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rak

SYRIA: American Gothic

Im Elektrischen sitzend


SYRIA: American Gothic
Genre: Electro
Verlag: Black...
Erscheinungsdatum:
27.05.2011
Medium: CD-R
Preis: ~15,00 €
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Ganze 18 Jahre ist es zwischenzeitlich her, dass CHRISTIAN DÖRGE zusammen mit THILO WOLFF (LACRIMOSA), OSWALD HENKE (GOETHES ERBEN), BRUNO KRAMM (DAS ICH) und TROY (CATASTROPHE BALLET) das theatralisch-pathetische Album „Lycia“ aufnahm und damit die damals um sich greifende „Neue Deutsche Todeskunst“ zementierte. Ob dies ein Verdienst gewesen ist, mag an anderer Stelle diskutiert werden, unstreitbar jedenfalls ist, dass CHRISTIAN DÖRGE seither einen festen Platz in der Gothic-Szene innehat. Und das, obwohl er es dieser nun wahrlich nicht immer leicht macht.
Nach einem heftigen Bruch mit seinen ehemaligen Gefährten zog es ihn 1994 unter dem Namen SYRIA zunächst in Richtung Goth-Rock, dann wurde es ein bisschen jazzig-verspielt, bis er Anfang 2000 die elektronische Musik (und vor allem den Sampler) für sich entdeckte, die bisherige Bandstruktur zugunsten zweier Damen (ZASU MENIL und STINA SUNTLAND) auflöste und seither das Feld zwischen Intellekt, Electronic und Experimentalem bestellt. Wobei dieses offenbar derart fruchtbar ist, dass er mit der Ernte nebenbei auch noch zwei andere Projekte (BORGIA DISCO und ATOMIC NURSES) betreiben kann bzw. konnte. Von seinen Soloveröffentlichungen ganz zu schweigen. Müßiggang gehört also nicht gerade zu CHRISTIAN DÖRGEs Stärken. Kaum ein Jahr ohne ein bis zwei Veröffentlichungen, gerne auch mal als Doppelalbum oder mit Zusatz-EP. Und das alles ohne Zuhilfenahme der üblichen Strukturen wie etwa Label oder Vertrieb. Wenn schon independent, dann aber richtig!

Diesen heute eher selten gewordenen Geist der Unabhängigkeit nennt natürlich auch das offiziell elfte, reguläre Studioalbum sein eigen. Erstmals als Duo (ohne STINA SUNTLAND) aufgenommen, trägt es den (wahrscheinlich dem Humor seiner Macher geschuldeten) Titel „American Gothic“ und widersetzt sich schon allein dadurch den klassischen Marketingmechanismen. Denn wer sich auf den Titel verlässt, der wird bitterlich enttäuscht werden. Hier gibt es nichts weniger als Gothic zu hören. Vielleicht eine klein wenig düster-mystifizierte Attitüde, aber ansonsten erwartet einen ein Konglomerat aus Dance- und Industrialversatzstücken, die mitunter verwirrend zusammengemischt, aber trotzdem (oder gerade deswegen) immer sehr interessant anzuhören sind.
„Ein obskures, von 80er- und 90er-Jahre-Tanzmusik infiziertes Statement“ nennt es das Release-Info. Und tatsächlich marschieren SYRIA diesmal sehr in Richtung Tanzbarkeit. Mit gut gewählten Loops schnuppert man Club-Luft – wenngleich das wie etwa bei dem Instrumental „A Tree Grows In Trinity“ mit seinem 90er-Jahre-Großraumdisco 4-to-the-floor-Beat auch ein bisschen des Guten zu viel sein kann. Trotzdem gelingen SYRIA auf diesem Album die Spagate zwischen Anspruch und eingängiger Simplizität noch besser als auf ihren bisherigen Veröffentlichungen. Das Experimentale ist clever eingebettet, das Abseitige angenehm aufgehübscht. Offensichtlich haben sie ihre Nische inzwischen fest im Griff und können daher ganz entspannt ihrer Anything-goes-Mentalität frönen.

Wie immer gibt es keine Kompositionen im herkömmlichen Sinne zu hören, sondern eher ausgiebige Produktionen (oder Soundtracks), denen erst die von CHRISTIAN DÖRGE und/oder ZASU MENIL im Sprechgesang vorgetragenen Texte eine Art Strophe-Refrain-Struktur verleihen. Gerade beim von ZASU allein getragenen „We're Photons“ fühlt man sich damit wunderbar an die alten ALGEBRA SUICIDE oder CHRIS&COSEY erinnert. Und ebenfalls wie immer spielt natürlich die Lyrik an sich eine immanente Rolle im SYRIA-Kosmos. Mit kryptisch verkapseltem Wortgefühl werden Surrealismus und Innerlichkeit beschworen – was sicherlich mit ein Grund ist, weshalb SYRIA in Gothic-Kreisen trotz musikalischer Andersartigkeit gerne goutiert werden.

Insgesamt ein Album, das sich erfrischend wenig um Konventionen schert und jedem an Herz gelegt sei, der nach etwas Originärem sucht. Und einer kleinen, intellektuellen Spielerei nicht abgeneigt ist.


 
rak für nonpop.de



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Zusammenfassung
Mit „American Gothic“ beweisen SYRIA, dass elektronischer Eigensinn irgendwo zwischen Industrial und Dancefloor überaus unterhaltsam sein kann.

Inhalt
1. Exxile In Dystopia
2. Replicant Nights
3. We're Photons
4. White I
5. Gainsbourg
6. A Tree Grows In Trinity (Instrumental)
7. American Gothic
8. White II
9. Heroin
10. Technosphere
11. Creep (On A Loop)
12. We'll Always Have Paris
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