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Michael We.

AAVIKKO: Novo Atlantis

Tapfer sein! Es lohnt sich ...


AAVIKKO: Novo Atlantis
Genre: Science Fiction
Verlag: 9pm Records
Erscheinungsdatum:
19. Juni 2009
Medium: CD / LP
Preis: ~15,00 €
Kaufen bei: Kioski


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Diese Einleitung müssen NONPOP-Leser jetzt tapfer ertragen: AAVIKKO standen 2002 einige Monate lang an der Spitze der finnischen Klingelton-Charts. Was in unserem speziellen Fall selbstverständlich nicht auf mangelnde musikalische Qualität schließen lässt, sondern mit der Beliebtheit der Fernsehserie "Kumman kaa" zu tun hat. Für diese finnische Variante von "Desperate Housewives" – soweit ich die diversen Fanseiten in Landessprache richtig deute – entwarfen AAVIKKO die Titelmusik, was ihnen die zweifelhafte Klingelton-Ehre einbrachte. Und das Trio in seiner Heimat noch bekannter machte, wenn überhaupt möglich. Denn TOMI LEPPÄNEN (Drums), PAUL STAUFENBIEL (Synthesizers) und TOMI KOSONEN (Synthesizers) erreichen in Finnland ohnehin den Verbreitungsgrad von gutem Wodka. Auch im restlichen Europa, sogar in Russland und den USA weist die Biografie von AAVIKKO inzwischen einige Bekanntheits-Spitzen auf. Eine JOHN PEEL-Session gehört ebenso dazu wie ein Auftritt im berühmtesten Club von Manhattan, der "Knitting Factory". Dennoch werden die Finnen und ihre Instrumentalmusik – auch hierzulande – meist gnadenlos unterschätzt. Sätze wie "AAVIKKO spielen tanzbare Lounge-Retro-Supermarktmusik" (Wikipedia) sind eine Katastrophe und werden der Band nicht gerecht. Viel treffender und charmanter ist etwa die Eigenbezeichnung 'Kraut-Ambient'.

Das einfache, aber genialische Konzept der drei Berufsmusiker: Ein brillanter Schlagzeuger trommelt zu Sequenzen, welche die anderen beiden Mitglieder auf diversen elektronischen Geräten (Lieblingsfirma: Casio) programmiert haben. Auf den vergangenen drei Alben ergaben sich aus dieser Kombination durchaus ein paar Takte finnischer Polka-Schunkelei (Vielleicht ist das mit 'Kaufhausmusik' gemeint.), daneben aber reihenweise Kompositionen aus Jazz- und Fusion-, Prog Rock- oder Minimal Elektronik-Elementen, so dass von belangloser Durchhörbarkeit keine Rede sein kann. Im Gegenteil, die Stücke von AAVIKKO sind bewusst knapp neben die Fahrstühle dieser Welt gesetzt: Es passiert immer genau so viel, dass man umgekehrt nie weghören kann.
Viele der Einflüsse bringen die Musiker aus anderen Bands mit, in denen sie ebenfalls aktiv sind: Drummer LEPPÄNEN bei PHARAOH OVERLORD (Stoner Rock) oder CIRCLE (Prog Rock), TOMI KOSONEN zum Beispiel bei ASTRO CAN CARAVAN (Hm, vielleicht ... experimenteller Freejazz-Folk?) Neu an dem inzwischen vierten Album der rund 15jährigen Bandgeschichte ist nun, dass all diese Einflüsse nicht ziemlich kunterbunt durcheinander purzeln, sondern zielstrebig in eine Richtung weisen: nach oben, also Richtung Weltall. Etwas mehr als 40 Minuten astreiner Space Rock sind auf "Novo Atlantis", voller pulsierender Energie und Quirligkeit. Die Musik klingt so, als ob die drei das Thema 'space' Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre interpretiert hätten: Zwischen dem deutschen "Captain Future"-Soundtrack (der Zeichentrickserie) von CHRISTIAN BRUHN und C64-Musikern, die Namen wie CHRIS HÜLSBECK hatten.

Alles pocht, blubbert, ist in Bewegung. Sequencer-Läufe strömen aus dem Triebwerk eines Raumschiffs, sphärische Synthies schweben durch den Raum, und immer hält TOMI LEPPÄNEN dazu millisekundengenau einen mitreißenden, funky Rhythmus – wie ein Uhrwerk. Sparsam eingesetzte Vocals erinnern sanft an KRAFTWERK; manchmal klingen auch die Keyboards kurz nach den Düsseldorfern, an anderen Stellen wiederum eher nach JARREschen Soundflächen ("Hypatia"). Der synthetische Chorus scheint dagegen aus Klassikern von MIKE OLDFIELD entliehen. Als Intro peitscht zwischendurch plötzlich ein zackiger NEW ORDER-Beat ("Computopia"), zum Ausgleich taucht an anderer Stelle ("Specto Supernus") ein schwelgerischer Keyboardlauf auf, den YES locker auf einem ihrer frühen Alben hätten unterbringen können. Eine gute Durchhörbarkeit kann man dieser Melange nicht absprechen. Aber immer dann, wenn die nächste Wiederholung eine zuviel wäre, passiert etwas Entscheidendes, ein neuer Melodiebogen sirrt zum Beispiel zwischen zwei Planeten hervor, oder die Drums verändern innerhalb weniger Sekunden das Tempo des ganzen Songs. Welchen Stellenwert AAVIKKO in Finnland haben, lässt sich auch daran ablesen, dass sie von einer Reihe prominenter Musiker unterstützt werden, vor allem – das ist das Erstaunliche daran – von Kollegen aus dem E-, dem ernsten Fach. OSSI JAUHIAINEN etwa, Sänger geistlicher Vokalmusik, hat einen Einsatz auf "Dies Irae Discodelico", meinem mitreißenden, aus einer 70er-Jahre-Disco stammenden Anspieltipp. Am Ende, mit dem 15minütigen "Novo Atlantis II", holen die drei Finnen zum ganz großen Schlag aus. Auf ein lebhaft strömendes Bett liefern sie – und diverse Gastkünstler – eine Reihe von Improvisationen ab. Das Prädikat 'surreal' verdient dabei vor allem die sakrale Welterschaffungs-Orgel des jungen Kirchenmusikers ESA TOIVOLA. Eindeutig das psychedelischste Stücke des Albums, ein leicht bis mittelschwer drogiger Flug durch die Galaxis.
Es ist nicht nötig, dieses Fazit zwischen den Zeilen zu lesen: Ich bin begeistert von "Novo Atlantis". Ein Prachtexemplar der gehobenen elektrischen Unterhaltungsmusik, ganz sicher das beste Werk der Band. Prall, bunt, selbstverständlich spacig und immer clever.

Wer auf die vergangenen Jahre der Finnen zurückblicken möchte, kann das mit der 2004 erschienenen Werkschau "History Of Muysic" tun. Darauf ist zwar mehr finnische Spaßmusik als auf dem aktuellen Album, aber auch die schöne Split-7inch von AAVIKKO und FELIX KUBIN, dem Chef des experimentellen Labels GARGARIN RECORDS – an dessen Acts wie zum Beispiel PETE UM (NONPOP-Besprechung) einige der neuen Songs übrigens denken lassen. Außerdem auf dem Sampler: die Musik zum erwähnten finnischen Serienhit "Kumman kaa". Am 13. August treten AAVIKKO zusammen mit KRAFTWERK beim "Flow Festival" in Helsinki auf, im Herbst planen sie mehrere Deutschland-Besuche.


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» AAVIKKO @ myspace


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Zusammenfassung
Drei Finnen, die ihre Musik gerne als Kraut-Ambient bezeichnen. Passt! Die neue Produktion ist ihre beste: Ein pralles, quirliges Space Rock-Werk mit Einflüssen von YES über KRAFTWERK bis hin zu klassischer Orgelmusik. Ein leicht bedröhnter, aber immer clever komponierter Flug durch die Galaxis.

Inhalt
LP und CD

01 Syntaksis (3:37)
02 Specto Supernus (4:36)
03 Computopia (4:29)
04 Dies Irae Discodelico (4:15)
05 Hypatia (5:38)
06 Novo Atlantis I (3:32)
07 Novo Atlantis II (15:04)
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