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Michael We.

OLHON: Lucifugus

(Alp)Traum im Wassertank


OLHON: Lucifugus
Genre: Musique concrète
Verlag: Drone Records
Erscheinungsdatum:
Juli 2009
Medium: Vinyl 10''
Preis: ~12,00 €
Kaufen bei: Drone Records


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Wer eine OLHON-Veröffentlichung in die Hand nimmt, kann schon vor dem ersten Hören relativ klar definieren, was ihn erwartet: Thematisch wird es, grob gesagt, um Wasser gehen. Musikalisch bietet das Gemeinschaftsprojekt seit 2001 eine moderne Form der Musique concrète an, also der Verfremdung von Originalaufnahmen aus Natur und Technik. 'Modern' bedeutet hier, dass die 'field recordings' an Orten eingeholt werden, die bis vor einigen Jahrzehnten technisch nicht zugänglich gewesen wären: in tiefen Gesteinskratern, überfluteten Höhlen, auf dem Meeresgrund etc.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Musik von OLHON in der von DRONE RECORDS aufgelegten Serie "Substantia Innominata" erscheinen würde, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bislang Unbenennbares hörbar zu machen: "Hier ist die Erfahrung des Neuen, Ungedachten, Utopischen zu machen, eine Erhöhung und Erweiterung der Wahrnehmungsschwelle genau für diese Inhalte! Es geht auf einer künstlerischen Ebene darum, bewusst in unbekannte oder unbestimmbare Bereiche vorzudringen, also das 'Unmögliche' zu probieren. Wie setzt man das, was nicht erkennbar (aber existent) ist, in Gedanken - Musik - Ästhetik um? [...] Sing the song of the unknown!"

Das italienische Duo besteht aus MASSIMO MAGRINI (alias BAD SECTOR) und ZAIRO (alias – nicht ganz so bekannt – WHERE, ein Dark Ambient-Projekt). Ihre Arbeitsweise gliedert sich in drei Schritte: ZAIRO besorgt, technisch oft sehr aufwendig, die 'field recordings', die anschließend von beiden bearbeitet werden. Für die Endabmischung schließlich ist MASSIMO zuständig. Das Ergebnis kommt ohne jede künstliche Quelle aus, das heißt ohne zusätzlich von Synthesizern produzierte Sounds, was für eine außerordentlich organische, belebte Atmosphäre sorgt.
Für "Lucifugus" (ein Wort, dessen Bedeutung passend zwischen 'lichtscheu' und 'Nachtschwärmer' liegt) sind die beiden Italiener nun in einen riesigen, ausrangierten Wassertank gestiegen, der in einem Wald in der Toskana steht und früher einer großen Minengesellschaft gehört hat. Alle Töne wurden dort innerhalb einer windigen Nacht im September 2007 aufgenommen.

Klar, dass diese Art von 'Geräuschmusik' vor allem über Emotionen funktioniert, die durch die Sounds erzeugt werden, über die gedankliche Umgebung beim Hören, und nicht über Melodien oder ähnliches. Diesen Ortswechsel beherrschen OLHON auf "Lucifugus" perfekt, denn es dauert nur Sekunden, bis sich der Hörer zwischen den Wänden des Tanks wiederfindet. Einige tieffrequente Drones bilden den Auftakt, zu denen sich schnell das Vibrieren von Metall in Form von diversen Geräuschen gesellt, welche vermutlich durch Schlagen auf die Haut des Tanks erzeugt wurden. Groß, dunkel, höhlig und hallend tönt es, wie wenn ein rasendes, gefährliches Insekt immer wieder gegen die Ummantelung prallt. In höheren Sphären, fast esoterisch anmutend, schwebt eine Art Chorstimme, lange 'Aaaaahs' in verschiedenen Lagen ausstoßend, eventuell durch gelooptes Kratzen oder Schleifen produziert. Dieser erste Teil ist gut hörbar, die Sounds sind wie Blasen in verschiedene Gruppierungen aufgeteilt: Mal stehen die metallenen Eigenschaften des Tanks im Vordergrund, mal betont eine Frequenzfrickelei die unangenehme Düsterheit, mal ein höhliges Dark Ambient-Bett die Größe und Weite. Die schon angesprochene Belebtheit ist phasenweise fast erschreckend, so sehr klingt die Komposition dann nach dem Atmen eines großen, aufgeschreckten Tieres.
Die zweite Seite zerrt recht derb am Trommelfell. Einerseits löst sich die Sortierung auf, so dass viele Effekte übereinander liegen, andererseits werden die Frequenzen fieser. Am Anfang sind noch längere Pausen zum Erholen eingelagert, später setzt ein andauerndes, hohes und verzerrtes Kratzen ein, das an die berühmte Kreide auf der Schultafel – allerdings in tausendfacher Ausführung – erinnert. Ein Horrorfilm, in dem der Tank lebendig wird und sich die Wände aufeinander zu bewegen, um ihren Inhalt zu zerquetschen. Zum Ende hin beruhigt sich die Szenerie wieder, der Krach entfernt sich, mit wisperigen Geräuschen wie von Windspielen verlassen wir den Wald in der Toskana.

Mission erfüllt! Wer bisher noch nicht wusste, wie man sich in einem Wassertank fühlt, oder vielleicht sogar: wie sich ein Wassertank fühlt – hier ist es bis ins Detail zu erfahren. Das 'Unbenennbare' wird hörbar gemacht. Organische, manchmal sehr gut strukturierte und deshalb gut zu rezipierende Musique concrète, manchmal auch schmerzender Krach. Insgesamt sehr beeindruckend, eine musikalische Grenzerfahrung.
Die 10inch ist auf 500 Exemplare limitiert und kommt sowohl innen als auch außen in Erdfarben: Innen in betörendem, orangefarbenem Vinyl, außen mit einer hellbraunen Makrofotografie (Sandstein?) des Berliner Künstlers TILMANN BENNINGHAUS.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» OLHON @ myspace
» BAD SECTOR @ myspace
» BAD SECTOR @ Nonpop


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Zusammenfassung
Moderne Musique concrète mit Sounds aus unentdeckten Winkeln der Erde, dieses Mal: aus einem Wassertank in der Toskana. Die erste Seite gut sortiert und hörbar, die zweite manchmal schmerzhaft krachend. Wie immer bei OLHON sehr organisch, insgesamt eine beeindruckende musikalische Grenzerfahrung.

Inhalt
lim. 500

A: Homo Lucifugus
B: Vox Lucifugus
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