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Thomas L.

Der Mordbrand von Oernolfsdalur

Spreckelsen/Menschik


Der Mordbrand von Oernolfsdalur
Kategorie: Rezension
Wörter: 844
Erscheinungsdatum:
2011
Medium: Buch
Preis: ~25,00 €
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TILMAN SPRECKELSEN / KAT MENSCHIK:
"Der Mordbrand von Oernolfsdalur"

Der vorliegende Band startete zunächst als Geheimtipp, geriet aber dann in den Sog der Frankfurter Buchmesse, die Island in diesem Jahr zum Schwerpunkt auserkoren hat, und verhalf somit den altisländischen Sagas zum mitunter skurrilen Einzug in die Tagespresse. Nun mag eine Rezension in der WELT nicht weiter verwundern, aber die euphorische Hervorhebung des Bandes mitsamt der düster-archaischen Bilder von KAT MENSCHIK durch die intellektuell überschaubare Ruhrgebietspostille WAZ zeugte einmal mehr von der Beliebigkeit und Willkür des journalistischen Tagesgeschäfts: Wäre das Thema nicht Buchmessenschwerpunkt, hätten die Redakteure der WAZ sich freilich eher die Hände abgehackt, als über isländische Sagas etwas auch nur ansatzweise Positives zu berichten. Den Hype um Island kann man diesem Buch jedoch nicht negativ auslegen; denn dafür, soviel sei vorweg genommen, ist es viel zu gut.

Fünf klassische Isländersagas haben sich SPRECKELSEN und MENSCHIK vorgenommen: jene von EGIL SKALLAGRIMMSON, GUDRUN OSVIFRSDOTTIR, GRETTIR, HÜHNRERTORIR und dem NJAL. Abgeschlossen wird das ganze mit einem Essay von ARTHUR BOLLASON über "Die Isländer und ihre Sagas".
In keinem Sagabuch darf jene von EGIL SKALLAGRIMMSON fehlen; dem berühmten Wikinger und Skalden, der sich gleichermaßen durch Mordlust wie durch Dichtkunst auszeichnet. Der hyperaktive EGIL rammt als Siebenjähriger einem Spielgefährten die Axt in den Kopf; dafür wird ein weiterer Spielgefährte von ihm von seinem Vater erschlagenen, da er diesem beim Spiele zu sehr erschöpft habe. Nachdem EGILs Vater nun auch im Rausch seinen Sohn umbringen will, stellt sich seine Amme ihm in den Weg und diese wird schließlich ins Wasser getrieben und gesteinigt. Und so geht es weiter in der EGILsaga, und dabei darf man verwundert sein, dass dieser tatsächlich ein hohes Alter erreichte und der Legende nach noch hochbetagt einen Schatz versteckte, der bis heute Hobbyarchäologen und Sondengänger beschäftigt.
Ein ebensolcher Klassiker ist die Saga von GRETTIR, dem gesetzlosen Wikinger, der es mit Wiedergängern aufnimmt und sich als Räuber verdingt. Ein düsteres Bild zeichnet abschließend die Nacherzählung der NJALsaga, die von den befreundeten Bauern NJAL und GUNNAR berichtet, die - angetrieben von der Geltungssucht ihrer neidischen und streitlustigen Ehefrauen - in einen Konflikt gezogen werden, bei dem das Mitzählen der Erschlagenen zur anspruchsvollen Mathematik wird. Ein Menschenleben ist wenig wert in jener Zeit und mit einem Topf Gold abgegolten; selbst der Tod der eigenen Söhne wird dem Nachbarn nicht krumm genommen, solange das Wergeld stimmt. Gerade dieses archaische Bild spricht für die unverfälschte Authentizität der Sagen; im Gegensatz zur höfischen Literatur Mitteleuropas, die das Ideal der Minne und Selbstaufgabe propagiert, geht es im Norden mehr um die Frage: Wie komme ich am besten durch den Winter und wer kann mir dabei nützlich sein? NJALs Hof geht nach schier endlosen und immer weiter eskalierenden Konflikten schließlich in Flammen auf.

Ein großartiges Buch, das man sich aus vielerlei Gründen zulegen sollte: Zunächst sind die alten Sagas gleichermaßen ein atemberaubender literarischer Schatz und der Widerhall einer zu Unrecht vergessenen Kultur. Wer sich für das Altnordische, die Wikinger als Krieger (SKALLAGRIMMSSON) oder Bauern (NJALsaga) interessiert, der findet hier eine Fassung, die zwar modern ist, aber dennoch nicht den Geist des Originals verrät. Nordische Sagas sind nur bedingt kompatibel mit dem zeitgenössischen Blick auf den Menschen; verlangt der Leser meist nach einem edel gesinnten Protagonisten, der als Identifikationsfigur zu dienen hat, und dem zumeist noch eine ebensolche Gefährtin zugeführt wird, so sind die Figuren der Sagas meist nur bedingt dazu geeignet, auf Anhieb die Sympathien der Leser zu gewinnen. Kaum jemand, der nicht den ein oder anderen aus Rachsucht, Gier oder schlicht der günstigen Gelegenheit halber erschlagen hat, und auch kein Lied der Hohen Minne wird hier gesungen, wie es zeitgleich in der Provence erklang. Nirgends wird dies deutlicher als in eben jener Saga vom weisen NJAL, in der nicht Liebe, sondern Überleben und Besitz die Menschen zusammenführen und zumeist auch zugrunde richten. Hier ähneln die Sagas den griechischen Mythen und Tragödien - wie harmlos und harmonisch auch manches beginnen mag, man kann recht sicher sein, dass am Ende alle tot oder zumindest unglücklich sind. Dass TILMAN SPRECKELSEN hier auf moderne Leserbedüfnisse keine Rücksicht genommen hat, ist ihm hoch anzurechnen und spricht für seinen Respekt vor den Sagas. Gekürzt hat er allerdings bei den nahezu unüberschaubaren Auflistungen von Verwandtschaftsverhältnissen; nicht erst seit MONTY PYTHONs berühmten Saga-Sketchen weiß man, dass wenn die Abstammungsverhältnisse geklärt sind, man mitunter schon die Seite 60 erreicht hat. Hier kann man also durchaus von Vereinfachung im Sinne des Lesers sprechen.
Absolut fantastisch sind die von KAT MENSCHIK geschaffenen Bilder, die durch ihre Kargheit und düsteren Farben eine strenge und altmodische Ästhetik schaffen, die nahtlos an die Gemälde der Saga-Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts anknüpft. Schönheit und Härte, Ehre und Mordlust gehen hier Hand in Hand durch die faszinierende Kulisse der isländischen Einöde. Die Gemälde sind wie Banner, die sich sofort in den Kopf einbrennen, erinnern mitunter an die "Edda"-Illustrationen des FRANZ STASSEN. Allein schon für diese Bilder lohnt die Anschaffung. Ein überaus bibliophil gestalteter Band mit großartigen Geschichten und ebensolchen Illustrationen. Eines der schönsten Bücher des Jahres 2011.

 
Thomas L. für nonpop.de



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