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Michael We.

KRAKEN: Strop

Ertrinken und Kotzen


KRAKEN: Strop
Genre: Dark Ambient
Verlag: Raubbau
Vertrieb: Ant-Zen
Erscheinungsdatum:
September 2010
Medium: CD
Preis: ~15,00 €
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KRAKEN sind wieder da. Dieses Sätzchen genügt dem aufmerksamen NONPOP-Leser, denn seit einigen Jahren begleiten wir das Duo mit ausführlichen Besprechungen. Und spätestens im Interview vor 18 Monaten (hier) haben RICARDO GOMEZ Y DE BUCK und JORIS VERMOST – beide ganz im Gegensatz zu ihrer Musik äußerst humorige Menschen – die letzten Geheimnisse von KRAKEN aufgedeckt. "Wir sagen immer, es sei unser finales Album. Aber vielleicht haben wir noch ein paar Ideen und machen einfach eine neue CD", erklärten JORIS und RICARDO damals. Kurz zuvor war "Nachtschade" erschienen, ihr bislang letztes Werk (Besprechung), die erste KRAKEN-Veröffentlichung mit DVD. Das Konzept eines Films, um nicht nur kürzere Clips oder Fotocollagen mit ihrem eindringlichen Dark Ambient zu untermalen (wie auf der DVD), liegt wohl noch in der Schublade. Ideen für Songs waren dagegen offenbar genug vorhanden, denn das neue Album "Strop" – was soviel heißt wie 'Strick' – dauert fast 70 Minuten und liefert erneut diese spezielle, fantastische Tiefsee-Atmosphäre. Wie der Titel schon andeutet, haben sich die Belgier ihre Ironie behalten, welche sich wie eh und je vor allem in den Songnamen ausdrückt: Track Nummer Zwei heißt zum Beispiel "Muziekje Om Te Kotsen", also 'Musik zum Kotzen', was zum Strick ja ganz gut passt.
Für einen Act, der bis auf ein einziges Festival im Jahr ("Maschinenfest") nicht live auftritt, ist die Labelsuche nicht leicht. Nach dem durch eine Pause des Labelchefs erzwungenen Abschied von SPECTRE (Belgien) gelang der Wechsel zu RAUBBAU in Berlin (ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO, THE [LAW-RAH] COLLECTIVE) allerdings recht reibungslos, so dass es Ende September (VÖ) nun endlich wieder heißt: Abtauchen! Es pfeift und piept, der Wind heult, irgendein Transmitter rauscht und kracht, in einer fiesen Unterwasser-Höhle knirscht und tropft es - und ich freue mich.

Hoch ist der Wiedererkennungswert beim Opener "Waar Handen Falen" (1): düster, bedrohlich, gleichzeitig aber sehr erstaunlich, denn der Anteil an akustischen Instrumenten ist für KRAKEN enorm. Gezupfte Saiten, als würden unsichere Hände auf einer Zither üben. Ansonsten genügt eine Schleife aus vibrierendem Dröhnen oder Donnern mit regelmäßig wiederkehrendem Knarzen, um einen hypnotisierenden, langsamen Rhythmus zu erzeugen. Die flüsternde, ausgepresste Stimme tut ihr Übriges zum standesgemäßen Gefühl, kurz vor dem Ertrinken zu stehen. Das schon erwähnte "Muziekje Om Te Kotsen" (2) erinnert mich, wie auch einige andere Stücke, an "Under A Demon's Mask" von HERMANN KOPP (Besprechung); morbide, schräge Friedhofsmusik – im Falle von KRAKEN geht es vielleicht um einen Schiffsfriedhof. Ein Akkordeon ist zu erkennen, dazu wüten Tritte und Schläge, alles wirkt ungeheuer einsam und traurig, die kratzenden Streichinstrumente klingen wie verzweifelte Walgesänge.
"Onder Je Wil" beginnt zwar leise, schwingt und treibt aber mit der Kraft eines starken Motors voran. Dunkle Himmel, leergefegte Seen ohne Lebenszeichen, sich hebende Wellen wie vor einem Sturm. In Nuancen werden die einzelnen Loops aus sich wiederholenden Geräuschen lauter und leiser, im Hintergrund wiederum akustische Instrumente, Streicher, die für eine dichte Atmosphäre sorgen, so dicht wie weit unten im Meer. Ein schamanisches, knarriges Flüstern windet sich durch alle Geräusche, durch das Schleifen eines riesigen, maschinellen Mühlrades. "Ze Komen Me Halen" (4) ist wieder eine dieser Tiefseevisionen, von denen KRAKEN schon mehrere hervorgebracht haben, dieses Mal sogar in Übereinstimmung mit dem Titel (dt.: 'Sie kommen mich holen'). Stimmengewirr in schwerer, bleierner, schleppender Tiefe, wir sinken nach unten und in einem letzten Krächzen wird uns die Luft aus der Kehle gepresst. Je tiefer, desto verrauschter, erst ganz unten wird das Stück wieder lebendiger, quirlige Lebewesen und eine Stimme (NEPTUN?) umnebeln unseren Geist, bis sich die Geräusche ins schmerzhafte Finale steigern.
Die zweite Hälfte von "Strop" ist ebenso vielfältig und intensiv: vom trostlosen Klavier bis zum Morsepiepsen, von der choralen Beschwörung bis zum Knarzen des Schiffsmastes; wenige Mittel genügen den Belgiern für ihre Schichtmasse, für ihr massives Flair.

KRAKEN bekommen es einfach immer wieder hin, ihre eigene, surreale Unterwasserwelt zu erschaffen. Sie brauchen dafür weder besonders viele noch exzentrische Mittel, es gelingt ihnen allein per Komposition. Durch den vermehrten Einsatz von akustischen Instrumenten ist "Strop" milder und zugänglicher geworden als einige Vorgänger, eher geheimnisvoll als verstörend. Die wenigen Längen, welche die beiden 15- bzw. 13-Minüter aufweisen, werden von den komprimierten kürzeren Tracks ausgeglichen. Gerade die Stücke zwischen drei und fünf Minuten scheinen wie im Zeitraffer dahinzurasen und sind im ersten Durchlauf vorbei, bevor man sich tiefer hineinhören konnte. Sink along!

PS: Auffällig ist das Artwork. Die beiden Belgier arbeiten zum ersten Mal nicht in schwarz-weiß, und Fotografie spielt – trotz der zwei gelungenen Fotos von zerstörten Räumen im Innern des Klappcovers – keine so große Rolle wie früher. Hat vielleicht was mit dem Labelwechsel zu tun ...

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» KRAKEN-Audioclips aus dem neuen Album
» KRAKEN-Blog
» RAUBBAU @ facebook

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Zusammenfassung
KRAKEN bekommen es einfach immer wieder hin, ihre surreale Unterwasserwelt zu erschaffen. Sie brauchen dafür weder besonders viele noch exzentrische Mittel. Durch den vermehrten Einsatz von akustischen Instrumenten ist "Strop" etwas milder und zugänglicher geworden als einige Vorgänger. Sink along.

Inhalt
1 Waar Handen Falen
2 Muziekje Om Te Kotsen
3 Onder Je Wil
4 Ze Komen Me Halen
5 Vriend In Een Fles
6 Morgen Zal Mijn Reet Roesten
7 Praatjes Van Je Sloerie
8 Visioen Met De Gedrogeerde Puppy
9 Afschrift Van De Hopeloze Daad
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