ART ABSCONS: Der Verborgene Gott

Kollege TONY F. hat in seinem jüngsten WGT-Artikel zu Recht darauf hingewiesen, dass die meisten aktuellen Neofolk-Projekte leider nur den Genrezerfall belegen (klampf klampf). Umso schöner ist es, wenn völlig unerwartet ein Lichtblick oder, wie im Falle dieses Albums, gar eine ganze Lampenabteilung auftaucht.
Ich muss zugeben, dass der Mann aus Deutschland mit der seltsamen Monstermaske, die fast ein wenig an Perchten erinnert, bisher spurlos an mir vorübergegangen ist und die aktuelle CD eher eine Zufallsentdeckung war. Die Diskografie von ART ABSCONS reicht zwei Jahre zurück (2009) und umfasst einige Werke, auch "Der Verborgene Gott" wurde 2010 schon einmal veröffentlicht. Die damalige LP und die zeitgleich selbstverlegte CDR unterscheiden sich allerdings von der jetzigen, offiziellen CD-Ausgabe. Einige Lieder von damals finden sich nicht auf der Neuauflage wieder, umgekehrt waren einige der aktuellen Stücke nicht auf dem Vinyl vertreten, so dass sich der Kauf auf jeden Fall schon deshalb lohnt.

Maske? Nein, ein Vergleich mit DEATH IN JUNE ist nicht zwingend notwendig. ART ABSCONS gibt, im Gegensatz zur vermeintlichen Anonymität von DOUGLAS P., tatsächlich nichts von sich preis. Auch einige frühere Besprechungen schreiben deshalb nur über die Musik, wobei die Begriffe 'military' und 'martial' fallen, was auf das jetzige Album kaum zutrifft. Einige Gäste sind wohl dabei, unter anderem Musiker der US-Neofolker von LUFTWAFFE. Und, das verrät uns die Labelinfo, ART ABSCONS sei im Symbolismus und der Romantik verhaftet, was sich aufgrund der romantischen Lyrik und dem Traumhaften der Texte beim Hören schnell bestätigt. Sympathisch an diesem Projekt ist von Beginn an, dass nichts übertrieben wird. Neofolk-Klischees bleiben außen vor, Vorbilder zu kopieren ist nicht nötig, die Romantik wirkt nie zu dick aufgetragen. Alle Bestandteile fügen sich zu einem verlockenden und grandiosen Ganzen.

Schon die ersten Sekunden von "Morgendämmerung" (01) beweisen, wie gelungen die verschiedenen Elemente verwoben werden. Gleichzeitig singen Engel und grummelt ein Monster. Die verbale Einführung gemahnt unverzüglich an romantische Lyrik, der Text hat insgesamt etwas von einem Kinderschlaflied ("... von Engeln bewacht, von Teufeln erdacht ..."). Musikalisch erinnert dieses Stück sehr an NAEVUS, Schlagzeug und Akkordeon passen zur angenehmen, verträumten und poetischen Stimme. Glöckchen machen alles luftig und leicht – eine Blumenwiese! Textlich ergeben sich nicht nur an dieser Stelle Parallelen zu den frühen Werken von ENDRAUM, insbesondere zu "Der Rosengarten" oder "Ein Wanderer" (auf dem Tape "Sehnsucht" 1991).
Die Anmutung bleibt dichterisch (02), wenn sich auch die Instrumentierung ändert: rituelle Trommeln (à la DEAD CAN DANCE) plus Flöte, dazu ein französischer Text, tatsächlich insgesamt leicht marschierend. Ein lyrischer, deutscher Zwischenpart, mit entsprechender Stimme vorgetragen, sorgt wie eine Lichtung im Wald für Ruhe und Einklang. "Rune" (03) verspricht allein durch die Betitelung ein klassisches Neofolk-Sujet, entpuppt sich aber als Liebeslied für eine unbekannte Frau, mit dunklen Trommeln im Hintergrund, Flöte und rezitativem Vortrag. "Der Verlassene Hain" (04) ist wieder treibender; rhythmische Percussion und dezente Synthies tragen den naturnahen Text. Einfache Mittel ergeben einen umwerfenden, berührenden Track, beinahe trotzig steht die Wiederholung "Wir sind immer hier" im Raum.
Auch "Liliensonne" (07) ist wunderschön, der neoklassische Eindruck entsteht durch leise Trommeln, etwas Harfenähnliches im Hintergrund und eine Art Operngesang zwischendurch. Passend legt sich der Sprechgesang (erst deutsch, dann englisch und stimmlich wieder nah an NEAEVUS) über Musik, die eine Weiterentwicklung von RAVELs "Boléro" sein könnte. Wirklich berührend und beeindruckend, obwohl immer am Rande zum Kitsch. "Erscheinung" (08) tönt zum ersten Mal ein wenig nach DIJ, etwa nach "Death Is The Martyr Of Beauty", und "Effigy" (09) ist beinahe Pop mit seinen Geigen, Glöckchen und dem griffigen Rhythmus.

Eine gelungene, ja atemberaubende Mischung aus Neofolk, Neoklassik, (Natur)Romantik, Dramatik und Traum mit seltsam berührenden, lyrischen Texten ("Niemand ist da, der das Weltall erschuf!"). Wie der Titel schon vermuten lässt und viele Passagen bestätigen, dreht sich das Album thematisch oft um die Abwesenheit eines Gottes und die sich selbst überlassene Natur. Eine Post-Schöpfungsgeschichte? Ich bin froh, ART ABSCONS entdeckt zu haben. Diese CD macht glücklich, versprochen!