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Michael We.

KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF: Wildling

Jazzgeflüster im Märchendschungel


KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF: Wildling
Genre: Experimental
Verlag: Staubgold
Erscheinungsdatum:
Februar 2010
Medium: CD
Kaufen bei: Staubgold


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"Wildling" hat nicht viel von "Jinx", und umgekehrt. Dennoch sind beide Alben hör- und fühlbar zu 100 Prozent KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF. Corporate Identity, eines der Geheimnisse dieses Projekts aus dem Südwesten Deutschlands, wie schon in der letzten Besprechung (hier klicken) erwähnt. Auf dem direkten Vorgänger zum jetzt erscheinenden "Wildling" – sieht man von der Hörbuchproduktion "Im erwachten Garten" mit Ex-SPEX-Chef DIETMAR DATH einmal ab, eher ein KAMMERFLIMMER-Soundtrack denn ein Album – waren die Songs forscher, unterschiedlicher und vor allem bewegter. Sie nahmen uns mit von Ort zu Ort, Emotion zu Emotion, auf vielen verschlungenen Wegen. Der Spielort auf "Wildling" bleibt derselbe. Ich stelle mir vor: einen dunklen, aber nicht unfreundlichen Wald, genauer gesagt einen Dschungel mit vielen fremdartigen Pflanzen und Tieren, dichtem Bewuchs auf dem Boden und einer sehr verzauberten Atmosphäre, vor allem dank der einzelnen Sonnenstrahlen, die durch die hohen Bäume fallen. Stille bis auf ein paar Vogelstimmen.
So wildling die virtuelle Umgebung, so mild die Musik aus diesem verwunschenen Garten. Kaum schräge Fingerübungen und knarzende Instrumente, sondern traurige Reflexionen, denen der diesmal sanfte, kehlkopfige Silbengesang von Prinzessin AUMÜLLER – übrigens halbnackt auf dem Cover zu sehen – wunderbar steht. Eine große, fast die wichtigste Rolle spielt dieses Mal die Steel Guitar, welche ich bei mir Roadmovie-Gitarre nenne, denn prominent vertreten legt sie Sehnsucht, das starke Gefühl des nie Ankommens über das Werk. Selbstverständlich ohne Zug- oder Autofahrt; hier führt der Weg höchstens von einer Lichtung zur nächsten.

Nach kühlem skandinavischen Jazz klingen die ersten Takte, dunkel der Bass. Im Untergrund fiepend, schabend und kratzend: die Waldtierchen. Wehmütig und zentral die Gitarre, fast country- und auf jeden Fall naturnah. Nach 30 Sekunden ein Wispern von HEIKE AUMÜLLER. Überraschung: Ist das Englisch? Der Abschied von den typischen Silbenfetzen? "Englisch singt selber, die Sprache heißt aber HEIKE." Meint DIETMAR DATH, der die Liner Notes zu "Wildling" geschrieben hat, undurchdringlich wie Dschungeldickicht. Später vibriert das Saxophon, das Englisch kaum noch als solches zu erkennen. Nächtliche Musik für Menschen mit einem dunklen Fleck auf der Seele. Mit einem Marimbaphon taucht in "Aum A Go-Go" ein weiteres, für den Rest des Albums tragendes Instrument auf, der Dschungel bewegt sich jazzig, alles so lässig, gekonnt und dicht wie Urwaldfarne im Schatten eines Baumes. Immer dunkler wird es, im Wald aus Instrumentendrones trippeln Tiere zum Schlafen in ihre Höhlen. An diesem Punkt der einzige, fast unerklärliche Ausbruch des Albums: "In Transition (Version)" driftet 13 Minuten lang in Spielereien mit Geige und Akkordeon ab. Im Anschluss ist "Spookin' The Horse" der erste große Höhepunkt: ein Inbegriff an Harmonie, traumhaftes Silbenflüstern, vielleicht der alles zudeckende Schlaf. Über einige dunklere, beunruhigendere Songs – quietschende Cellos, schamanisches Werfen von Knöchelchen, Orgel im Morgennebel – gehen wir langsam auf das Ende zu, denken ans Auftauchen. Selbst ein banales "oh yeah" klingt, von Waldfee AUMÜLLER dahingeworfen, gelungen. Die E-Gitarre zieht zerrend und sägend ins letzte Gefecht. Unseren Frieden machen wir bei "We Paint The Town Beige", einem wunderbar klaren, freien Song, Silben und Englisch mischen sich ebenso wie Piano, Gitarre und perlende Geräusche aus dem Windows-Baukasten. "Milte Hi Ankhen" als Schlusspunkt, begraben an der schönsten Stelle des Waldes, fast dramatisch zu nennen, rituell mit sakralem Gesang und dumpfer Trommel.

Ein ungewöhnliches Album des zwischen drei und sechs Personen zählenden KOLLEKTIEFs. Nach der Extrovertiertheit von "Jinx" richtet "Wildling", anders als sein Name vermuten lässt, den Blick nach innen. Zerbrechliche, fragile Musik aus dem unendlich großen Jazz-Universum der Karlsruher; besonders traurig, besonders verträumt und mit einer seltsam starken Verknüpfung zur Natur, hineingetupft in diesen Wald, der mich nicht loslassen will. Zauberhaft wohlklingende Schwermut.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» STAUBGOLD (Label)
» KAMMERFLIMMER @ myspace

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Zusammenfassung
"Wildling" richtet den Blick nach innen. Zerbrechliche, fragile Musik aus dem unendlich großen Jazz-Universum des KOLLEKTIEFs. Besonders traurig, besonders verträumt und mit einer seltsam starken Verknüpfung zur Natur. Wohlklingende Schwermut, hineingetupft in einen Zauberwald.

Inhalt
01. Move Right In (3:19)
02. Silver Chords (3:08)
03. Aum A Go-Go (2:34)
04. In Transition (Version) (13:31)
05. Spookin' The Horse (4:28)
06. Blind (2:16)
07. Rotwelsch (4:25)
08. Time Is The Fire In Which We Burn (3:55)
09. Cry Tuff (3:28)
10. We Paint The Town Beige (4:05)
11. There's A Crack In Everything (6:16)
12. Milte Hi Ankhen (aka Bird In Hand) (2:17)
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