Nach dem jüngsten Ärger um "The Sun" – siehe
NONPOP-Artikel und Interview – hat CHRISTIAN RENOU alias
BRUME seine Ankündigung nun in die Tat umgesetzt und das Material noch ein weiteres Mal veröffentlicht. Selbstverständlich ohne die Pausen zwischen den Tracks, die beim Mastering von
OLD EUROPA CAFE versehentlich eingebaut wurden. Die US-Amerikaner von
ELSIE AND JACK boten ihm nicht nur diese Gelegenheit, sondern schlugen aufgrund beidseitiger Symapathien vor, das Material aus dem Jahr 1990 noch um eine weitere CD zu ergänzen, ein Komplementäralbum sozusagen. Da wir die Musik von "The Sun" – Pausen hin oder her –
gerade besprochen haben, konzentrieren wir uns hier auf die neuen Aufnahmen von "The Moon", entstanden im ersten Drittel des Jahres.
Verpackt ist der Doppelschlag übrigens schon einmal preisverdächtig: In einer liebevoll aufgemachten Karton-Faltkonstruktion liegen die beiden CDs mit allerhand Zusatzinfos, hundert Exemplare sind handnummeriert und mit weiteren visuellen, vom Franzosen handgefertigten Gimmicks versehen. Die ersten vier der insgesamt elf Stücke sind Solokompositionen von RENOU, die restlichen Songs sind in Zusammenarbeit mit JAMES und PHIL RODRIGUEZ von der Klangkünstlergruppe
MONERA aus den USA entstanden. Die Betitelung der Kooperationen deutet auf die düstere Grundstimmung des neuen Werks hin: Alle sind nach russischen Kosmonauten benannt, die beim Einsatz ums Leben kamen. Ist "The Sun" eine Huldigung an eine den Menschen im Grundsatz freundlich gestimmte Sonne, will RENOU "The Moon" als Erinnerung an die
Apollo 11-Mission verstanden wissen, den ersten bemannten Flug zum Mond vor 40 Jahren. Dabei geht es nicht um die schöne Aussicht oder andere Space-Träume, sondern um die schwerwiegenden Probleme während des Fluges und die Unsicherheit der Besatzung: "Erreichen wir den Mond? Haben wir genug Sauerstoff und Treibstoff für den Rückflug? Sind diese Geräusche normal?"
Wir starten stimmungsvoll mit einem verzerrten, unheimlichen Countdown. Sofort stellt sich das Gefühl ein, in einer stöhnenden und ächzenden Raumkapsel zu sitzen. Es knarzt und rauscht über langgezogene, wehmütige Drones. Die Leere und Schwärze des Raumes ist eher quälend als aufregend, sie wird lediglich aufgelockert durch wenige helle, experimentelle Flecken, die von akustischen Instrumenten ins All getupft werden. Einige Sprachsamples sind das Letzte, was noch der Erde zuzuordnen ist, dann bleibt alles Weltliche zurück und es stellt sich zum ersten Mal so etwas wie entspannte, weite Weltraum-Atmosphäre ein. Vermutlich den ruhigeren Flugphasen geschuldet sind die angenehmen, rhythmischen Passagen, die auf "The Moon" aber selten bleiben. Vor allem "Dust, Dust Forever" (3) ist regelrecht hypnotisierend. Der reine RENOU-Part endet mit "We Are Lost" (4) und vielerlei All-Geräuschen, die wieder mehr bedrohend als besänftigend wirken.
Die Zusammenarbeit mit MONERA ist wesentlich entschleunigter: Weich und langsam dehnen sich die Sounds im Universum aus. Parallel zu der vermutlich geschärften Wahrnehmung, die Astronauten haben, weil sonst nichts mehr um sie herum stört, sind es Klänge, auf die man sich konzentrieren muss. Sie umhüllen den Hörer wie feiner Sprühnebel: spürbar, aber kaum zu sehen. Diese sieben Stücke symbolisieren sehr schön die Fremdartigkeit, die man als erster Mensch auf dem Mond wohl empfunden haben könnte. Immer bleibt die Mission unterschwellig gefährlich, hier ein leises Kratzen, dort ein Rauschen, in besonders extremen Momenten ein dröhnendes, lautes Pfeifen. "Pyotr Dolgov" (7 – vielleicht die Landung?) ist gar ein einziger, langer und heller, aber nicht unangenehmer Drone. Im letzten Drittel wird es heftiger, ein dröhnender Wirbel flattert zusammen mit verschiedenen technischen Geräuschen durch den Weltraum, bevor die abschließenden 54 Sekunden ("Alexis Belokonyov", 11) in kaum mehr hörbare Stille entgleiten.
"The Moon" kehrt zu den Wurzeln von BRUME zurück und steht für die Art von moderner
Musique concrète, mit der sich CHRISTIAN RENOU über weite Strecken seines Künstlerlebens befasst hat. Fühlbare, erfahrbare Klänge, die Emotionen zu einem bestimmten Thema hervorrufen. Neben der Qualität der einzelnen CDs liegt der Charme dieses Doppelpacks gerade in der unterschiedlichen musikalischen Handhabung zweier Themen: Dicht, rituell und rhythmisch (Sonne) auf der einen, dronig, weit und dunkel (Mond) auf der anderen Seite. Viel gutes Material für einen außerordentlich fairen Preis!