Der Sound von SIEBEN ist einfach unverkennbar, trotz Änderungen von Album zu Album. So ist auch die neue – und wenn ich mich nicht verzählt habe zehnte – Studioproduktion schon nach wenigen Tönen dem Briten
MATT HOWDEN und seinem Ein-Mann-Projekt zuzuordnen. Eindringliche Stimme und geloopte Geige sind seit rund 15 Jahren sein Markenzeichen und widersetzen sich jeder Genreschublade. Auch an "No Less Than All" hat er in seinem
REDROOM-Studio (gleichzeitig auch der Name seines Labels) wieder ganz allein gearbeitet. Herausgekommen ist ein energiegeladenes Album, welches aber die Linie der jüngsten Veröffentlichungen weiter verfolgt und weniger schrill und aggressiv daher kommt als die früheren Werke. Neben "As They Should Sound" (
Besprechung) und "The Matter Of Britain" (
Besprechung), der Zusammenarbeit von MATT HOWDEN mit seinem Vater (allerdings nicht unter dem Namen SIEBEN), gehört "No Less Than All" für mich zu den besten Werken der letztjährigen
HOWDEN-Veröffentlichungen.
Nicht zu übersehen ist der optische Sprung in die Moderne, wenn nicht gar in die Zukunft. Das Booklet ähnelt einer Diaserie, die nach einem Atomschlag angefertigt wurde. Und auch die Texte spiegeln die Auseinandersetzung mit Phänomenen unserer Zeit wider, etwa "Preacher Online" (aus dem mein neues englisches Lieblingswort "Faith-twittering" stammt), oder "Black Dog Day", in dem es um Manipulation und Überwachung geht. Religion, Glaube und das Unglaubliche (wie Telekinese) scheinen ein großes Thema zu sein, zumal einige der Stücke eine gewisse predigende, religiöse Anmutung haben, konterkariert von den Texten.
Die Musik folgt der Linie der vergangenen zwei, drei Jahre. Die Geige wirkt weniger aggressiv, die Percussion ist ungeheuer rhythmisch und treibend, die Stimme hält das hohe Niveau. Einige Beispiele: "Preacher Online" (02) kommt mit einer minimalen Instrumentierung aus; die Geige spielt leise und klar, ein zurückhaltendes Schlagwerk gibt den hypnotischen Takt vor, und selbst die Stimme von MATT
HOWDEN ist leicht verfremdet, flüsternd, zurückgenommen. Trotzdem strahlt der Song eine ungeheure Energie aus, man möchte beim Hören aufspringen, sich bewegen. Das gilt auch für "I Saw A Face" (03), hier erinnert mich die Stimme an sanfte Songs von
PETER GABRIEL (wie "Mercy Street") oder – wieder einmal – an
PATRICK LEAGAS. "Transmission" (05), im Original von
JOY DIVISION, packt MATT HOWDEN in ein etwas ruhigeres Gewand, mit typischer SIEBEN-Percussion und angenehmer Stimme sowie einem Geigen-Solopart. "He Can Delve In Hearts" (09) klingt sehr futuristisch. Die Stimme ist wieder spacig verfremdet, Bass und Geige wummern unruhig, erwecken den Eindruck einer Verfolgungsjagd. Erzählt wird die Geschichte eines Fieslings, der sich in Herzen eingräbt und den Menschen das Leben aussaugt – einer der wenigen Momente, in denen die SIEBEN-Geige 'schreit'. Der Titelsong schließlich (11) beruhigt wieder, ist ganz besonders zurückhaltend und deshalb umso intensiver, die Stimme einschmeichelnd und überzeugend, mit in Trance versetzender Wiederholung des Tracktitels. Einer der besten Songs, die
HOWDEN bislang produziert hat; er singt über die Unfähigkeit der Menschen, einfach nur zu leben.
"No Less Than All" ist insgesamt sehr puristisch und deshalb umso stärker, packender. Die zwölf Stücke hinterlassen in ihrer Abfolge einen fließenden, kraftvollen Eindruck, und das Energieniveau ist sicher eines der höchsten aller SIEBEN-Veröffentlichungen.
HOWDEN verströmt große Klarheit, Transparenz im Sinne von ungetrübter Sicht, vor allem auch textlich. Warum die Popwelt bei all den Balladen und Singer / Songwritern, die gerade in den Charts sind, diesen Mann mit seinem sympathischen, intelligenten und durchaus poppigen Charme noch nicht entdeckt hat, ist mir schleierhaft.
Am 4. Februar feiert MATT als Support für IN THE NURSERY bei einem Konzert in Leipzig übrigens die offizielle Veröffentlichung des Albums. Details siehe NONPOP-Konzertdaten.