Zu ihrem 400sten Geburtstag im Jahr 2007 hat sich die Stadt Mannheim musikalisch nicht lumpen lassen und eine exklusive Multimedia-Komposition bei drei der wichtigsten zeitgenössischen Künstler bzw. Projekte in Auftrag gegeben. Die audiovisuelle Zusammenarbeit von
ALVA NOTO,
RYUICHI SAKAMOTO und
ENSEMBLE MODERN wurde am 16. November 2007 im Opernhaus des Mannheimer Nationaltheaters uraufgeführt und erscheint nun, rund eineinhalb Jahre später, auf CD (neu eingespielt) mit dazugehöriger DVD (Konzertmitschnitt).
Hinter ALVA NOTO verbirgt sich der gebürtige Chemnitzer
CARSTEN NICOLAI, einer der beiden Köpfe des umtriebigen Elektronik-Labels
RASTER-NOTON und herausragender Laptop-Künstler mit zahlreichen Veröffentlichungen und Ausstellungen. (Auf
NONPOP wurden jüngst ein
ALVA NOTO-Werk und die auf
RASTER-NOTON erschienene
CD von ATOM™ besprochen.) In den vergangenen Jahren hat er bereits mehrfach mit dem japanischen Komponisten und Musiker RYUICHI SAKAMOTO zusammen gearbeitet, welcher vor allem durch seine Beteiligung an
YELLOW MAGIC ORCHESTRA – einer Gruppe, die in Asien KRAFTWERK-Status hat – und seine zahlreichen Soundtracks bekannt ist. Für die Musik zu "The Last Emperor" (dt.: "
Der Letzte Kaiser", BERNARDO BERTOLUCCI 1987) bekam SAKAMOTO Oscar, Grammy und Golden Globe zugleich. Das ENSEMBLE MODERN schließlich ist ein in Frankfurt beheimatetes Kammerensemble, das sich auf moderne Komponisten wie
STOCKHAUSEN,
BRAXTON oder auch
ZAPPA konzentriert. Elf seiner rund 20 internationalen Mitglieder waren an dieser Produktion beteiligt.
Die Veröffentlichung bietet, wie viele Alben auf
RASTER-NOTON, schon vor dem Hören zahlreiche Querverweise. Bereits der Titel lässt Spekulationen zu: UTP ist ein bestimmter, ungeschirmter Kabeltyp zur Datenübertragung, der besonders unanfällig gegen Störungen von außen ist. Ebenfalls auf die technischen Aspekte von "utp_" zielt der im Infotext verankerte Hinweis auf die quadratische, gitterartige Ordnung der Mannheimer Innenstadt, welche dem barocken Prinzip einer absolutistischen Idealstadt geschuldet ist. (Die Zahlen und Nummern der Quadrate sind tatsächlich Grundlage für eine erste Partitur gewesen, wie im 'Making Of' erklärt wird.) Musikalisch soll das moderne Werk an die 'Mannheimer Schule' erinnern, eine Gruppe von Musikern, die Mitte des 18. Jahrhunderts einen neuen Orchesterstil prägte und unter anderem die klassische Sinfonie auf vier Sätze erweiterte. Aber – auch das typisch für
RASTER-NOTON – trotz aller interessanter Ansätze und Assoziationen braucht die Musik keinen 'Leitfaden', entwickelt die Mischung aus elektronischen Sounds und klassischen Instrumenten ihre hypnotische Anziehungskraft von innen heraus.
Das Album beginnt mit einem für diese Art von Musik typischen Stück: Aus elektronischen Drones und einer Reihe wie zufällig gesetzter, akustischer Instrumente bildet sich eine in der Luft stehende, warme Klangwolke. Anschließend wechseln sich viele Elemente ab, bei denen das Pendel mal Richtung Elektronik, mal Richtung Akustik ausschlägt. Einige Stücke erinnern mit ihrer traurig-grauen Atmosphäre an FENNESZ, wenn Piano und Streicher behutsam über synthetische Tonbetten fahren. Andere sind mehr Geräusch als Musik, hörspielartig wie eine mit Technik und Instrumenten dargestellte Schlacht vor Gewitterhintergrund. Fast klassisch zu nennende Passagen, die (zumindest klanglich) eine sinfonische Orchestrierung anbieten, gehen über in rein elektronische mit dubbendem Bass und dahinfliegenden Synthesizer-Tönen. Das zwölfminütige, majestätisch-sakrale Schlusswerk lässt an Kirchenorgeln denken, ein wahrhaft feierliches Stück, würdig der Geburt einer Stadt.
"utp_" ist reichhaltiger, moderner Ambient. Klassik und Laptop bilden eine Symbiose, arbeiten nicht gegeneinander, sondern verwachsen organisch miteinander, so dass selbst einfaches Rauschen zum Instrument wird. Wem die Projekte auf
RASTER-NOTON gefallen, wer Musiker wie
FENNESZ, das
KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF oder die immer wieder auf
NONPOP vorgestellten, aktuellen Cellisten wie
JULIA KENT und
HILDUR GUDNADOTTIR mag, hat mit diesem Album große Freude.
Auf der DVD ist das komplette Mannheimer Konzert (mit den Stücken der CD in selber Reihenfolge) vorhanden, optisch und akustisch in hervorragender Qualität. Die Musik wird live um die zusätzliche Ebene der Videoprojektion bereichert, welche Sounds wie Rauschen oder Instrumente wie Geigen sichtbar macht. Dazu noch ein fast 40minütiges 'Making Of', das den Entstehungsprozess und viele technische Details beleuchtet, und eine aufwendige DinA5-Verpackung mit zahlreichen Fotos. Großes Lob!