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Michael We.

ULVER: Wars Of The Roses

Prog-Art-Rock in Moll mit Überraschungen


ULVER: Wars Of The Roses
Genre: Postrock
Verlag: Kscope
Erscheinungsdatum:
30. April 2011
Medium: CD / LP
Preis: ~14,00 €
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Auf Seite 2: Ein Videointerview in vier Teilen, das FREETHINKERS BLOG mit ULVER zum neuen Album geführt hat!

Es gehört bei ULVER zum guten Ton, dass nichts lange so bleibt, wie es eben noch war. Wer sich im Netz durch die Geschichte der norwegischen Band surft, findet circa 20 verschiedene Genrebezeichnungen, mit welchen die Alben seit dem Debüt "Bergtatt" im Jahr 1994 abgedeckt werden (sollen). Black Metal steht am Anfang, so viel ist in der Regel sicher. Aber dann? Industrial, (Neo)Folk, Ambient, Trip Hop, Jazz und neuerdings Prog Metal; so wird das aktuelle Album "War Of The Roses" gerne kategorisiert, dazu gleich mehr. In den vergangenen vier Jahren, seit dem euphorisch gefeierten "Shadows Of The Sun" (2007), ist allerdings noch viel mehr passiert als ein einfacher – und zu erwartender – Stilwechsel.
Zum Beispiel sind ULVER nach rund 15 Jahren konsequenter Bühnenabstinenz eine Liveband geworden. Seit dem ersten offiziellen Konzert der Bandgeschichte, am 30. Mai 2009 zuhause in Norwegen (Maihaugen-Museum / Lillehammer), trat KRISTOFFER RYGG, Sänger und Kopf der Band, mit wechselnden Begleitern mehr als 40 Mal in Europa vor Publikum auf. Weitere Termine sollen noch in diesem Jahr folgen. Zugrunde liegt – nach eigener Aussage – die Erkenntnis von KRISTOFFER, dass Künstler, die ausschließlich von ihrer Musik leben wollen, Konzerte geben müssen, da der Verkauf von Tonträgern alleine nicht mehr genug einbringt.
Diese vernünftig-nüchterne Weltsicht durchzieht inzwischen auch andere Bereiche des ULVERschen Universums, etwa die Hochglanz-Präsenz im Netz mit allerlei Schnickschnack für Fans wie Desktop- und Handy-Hintergründen. Und schlussendlich scheint sich GARM (so der Spitzname des Frontmannes) auch persönlich für eine Neuordnung entschieden zu haben. Bezeichnete er sich selbst um die Jahrtausendwende noch als 'Satanisten', lehnt er diesen Ausdruck nun ab und erklärt (in einem Interview mit einem österreichischen Magazin), dass COIL zwar nach wie vor ein musikalisches Vorbild seien, sich ULVER aber von allen okkulten Ansichten entfernt hätten. (Mit STEPHEN THROWER ist auf "Wars Of The Roses" übrigens ein COIL-Mitglied der 1980er-Jahre an Bord.)
Dazu passt wiederum, dass ältere Songs, vor allem der ersten drei Alben, auf den Konzerten nicht gespielt wurden. Ein wenig provozieren wollen die Norweger dann aber doch, zeigten bei Liveauftritten unkommentiert Bilder von Holocaust-Massengräbern und RIEFENSTAHL (u.a. den "Turmspringer"), was oft für Betroffenheit und Stille im Publikum sorgte und ihnen unter anderem in Polen ein paar Beschimpfungen einbrachte.

Eigentlich hatte GARM nach "Shadows Of The Sun" ein Album mit Coverversionen angekündigt. Das Leben 'on tour' hat wohl aber dafür gesorgt, dass neue Lieder zu schreiben einfacher war als sich über die Auswahl und das Arrangement von Lieblingsstücken Gedanken zu machen. Ein ganz großer Stilbruch ist "Wars Of The Roses", beeinflusst von der dauerhaften Livepräsenz jüngerer Stücke, deshalb nicht. War "Blood Inside" (2004) progressiv, rockig und gehörig geisteskrank, war "Shadows Of The Sun" die nach innen gerichtete Traurigkeit, skandinavische Kammermusik, so liegt das neue Album ziemlich genau dazwischen. Der Prog-Anteil ist noch vorhanden, gleichzeitig die Zahl der organischen, akustischen Instrumente gestiegen.
Die meisten Gastmusiker sind bekannt für Experimente und Improvisation: Der schon erwähnte STEPHEN THROWER, STIAN WESTERHUS, die beiden Jazzer STEVE NOBLE und ALEX WARD und, als festes Bandmitglied seit dem Norwegen-Konzert 2009 mit dabei, der britische Art-Rocker DANIEL O'SULLIVAN, der neben Gitarre und Klavier eine lange Rezitation im Abschlussstück "Stone Angels" beiträgt. (Außerdem sind mit TROND MJØEN und ANDERS MØLLER noch Gitarrist und Schlagzeuger der EURO BOYS sowie ein Geiger und ein Klarinettist zu hören.) Dem 'natürlichen' Klang zuträglich war offenbar die Tatsache, dass ULVER die Abmischung aus der Hand gegeben haben; JOHN FRYER (DEPECHE MODE, COCTEAU TWINS, SWANS) sorgte für weniger Hall.

Der schon vorab als Appetitmacher veröffentlichte Opener "February MMX" (01) überrascht mit einem flotten, treibenden Schlagzeug, dazu Bass und ein verträumtes Piano. KRISTOFFERs Stimme klingt, wie an vielen Stellen auf dem Album, vordergründig mehr nach 'Art' als nach 'Prog'. Allerdings erhalten die Songs durchweg eine dunkle, verzweifelte Note, hier durch die wirbelnde und flirrende Elektronik verkörpert, die schräg zum Gesang läuft, ihn leicht zu verfehlen scheint und sich punktuell ballt. Auch die Lyrics sind äußerst schwermutig, niedergeschlagen und morbide. An "Providence (02) sind viele der experimentellen Gäste beteiligt, machen das Stück zum Horror-Soundtrack. Eine zerrende, verlorene Geige, knarrende Drones im Hintergrund und das schleppende Schlagzeug sorgen für eine wabernde, unheimliche Atmosphäre, zur zweiten Strophe trillert ein Saxofon. Wehmütiger und innwendiger ist dann wieder "Providence" (03), Piano und Geige (die wiederholt wie bei MATT HOWDEN zerrt) kündigen die wohl größte Überraschung des Albums an, ein Wechselgesang von GARM mit der samtweichen Stimme der norwegischen Soulsängerin SIRI STRANGER. Wie alle Lieder hat auch dieses seinen experimentellen Teil, aus Schlagzeug und elektronischem Teppich im Hintergrund wächst ein mäanderndes Soundbett der leiseren Töne. "September IV" (04) behandelt offenbar den Tod eines Familienmitgliedes; eine grandiose Ballade mit den bisher schon erwähnten Instrumenten. In der Mitte übernimmt eine thematisch passende Kirchenorgel den improvisierenden Part, die emotionale Steigerung endet in Verzerrung.

"England" (05) führt gregorianische Gesänge und Glockengeläut ein, GARM brilliert zwischendurch mit Grabesstimme und sorgt zusammen mit dem Klavier wieder einmal für düstere Stimmung, liefert andererseits aber komplizierte und epische Gesangsparts ab. Die Bezeichnung 'Prog Metal' passt zunehmend besser: das Schlagzeug wild, der Bass im Marianengraben. (Übrigens beherbergt das neue, britische ULVER-Label KSCOPE auch ANATHEMA ...) Das luftigere "Island" (06) schließlich ruft metaphorisch den Untergang der Menschheit aus, die Percussion besteht aus Klanghölzern oder ähnlichem, erneut eine Ballade auf langsamen Beat, irgendwie schepprig mit einzelnen Drones im Hintergrund. Der Teil des Albums mit klassischen Songs läuft in einigen Gitarrentönen und noisig-elektronischen Spielereien aus.
Ich habe mich immer gefragt, wie man die Musik von ULVER wohl als 'Ambient' bezeichnen kann. Mit dem 15minütigen "Stone Angels" (07) haben die Norweger einen Song geliefert, der einigermaßen mit dem Genre korrespondiert. Einzelne Klänge verschiedener Instrumente verweben sich, brechen aber manchmal auch aus und verlassen ihren natürlichen Tonumfang, erinnern dann an Walgesänge. DANIEL O'SULLIVAN rezitiert über diese schiere Geräuschlosigkeit ebenso ruhig einen Text des US-Lyrikers und Übersetzers (u.a. "Die Blumen Des Bösen") KEITH WALDROP aus dem Jahr 1997. Auch hier sind Einsamkeit und Schwermut greifbar, es geht um gewichtige Fragen des Lebens, oder besser: des Todes.

"Wars Of The Roses" belegt in meinen ULVER-Charts den zweiten Platz, hinter "Shadows Of The Sun". Das Album ist nicht ganz so nah, so emotional wie sein Vorgänger, dafür düsterer und verzweifelter, morbide fast. Prog-Art-Rock in Moll mit überraschenden, komplexen Kompositionen, deren Texte sich mit Blut und Tod, mit den Fehlern der Menschen und ihrem Einfluss auf die Natur befassen; zumindest hier ist ein Stück Black Metal übrig geblieben. Die vielen Improvisateure sorgen für Energie und entwickeln die Songs weiter. Schade nur, dass dieser Elan gerade mal für 45 Minuten gereicht hat.
Es war übrigens gelogen, dass sich bei ULVER stets alles ändert. "Wars Of The Roses" hat, wie jedes bisherige Album ganz unabhängig von Genrebezeichnungen, ein spezielles und einzigartiges ULVER-Flair. Da spielen offenbar auch die persönlichen Überzeugungen der Bandmitglieder keine Rolle.

PS: In den kommenden Monaten soll auf KSCOPE noch eine DVD mit dem ULVER-Auftritt in der norwegischen Nationaloper erscheinen.


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ULVER @ myspace
» Albumseite @ KSCOPE
» ULVER @ JESTER RECORDS
» ULVER @ Wiki
» ULVER @ discogs
» Konzerbericht aus Wien

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Zusammenfassung
ULVER immer noch in Hochform, so gut wie auf dem Vorgänger. Das Album ist nicht ganz so nah, so emotional, dafür düsterer und verzweifelter, morbide fast. Prog-Art-Rock in Moll mit überraschenden, komplexen Kompositionen. Leider nur 45 Minuten.

Inhalt
01 February MMX (4:10)
02 Norwegian Gothic (3:46)
03 Providence (8:12)
04 September IV (4:38)
05 England (3:57)
06 Island (6:04)
07 Stone Angels (14:52)
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