Tribute-Sampler sind immer so eine Sache. Solche Zusammenstellungen werden ja hin und wieder gerne auf den Markt geworfen, um mit einem bekannten Namen leidlich Kasse zu machen, ohne dabei aber einen ernsthaften künstlerischen Anspruch zu vermitteln. In den letzten Jahren gab es zudem auch vermehrt den Trend, dass Bands selbst die Bearbeitung ihres Materials organisierten. Allerdings kam dabei auch erstaunlich viel Mittelmaß heraus, wie es noch zuletzt bei „Expositions“ – einem CHARLES DE GOAL Tribute zu beobachten war. Insgesamt siebzehn Künstler toben sich an dem reichen Fundus von ATTRITION aus, wobei eine wohltuende Mischung hinsichtlich des Alters der Stücke herausgekommen ist, wurde doch auch einiges aus den 80er Jahren berücksichtigt. Vielleicht aus weiser Voraussicht hat man aber weitestgehend auf die „Hits“ verzichtet. Unter dem Strich muss man aber leider auch feststellen, dass es keine Arbeit, bis vielleicht auf das grandiose „Reflections“ von IMPRINT – das Projekt der derzeitigen ATTRITION Sängerin SIN – schafft, die Originale zu schlagen. Im Gegenteil: Vieles ist weit von der Klasse der Originale entfernt, wobei die unnötige „A Girl Called Harmony“-1:1-Kopie von CHIASM, die dafür auch noch mit nicht überzeugenden Vokalparts aufwartet, nur ein Beispiel unter vielen ist. OLAF PARUSEL und seinen Mitstreitern bei STOA fällt zum gleichen Song ebenfalls nicht viel mehr ein, als ein bisschen klassischen Sound zu versprühen. Insgesamt sind die Stücke ohnehin recht ruhig und unspektakulär ausgefallen, was einerseits schon schlicht an den Originalen liegt, aber was auch andererseits durch das Abschleifen des Materials durch die bearbeitenden Bands bewirkt wird. Neben „Reflections“ ist aus meiner Sicht allerdings noch die Arbeit von MURDER HAPPENS WITH EN ESCH, die sich „Which Hand?“ vorgenommen haben, gut gelungen. Das eher mittelprächtige Original wird mit wuchtigem Rhythmus, markantem Gesang von Ex-KMFDM-Mitglied EN ESCH und passendem Gitarreneinsatz deutlich aufgepeppt. Experimentell und akustisch kommen zudem noch MY SILENT WAKE mit „Two Gods“ überaus atmosphärisch daher. Auch dieser Track ist absolut überzeugend. Letztlich bleiben viele Stücke dann aber doch zu sehr im Ungefähren und in der Beliebigkeit hängen, so dass diese Zusammenstellung nicht unbedingt zwingend den Weg ins heimische Regal finden muss. Neben dieser neuen Veröffentlichung setzte MARTIN BOWES allerdings auch in den letzten Monaten sein Programm fort, den ATTRITION-Katalog in neuer Auflage wieder komplett verfügbar zu machen. Den Anfang will ich hier mit „The Hand That Feeds“ machen – die Widerauflage eines Remixalbums, auf dem sich seinerzeit Bands wie CHRIS N COSEY oder IN THE NURSERY am ATTRITION-Material abarbeiteten, wobei das Ergebnis ähnlich durchwachsen ausfiel, wie es jetzt bei der neuen Tribute-Zusammenstellung der Fall ist. Allerdings ist mit der MORBUS KITAHARA-Version von „White Men Talk“ auch ein Remix enthalten, der das kaum schlagbare Original noch übertrifft. Die Wiederauflage erscheint mit einem Bonustrack jedoch nur noch in der Einzel-CD-Version. Damals gab es nämlich zusätzlich noch eine Zwei-CD-Version, wobei die zweite CD eine Art Best-of war, die in der Neuauflage vielleicht dann auch unnötig ist. Ebenfalls endlich neu erschienen sind „The Hidden Agenda“ von 1993 und das grandiose „A Tricky Business“ von 1991, das aus meiner Sicht einen einsamen Höhepunkt im Schaffen der Band darstellt. Druckvoller, kompakter und überzeugender hat man die Band eigentlich nie gehört, wobei man den Vergleich natürlich nicht zu den eher ambientorientierten Arbeiten ziehen darf. Zusätzliche Bonusstücke sind aber, so weit ich das sehe, nicht vorhanden, da die zusätzlichen Maxi-Single-Tracks auf der „A Tricky Business“ auch schon auf der alten Auflage vorhanden waren. Interessanter – in erste Linie für Fans – dürfte da schon die Wiederveröffentlichung des damals für den amerikanischen Markt zusammengestellten Raritäten-Albums „Keepsakes And Reflections“ sein, welches versprengte Compilation-Beiträge oder seltene Single-Tracks enthält. Neben einigen Coverversionen, diesmal von ATTRITION, die sich an Material von so unterschiedlichen Bands wie den DEAD KENNEDYS, JOHN FOXX oder auch MINISTRY wagen, gibt es hier alternative Versionen eigener Songs oder rare Maxi-Single-Tracks sowie die 2000 auf KLANGGALERIE erschienene „Kharb/Red Letter“-Single. Insgesamt ist dieses Album aber sicher eher etwas für die Komplettisten, da viele Stücke letztendlich nicht derart zwingend sind. Ebenfalls in diese Güteklasse würde ich auch die Wiederveröffentlichung des Live-Dokuments „Heretic Angels“ einordnen. Aufgenommen auf der 1999er „The Jeopardy Maze“-Tour wurde dieses Album, das seinen Fokus auf Stücke der 90er Jahre legt, damals nur in Europa und in einer Auflage von lediglich 666 Stück veröffentlicht. Allerdings muss man dem Live-Mitschnitt zugestehen, dass er doch etwas interessanter ausfällt als das 2009er Live-Album „Kill The Buddha!“. Die Interpretation der Stücke fällt etwas weiträumiger aus und live hereingespielte analoge Synthesizer-Sounds sind ebenfalls dauerhaft zu vernehmen, was das Live-Erlebnis doch erhöht. Den eigentlichen Leckerbissen habe ich mir allerdings für das Ende aufgehoben. Mit „Across The Divide – Live In Holland“ hat MARTIN BOWES noch einmal einen richtigen Schatz ausgegraben. Ursprünglich 1985 nur in Teilen auf Kassette erschienen, wurde das alte Material noch einmal komplett überarbeitet, um zusätzliche Stücke von damals ergänzt und mit einem stimmigen Artwork versehen. Sämtliche Stücke wurden auf der 1984er, ersten kontinentaleuropäischen ATTRITION-Tour – zusammen mit den LEGENDARY PINK DOTS – direkt vom Mischpult aufgenommen. Zu hören ist aber glücklicherweise ein für so eine Aufnahme doch relativ guter und runder Klang, neigen doch gerade ältere Mischpultaufnahmen oft dazu, pappig, zu direkt, also ohne den nötigen Klangraum und unausgewogen im Mix zu klingen. Aus meiner Sicht hat man es hier jedenfalls definitiv mit dem interessantesten Live-Dokument von ATTRITION – damals noch mit ASHLEY NIBLOCK an den Synthesizern – zu tun. Der Sound klingt alles in allem, auch wenn natürlich mit Backing-Tapes gearbeitet wurde, „richtig live“ und oft auch noch recht rau und industriell. Die Setliste setzt sich maßgeblich aus den damaligen Veröffentlichungen zusammen. Die Stücke stammen also von der „The Voice Of God E.P.“ oder vom „The Attrition Of Reason“-Album. Jeder, der auf analoge, elektronische Musik und auf Dokumente dieser Epoche steht, sollte also auf jeden Fall einmal ein Ohr riskieren.
Tony F. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » ATTRITION-Homepage » Attrition@myspace Themenbezogene Artikel: » ATTRITION: Kill The Buddha! » ATTRITION - eine Werkschau Themenbezogene Newsmeldungen: » ATTRITION mit Download-Geschenk » ATTRITION veröffentlichen erste Single neu » Neuigkeiten von ATTRITION » Live-Album von ATTRITION
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Zusammenfassung
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Inhalt
Nyarlathotep - Favourite Things
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