Als wir in der Redaktion über eine mögliche Besprechung dieses Samplers diskutierten, ließ ein Kollege den Satz fallen: "Ich hasse Naturromantik-Gelaber". Gut, er wäre vermutlich nicht der richtige Mann für eine solche Zusammenstellung gewesen und wird diesen Artikel höchstens überfliegen. Um Frust bei Lesern und potentiellen Hörern vorzubeugen, hier eine grobe Naturromantik-Checkliste: Wer sich in der aktuellen Jahreszeit unwohl fühlt, Nebel oder einem kahlen Baum nichts abgewinnen kann, Bilder von
CASPAR DAVID FRIEDRICH grottig findet und, um in Songs zu sprechen, noch nie etwas von
EMPYRIUMs "Die Schwäne im Schilf" (so heißt auch ein Bild von FRIEDRICH) gehört hat, kann an dieser Stelle getrost abbrechen. Klischees hin oder her, aber ohne einen Hang zur Romantik und ihrer Halbschwester, dem Kitsch, funktioniert "Whom The Moon ..." nicht.
PROPHECY bezeichnet die Doppel-CD zurecht als 'Konzeptalbum', weil alle Künstler dasselbe Thema haben: Sie vertonen ihre persönliche Ansicht dessen, was Einheit mit der Natur bedeutet; gleich ob körperlicher,
geistiger oder religiöser Art. So geht es vorwiegend um das emotionale Erleben von Jahreszeiten und Wetterereignissen, aber auch um Naturgötter wie PAN oder die generelle Frage, wie es den Göttern wohl in letzter Zeit auf dieser Erde ergangen ist. Unweigerlich erinnern die Texte, sofern verständlich oder überhaupt vorhanden, an Naturlyriker wie
JOSEPH VON EICHENDORFF oder den Schweizer
CONRAD FERDINAND MEYER, dessen Gedicht "Ich würde es hören" von
NEBELUNG für diesen Sampler sogar originalgetreu vertont wurde. Musikalisch möchte ich meine Lieblingsbezeichnung 'Dark Folk' platzieren: Es handelt sich um überwiegend akustische, dunkle und zarte Töne, wobei sich der 'Folk' streng genommen auf die Akustikgitarre reduziert, die in fast jedem Song auftaucht, manchmal unterstützt von Streichern oder Flöte.
Viele der Beiträge sind exklusiv für "Whom The Moon A Nightsong Sings" komponiert worden, einige weitere immerhin nur noch schwer auf dem freien Markt erhältlich. Besondere Aufmerksamkeit ziehen EMPYRIUM auf sich, weil deren neues Stück acht Jahre nach der Auflösung gleichzeitig die Wiedervereinigung bedeutet. MARKUS STOCK wollte sich damals (2002 ff) seinem später ungleich erfolgreicheren und metallastigeren Projekt
THE VISION BLEAK widmen, nun soll nach dem Samplerbeitrag sogar ein ganzes EMPYRIUM-Album erscheinen. EMPYRIUMs "The Days Before The Fall" ist denn auch das erste 'volle' Stück nach einem kurzen, melancholischen Gitarrenintro, und es fällt aufgrund der Instrumentierung etwas aus dem Rahmen. Die Orgel zum Einstieg und die Percussion erinnern mich sofort an DEAD CAN DANCE, der Gesang ist klar und ruhig, zuweilen gedoppelt. ("The Franconian Woods In Winter's Silence" in der "
Retrospective"-Version könnte ein Vergleich sein.) Im kurzen Mittelteil zeigen E-Gitarre und Drums die Verbindung von EMPYRIUM zum Metal auf. Ein gelungener Neuanfang, der romantischer und weniger düster ist als frühere Werke.
Insgeheim hoffe ich natürlich, dass auch der Naturromantik-Hasser bis hierhin gelesen hat, denn ich kann ihm sagen: Es geht auch fast ohne Text! Eines der Highlights ist für mich "Summer Storm" von
NEST, dem Projekt des
Kantele spielenden Finnen
A. TOLONEN. Bis auf tiefes Flüstern im Hintergrund und leise Synthiedrones sorgen allein die Saiten des traditionellen Instruments für die Illusion eines mächtigen, aufziehenden Sommergewitters über finnischen Wäldern. NEBELUNG bleiben puristisch, Gitarre und Streicher, dazu der zerbrechlich vorgetragene Text des berührenden Gedichts über ein (naturmystisches) Bewusstsein nach dem Tod. Wir müssen nicht auf jeden der weiteren Songs eingehen, die Grundausrichtung ist sicher längst klar.
LES DISCRETS fallen aus mehreren Gründen positiv auf: Zum einen bieten sie mit "Apres l'Ombre" den einzigen französischsprachigen Beitrag der Compilation, zum anderen unterscheidet sich dieser Track von der ansonsten metallischen Ausrichtung des Trios. Das stimmliche Duett aus Mann und Frau schwebt im Raum, umrahmt von luftigem Bass und Gitarre, wunderbar und fast wavig zu nennen. Der Kopf der Franzosen, FURSY TEYSSIER, hat übrigens das Covergemälde beigesteuert.
Auf CD 2 sind natürlich
ULVER zu erwähnen, die mit "Synen" ein 14 Jahre altes Stück beisteuern, ursprünglich veröffentlicht auf der "Souvenirs From Hell"-Compilation von
CTHULHU. Der ohnehin fast opereske Gesang bekommt durch die norwegische Sprache eine zusätzliche Dramatik, die Geige weint, der Chor klagt, und am Ende sorgen Snare Drums endgültig für einen Untergang in Ehren. Die mir unbekannten
BAUDA, bestehend offenbar aus ein bis zwei chilenischen Musikern, zaubern ein herbstlich/winterliches Instrumental, welches um die Gitarre herum lediglich ein paar Flötentöne braucht. Wie der Zusatz "acoustic" im Titel zeigt, stehen auch hier normalerweise härtere (Progmetal)Töne im Vordergrund. Eine Referenz sind natürlich
ORPLID, vertreten mit "Stille", einem ihrer schönsten Stücke, wenn sich auch die als "Demo" titulierte Version nicht sehr vom Original unterscheidet. Einen würdigen Abschluss liefern die finnischen Newcomer
SYVEN mit "How Fare The Gods", ihrem überhaupt erst zweiten eingespielten Stück. Uriger, schamanischer Ambient mit Trommeln, Kantele und klagendem Mönchsgesang, der auch über 14 Minuten trägt. Kantele? Richtig, dasselbe Instrument wie bei NEST, und tatsächlich steckt A. TOLONEN auch hinter diesem Projekt.
Was soll ich sagen? Als Fan von EMPYRIUM und anderen habe ich mich ja schon geoutet. Insofern macht mir diese Doppel-CD (auch als Doppel-LP zu haben) große Freude, ich zähle sie zu den besten Samplern der vergangenen Jahre. Die Naturnähe, wie sie ohnehin vielen Neofolk- und Black Metal-Bands zu eigen ist, ist durchweg zu spüren. Und die wenigen unaufregenden Songs werden durch eine Fülle an 'Stars' und ergreifenden Stücken mehr als wettgemacht. Erstaunlicherweise, wie schon angedeutet, sind es oft gerade die Songs ohne Lyrics, die berauschen. Kaufen!! Oder, um mit EICHENDORFF zu schwelgen:
Schöne Besprechung :)
aber:
„Die Natur? Ach, ich bitt‘ Sie, die Natur!“
- Othmar Spann -