VARIOUS: Archipel Électronique Vol. 1

Das kleine französische Label D'AUTRES CORDES RECORDS hat in den vergangenen zehn Jahren eine überschaubare Anzahl an Veröffentlichungen mit 'moderner Musik' herausgebracht; vor allem mit zeitgenössischem Jazz und Elektroakustik von französischen Künstlern. Dieser Sampler bietet nun eine Art Zusammenfassung an, obwohl noch nicht alle beteiligten Musiker auch solo auf D'AUTRES CORDES RECORDS aktiv waren und der Schwerpunkt eher auf Elektroakustik und noisigen Basteleien (und nicht auf Jazz) liegt.
Obwohl es laut Labelinfo um die 'jüngere französische Generation' geht, sind keinesfalls nur unbekannte Künstler am Start. Zu den (mir) bekannteren zählen zum Beispiel der Komponist und Gitarrist FRANCK VIGROUX (*1973) oder SÉBASTIEN ROUX (*1977), der am berühmten INSTITUT DE RECHERCHE ET DE COORDINATION ACOUSTIQUE MUSIQUE (IRCAM) arbeitet.

"S.L.O.T." (01, CHRISTOPHE RUETSCH) eröffnet sehr rhythmisch, die Beeps und Klicks gemahnen fast an Drum'n'Bass. Dazwischen liegen gewaltige Ambientflächen, welche der Beat immer wieder unterteilt. Dazu erklingt eine Unzahl an verschiedenen, offenbar analogen Geräuschen (bis hin zu Pianotönen) und Sprachsamples (teilweise verfremdet), so dass sich insgesamt der sehr visuelle, museale Eindruck einer großen Collage ergibt. "France Matraque" (02, FRANCK VIGROUX) ist ein sehr hörspielartiges Ambientbett, höhlig mit Geräuschen und Schritten, eine einzige Bewegung im Raum. ERIKM ist auch kein Unbekannter, spielt mit FENNESZ im Duo und war schon bei den Donaueschinger Musiktagen, dem europaweit größten Festival für Neue Musik zu Gast. Die Feuerwehrsirene in seiner Unfall-Komposition ("Une Canopée Aux Accidents" 03) hält lange an, wird zunehmend verfremdet und zerstückelt. Anschließend entsteht auch hier ein collagiger Eindruck mit langen Ambientphasen, leisen Drones im Hintergrund, knarzenden und nagenden Geräuschen zu Regenplätschern. In "Matrice" (04, ANNABELLE PLAYE) stimmen sich Instrumente auf ein Konzert mit sehr moderner Musik ein, analoge mischen sich mit digitalen Sounds, brausen durch den Orchestergraben hindurch und werden zum Teil sehr noisig. "Un Jour Mes Restes Au Soleil" (05, BÉRANGÈRE MAXIMIN) ist eine wunderbar entspannte Mischung aus FENNESZ und dem Cello von GUÐNADÓTTIR. Analoge Instrumentenklänge, Streicher vor allem, vermengen sich zu einem wohligen, manchmal knarzenden Soundbett.

Es folgen zwei härtere Stücke: "NOP" (06, JÉRÔME MONTAGNE) ist ein reiner Zahnarztbohrer, sowohl vom Sound als auch von den assoziierten Emotionen her. "Still Dead" (07, KASPER T. TOEPLITZ) besteht genau acht Minuten lang aus derbem, schweren Rauschen, welches kaum wahrnehmbar die Frequenz ändert; purer Noise. "C" (08, SEBASTIÉN ROUX) ist, mit Klickern und Klackern, wieder eine feine Ambient-Bastelei, und "L'Intelligence Pétrolifère" (09, SAMUEL SIGHICELLI), bildet den Abschluss mit Bahnhofsatmosphäre: viele Menschen sind unterwegs, Sprachfetzen wehen von überall her, ploppen auf den Boden wie Tennisbälle; passend dazu das Quietschen von Turnschuhen.

"Archipel Électronique" ist ein sinnlicher Audiogang durch ein Museum für moderne Kunst. Gut hörbar (und hörenswert), innovativ und stimmungsvoll, allenfalls zwei Tracks lang etwas fordernder, weil krachig. Es handelt sich zumindest teilweise um unveröffentlichte Stücke, und für den Preis von 10 Euro (so viel bzw. wenig kosten übrigens alle D'AUTRES ...-CDs) sollten alle zuschlagen, die ein Ohr für moderne, elektroakustische Musik haben. Der Zusatz 'Vol. 1' deutet übrigens darauf hin, dass es weitere Sampler geben wird – prima!

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