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Thomas L.

JÄNNERWEIN: Nach der Sehnsucht


JÄNNERWEIN: Nach der Sehnsucht
Genre: Neofolk
Wörter: 801
Medium: CD
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Im Jahr 2009 feierte die Salzburger Formation JÄNNERWEIN auf dem WGT einen umjubelten Überraschungserfolg und zählt seither zu den großen Hoffnungsträgern der Szene. JÄNNERWEIN vereinten die strenge, bündische Variante des Neofolks mit Versatzstücken ihrer alpinen Heimat und konnten mit ihrem Debüt „Abendläuten“ vollauf überzeugen. Im Eigenverlag legen sie nun rund zwei Jahre später den Nachfolger mit dem etwas sperrigen Titel „Nach der Sehnsucht/Von der Beständigkeit der Erinnerung“ vor.
Das Album beginnt mit der „Einleitung“; aus dem Ticken einer Uhr entwickelt sich ein von Zupfgitarre und Akkordeon geprägtes, melancholisches Intro. Das nachfolgende „Durch jede Stunde“, dem ein Text von GOTTFRIED BENN zugrunde liegt, ist ein typischer JÄNNERWEIN-Hit, der in dieser Form auch auf dem Debüt seinen Platz gefunden hätte. Das Stück ist streng durchstrukturiert und der kühle, bündisch mahnende Gesang ist punktgenau intoniert – bereits hier offenbart sich eine der absoluten Stärke der Musiker: sie können sowohl die martialische als auch die melancholische Pose einnehmen ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Das sie musikalisch seit „Abendläuten“ immens dazugelernt haben, kommt verstärkend hinzu, sodass das durch die Musik transportierte Selbstbewusstsein durchaus berechtigt ist.
„Sehnsucht“ ist ein Instrumentalstück, das recht gut die Grundstimmung des Albums ausdrückt, die weitaus nachdenklicher, melancholischer und persönlicher ausfällt als auf dem Debüt. Dies wird auch in den Texten deutlich, die weniger plakativ ausgefallen sind und mehr den persönlichen Rückzug zum Ausdruck bringen. Geblieben sind dabei aber die Natursprache und ein persönliches Streben nach dem Höheren, was mal im Ideal, in der Natur, in der Heimat oder eben im Göttlichen besungen wird. Aus all dem entspringen eine Ernsthaftigkeit und eine feierliche Stimmung, die grandios durch die fantastische Vertonung von NIETZSCHEs „An den Mistral“ vorgeführt werden. Nun mag man mit einem NIETZSCHE-Text nicht mal mehr ein müdes Lächeln hervorrufen, aber wer den großen Denker so pointiert inszeniert, der steht über dem Klischee. Hier brechen JÄNNERWEIN auch mit den starren Grenzen des Genres – die hier wohl verwendete Bouzouki verbreitet ein mittelalterliches Flair und die Trommel schlägt monoton und rituell, gekrönt wird alles mit dem abschließend einsetzenden hymnischen Gesang – ein fantastisches und hypnotisches Stück!
Das folgende „My Prime Of Youth“ wird von THOMAS BØJDEN von DIE WEISSE ROSE vorgetragen. Den Text schrieb der britische Dichter CHIDIOCK TICHBORNE 1586 eingekerkert im Tower und im Angesicht seines Todes. Die musikalische Untermalung fällt dementsprechend traurig und resignierend aus; für die Melancholie steht die wunderbare Geige, für den nahen Tod die Snare. Musikalisch ein absolutes dichtes und ergreifendes Stück, von BØJDEN zudem in unteren Tonlagen entsprechend verbittert vorgetragen.
Nach soviel Melancholie und heroischer Trauer geht es dann mit „Daran haben wir die Liebe erkannt“ erstmals etwas fröhlicher weiter; zwar instrumental, aber Geige, Akkordeon und Gitarre klingen hier wieder optimistischer und dem Leben zugewandter. Auch wird das Können der Musiker deutlich, die auch mit einem Instrumentalalbum überzeugen könnten. „Schweigen“ ist wiederum von Bouzouki und Gitarre geprägt; der Gesang ist hier erstmals weicher und zerbrechlicher gehalten, sodass das Stück dann tatsächlich ein wenig nach den 70er Jahre Liedermachern von ELSTER SILBERFLUG klingt.
 „Gram“ beginnt rhythmisch streng und spannt den Bogen zu JÄNNERWEINs Anfängen; wenn man Vergleiche ziehen will, könnte man sagen, dass die späten FORSETI hier Kameraden im Geiste sind. „Erwachen“ ist dann wieder schwung- und hoffnungsvoll; Berg- und Naturbilder, der Mensch eingebettet im alpinen Zyklus, und allgegenwärtig natürlich der Berg. Die folgenden letzten drei Stücke sind persönlicher und ruhiger gehalten; bis am Ende von „Dein Bild“ die Uhr erneut zu Ticken beginnt und die CD nach rund 50 Minuten ihr Ende findet.
„Nach der Sehnsucht“ ist ein großartiges Album geworden, dem man stilistisch nicht gerecht wird, wenn man es schlichtweg unter Neofolk verbucht. JÄNNERWEIN haben sich musikalisch und textlich immens weiterentwickelt. Sie etablieren sich als versierte Liedermacher mit eigenem Stil. Allein das Zusammenspiel von Laute und Geige ist schlichtweg ein Genuss; keine andere Band erwirkt einen derartigen Klang – ein instrumentales DEATH IN JUNE-Album ist eine Tortur, ein instrumentales JÄNNERWEIN-Album immer noch ein Juwel. Der mehrstimmige Gesang, mal harsch und ernst, mal fragil, mal hymnisch sakral, trifft immer den richtigen Ton; wo viele Bands nicht eine ordentliche Stimme besitzen, da haben JÄNNERWEIN gleich drei. Nicht nur für Fans des klassischen Neofolks ist das Werk ein Pflichtkauf; auch die Anhänger der deutschsprachigen Liedermacher der 70er Jahre oder der tatsächlichen, traditionellen volkstümlichen Musik kommen hier auf ihre Kosten. Das alpine Element ist hier kein Werbemittel, sondern verinnerlichte Identität, die authentisch und ernsthaft ausgedrückt wird – Melancholie, Gottsuche (oder vielmehr die direkte Wahrnehmung des Göttlichen), Idealismus und Heimatverbundenheit, all das spiegelt sich in den Texten und der Musik ungetrübt wider.
In diesem Zusammenhang sei auch auf das bandeigene Label RAINBERG verwiesen, dass zukünftig auch Plattform für weitere Veröffentlichungen von Solo-Projekten der JÄNNERWEIN-Mitglieder sein wird. Ich hege keinen Zweifel daran, dass in diesem Kreise noch weitere große Alben geboren werden.


 
Thomas L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» JÄNNERWEIN bei Myspace

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» JÄNNERWEIN: Eine Hoffnung


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Zusammenfassung
„Nach der Sehnsucht“ ist ein großartiges Album, das nicht nur unter „Neofolk“ verortet werden sollte.

Inhalt
Digipak mit allen Texten.

1. Einklang
2. Durch Jede Stunde
3. Sehnsucht
4. Lass Mich Hinaus
5. An Den Mistral
6. My Prime Of Youth
7. Daran Haben Wir Die Liebe Erkannt
8. Schweigen
9. Gram
10. Erwachen
11. Blühen & Vergehn
12. Ecce Homo
13. Dein Bild

~ 50 Minuten
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