obgleich es dem Regisseur gelungen ist, die verschachtelte Struktur erstaunlich hörgerecht aufzulösen. Passende Stimmen und kleine Kunstgriffe sorgen dafür, dass diese 'To Go'-Variante funktioniert!

Inhalt
1 Audio-CD, Laufzeit: 83 Minuten
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